Freya Hattenberger & Peter Simon bangaloREsidenten@SRISHTI
Freya Hattenberger und Peter Simon sind Absolventen der Kunsthochschule für Medien Köln. Beide haben einen Hintergrund in zeitgenössischer Performance- und Medienkunst und setzen sich mit Fragen von Raum, Resonanz, Rückkopplung und gesellschaftlichen Konstellationen auseinander.
Freya Hattenberger erhielt das Karl Schmidt-Rottluff-Stipendium sowie den Förderpreis des Landes NRW in Medienkunst. Es folgten weitere Stipendien und mehrfache Arbeitsaufenthalte in Frankreich. Hauptsächlich performativ arbeitend, bildet Körper und (sozialer) Raum den zentralen Aspekt in Fotografien, Videoperformances, Video- und Soundinstallationen. Klang und der Einsatz von Stimme sind Schlüsselelemente ihrer Arbeit. Dabei interessieren sie besonders Fragen der Repräsentation, Verhaltensformen und der Autonomie.
Peter Cezary Simon konzentriert sich auf Klangkunst, zeitbezogene Medien und Installation. Seine Arbeiten sind u.a. in der Sammlung IMAI - inter media art institute Düsseldorf und ebenso Teil der permanenten Sammlung des ZKM - Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Als Kurator organisierte er das Klangkunstprogramm „Lautsprecher“ im Museum Ostwall Dortmund von 2010 - 2015. In 2018 erhielt er gemeinsam mit Freya Hattenberger und Marita Loosen-Fox das Gerd Ruge-Stipendium der Film- und Medienstiftung NRW. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Klangökologie, Psychoakustik, Bioakustik und ihr Einfluß auf den Einzelnen und die Gesellschaft.
Neben ihrer jeweils eigenen, künstlerischen Arbeit kooperieren beide seit 2008 als Klangkunst-Performance-Duo „Les Éclairs“. Ihr Arbeitsbereich umfasst skulpturale Sound- und Videoinstallationen, Soundinstallationen im öffentlichen Raum, Mehrkanal-Klangkompositionen, Performances und Hörspiele sowie dokumentarische Formen des Auditiven wie Essays und Features (z. B. Studio für Akustische Kunst WDR, Bayerischer Rundfunk, NDR und Deutschlandradio Kultur).
Das Projekt „MEANDER TAPES – Tender Sounds For Brutalist Architecture“ setzt sich auf interdisziplinäre Weise mit Klangkunst, Performance und Architektur auseinander.
Als Klangkünstler, Komponisten und Medienkünstler beschäftigen sie sich seit langem mit der Interaktion zwischen dem Hörbaren und dem Sichtbaren - sowie der unsichtbaren Seite der Architektur. Im direkten Dialog mit der brutalistischen Architektur realisieren sie akustische Interventionen vor Ort. Sie schaffen eine Verbindung, die spezifische akustische und formale räumliche Aspekte sowie den sozio-historischen Kontext berücksichtigt.
Nach MEANDER TAPES Sessions in Köln, Düsseldorf und Bochum werden sie modernistische Gebäude in Bangalore erkunden und deren Bedeutung in öffentlich-politischen Prozessen nachverfolgen. Charles Correa ist einer der bedeutendsten Architekten Indiens und weltweit. Seine Bauten sind die physische Manifestationen von Modernität und Fortschritt. Das Visvesvaraya-Center repräsentiert einen Kontenpunkt dieser Traditionen und bietet Gelegenheit für ein mehr als fruchtbares Projekt.
Mit akustischen Interventionen vor Ort im Visvesvaraya Center und Aufnahmen dieser Sessions möchten sie ein neues MEANDER TAPE in Bangalore realisieren. Sie sind besonders daran interessiert, die geometrische Ordnung, Materialität, den sozialen Status, die emotionale Verbindung des Gebäudes und die fließende Realität der indischen Kultur zu erforschen und dabei den Klang als Ornament zu betrachten. Architektur wird durch das Medium Klang experimentell überprüft und in der Wahrnehmung erweitert.
Das Aufnehmen des akustischen Fingerabdrucks des Visvesvaraya-Zentrums ermöglicht ihne, sich mit Anwohnern, lokalen Künstlern, Musikern und Studenten des Srishti Institute of Art, Design und Technology auszutauschen. In ihrem Projekt berücksichtigen sie das Zusammenspiel von Ort, Architektur, Menschen und ihrem Leben. Die Ausgabe eines neuen Bangalore MEANDER TAPE auf Kassette wird dies widerspiegeln. Gemeinsam mit dem Srishti Institute werden sie Vorträge und Workshops über die Ergebnisse ihrer Forschung halten.
Abschlussbericht
Prolog
Es ist spät und uns tun die Knochen weh vom langen Sitzen. Übernächtigt vom Flug und trotzdem aufgeputscht vom Adrenalin der Reise taumeln wir durch die Passkontrolle unserer Residency in Bangalore entgegen. Kaum haben wir die Koffer vom Band gewuchtet und treten durch die Tür in die Vorhalle des hypermodernen Flughafens, werden wir auch schon wärmstens in Empfang genommen. Marie vom Goethe Institut begrüßt uns herzlich, hängt uns fabelhaft duftende Blumenketten um den Hals und beschenkt uns mit einer „Survival-Tasche“ mit Goethe Institut Logo. Noch schnell ein Foto für die Erinnerungen schießen und ab in den Bus zur Unterkunft.
Auf der Fahrt durch den frühen Morgen erhalten wir von ihr die ersten lebensnotwendigen Informationen und Termine für die kommenden Tage – ich versuche, mir alles en détail zu merken und gleichzeitig ein Gefühl für die hinter den Scheiben vorbeiziehende Stadt zu entwickeln, die zwar die Schwärze der Nacht trägt aber trotzdem nicht zu ruhen scheint.
Angekommen in der 1ShantiRoad hilft uns Sandeep TK unsere Koffer die steile, rote Wendeltreppe nach oben zu schleppen. Ein gut gelauntes Lächeln liegt auf seinem Gesicht, trotz der nachtschlafenden Uhrzeit und des Gewichts des Koffers. In unserem Zimmer wartet frisches Wasser, ein Obstteller, Freundlichkeit. Alles ist gut, wir sind angekommen – jetzt können sich die Knochen endlich wieder lang machen.
Phase 1
Wir sitzen im Bus, sind in der Gruppe unterwegs. Dr. Claus Heimes, Maureen Gonsalves, Marie, Nandita, Riya, die anderen Residentinnen und wir. Das Programm der ersten Woche ist eng getaktet. Wir erfahren zum ersten Mal, was es bedeutet mit einem Auto durch diese Stadt zu fahren. Eine Herausforderung!
Der Fahrer scheint in einer tiefen Meditation versunken zu sein, während draußen vor dem Autofenster der Sturm tobt. Alles bewegt sich gleichzeitig, ein permanenter Klangteppich aus Autohupen und Motorenlärm bedeckt die Szenerie. Jede noch so kleine Lücke wird genutzt, und wenn es geht, auch mal in den Gegenverkehr eingebogen. Wir sind froh, nicht selbst fahren zu müssen.
Das Programm, was uns das Goethe Institut zusammenstellt, ist sehr vielfältig. Wir besuchen gemeinsam Theaterstücke, Konzerte, treffen Tanzschulleiter, Journalistinnen und Architekten wie Naresh Narasimhan, der uns später noch helfen wird. Beim Besuch seines Umbaus der National Gallery of Modern Art tauschen wir uns aus.
Phase 2
Woche 2 in der 1 ShanthiRoad. Unsere Akklimatisierung ist nun geglückt. Die Köchin Devi verwöhnt uns in unserer Unterkunft mit indischen Köstlichkeiten und macht uns so auch mit der Schärfe der Speisen bekannt. „We ususally eat very mild“ sagt Suresh und lächelt. Wir sitzen am Tisch mit Schweißausbruch und Tränen in den Augen – und lächeln zurück. „Wer zuerst einen Schluckauf bekommt, hat verloren.“ lautet unser internes Spiel. Es ist schön und inspirierend, sich hier so zwanglos austauschen zu können. Nicht nur Daliha Ziper ist in der 1 ShanthiRoad mit uns untergebracht. Auch Shun aus Japan hat hier eine Residency, viele Künstler_innen und Freunde des Hauses gehen ein und aus und bereichern die Atmosphäre. Wir machen uns einen Plan. Was, wann und wie soll unser Projekt von statten gehen? Wir sortieren unsere Vorbereitungen für die Audio- und Bildaufnahmen, laden Akkus und packen Rucksäcke. Monah singt Krishna – Mantras auf dem Dach. Die Krähen singen zurück.
1 Tag später: nach einem nächtlichen Schauer ist es wunderbar sonnig und ein angenehmer Wind bringt Frische in die Stadt. Ramli, ebenfalls gute Seele des Hauses, serviert uns köstliche Dosas und Kaffee mit Chicoree zum Frühstück. Gut gestärkt und gerüstet starten wir zu unserem ersten Aufnahmeort, den Visvesvaraya Towers im Herzen Bangalores. Es handelt sich um ein brutalistisches Gebäude in dem nun einige staatliche Ministerien, eine Lotterie, und viele weitere Institutionen mit langen und unverständlichen Namen untergebracht sind. Wir geben uns etwas naiv - und haben Glück.
Wir treffen den Gebäude-Manager, der uns ohne viele Fragen direkt auf das Dach des höchsten Turmes bringt. Dort können wir uns orientieren und einen Überblick verschaffen. Fotografieren dürfen wir auch. Sofort nimmt uns die ungeschminkte Schönheit der Betontürme ein. Das Grunddesign zieht sich stringent durch das komplette Gebäude, von der Empfangshalle bis in die Proportionen des Treppenhauses. Leider reicht die Zeit nicht für alle unsere Ideen und so vereinbaren wir, dass wir wiederkommen. Als wir nach einer Woche wieder auf der Matte stehen, ist der Empfang sehr herzlich und wir können uns mit unserem Equipment ausbreiten und für unser Projekt sehr viel spannendes Material sammeln. Wir sind begeistert, von der Offenheit der Menschen und von der ausgeklügelten Struktur des Gebäudes - und strahlen mit der Sonne um die Wette.
Phase 3
Der Architekt Naresh Narasimhan, den wir in der ersten Woche durch das Goethe Institut kennen gelernt haben, empfiehlt uns ein weiteres Gebäude. Sein Vater P.K. Venkataramanan, ebenfalls Architekt, baute von 1972 – 1978 im brutalistischen Stil die Bibliothek für das Raman Research Instituts, ein Forschungszentrum für experimentelle Physik. Marie schickt eine offizielle Anfrage, von Bibliothek (des Goethe Instituts) zu Bibliothek. Wir telefonieren mit Dr. B.M. Meera, der Leiterin der Bibliothek, und vereinbaren einen Termin vor Ort zum Gespräch.
Das Gebäude liegt auf einem abgeriegelten Terrain im Norden der Stadt inmitten eines kleinen Eukalyptus-Hains. Die letzten 300 Meter von der gut bewachten Einfahrt des Geländes bis zur Bibliothek laufen wir durch frische Luft und bestaunen himmelhohe Bäume. Der Verkehrslärm nimmt ab, nur entfernt als diffuser Noise-Teppich ist die Stadt als solche wahrnehmbar. Die Bibliothek verschmilzt geradezu mit der Umgebung und liegt imposant und filigran zugleich als Riegel aus Beton und Glas zwischen den Stämmen.
Wir treten durch einen rechteckigen Betonbogen und stehen in der Eingangshalle, an die sich der große Lesesaal anschließt. Hier, in der Bibliothek, hört man allein das Rascheln vom Umblättern der Buchseiten. Das Raumklima ist angenehm, wir stehen zwischen Bücherregalen auf der einen Seite und den Baumstämmen auf der anderen Seite der wandhohen Fensterfront. Was für ein herrliches Gebäude!
Im Gespräch mit Dr. B.M. Meera über unser künstlerisches Projekt finden wir gut zueinander und sie erteilt uns die Erlaubnis, Aufnahmen zu machen. Wir sind froh!
Phase 4
Rückmeldung bei Naresh, wir sind dankbar für seinen Tipp und möchten mehr über das Gebäude erfahren. Für uns überraschend fragt er uns, warum wir nicht einfach seinen Vater selbst fragen würden. Schließlich lebt er noch in Bangalore und würde sich sicher freuen, mit uns zu sprechen.
Der beste Ort für dieses Gespräch wäre natürlich die Bibliothek selbst. Wir vereinbaren einen Termin für ein Interview und Dr. B.M. Meera ist ebenfalls erfreut, erneut die Tür für uns zu öffnen. Auch sie hat Fragen an den Architekten ihres Arbeitsplatzes. Seine Erklärungen und Informationen ergänzen vortrefflich unsere Materialsammlung und Forschung.
Phase 5
Ehe wir uns umsehen, geht die Zeit in Bangalore zu Ende. Schneller als gedacht sitzen wir an der Abschlußpräsentation, die wir gemeinsam mit Daliah Ziper in der 1 ShanthiRoad Gallery durchführen.
Der Raum ist voll, draußen prasselt der Monsun nieder während weiter durchnässte Besucher in den Saal strömen. Viele Fotos und Video- und Audioaufnahmen erläutern unseren Arbeitsansatz. Wir zeigen Ausschnitte aus dem Interview mit P.K. Venkataramanan. Interessierte, schlaue Fragen runden den Abend ab. Suresh, Sandeep, Ramli, Monah und Devi haben ein leckeres Buffett zurecht gemacht. Schnell leeren sich die Schüsseln und Schalen, die Atmosphäre ist herzlich und ausgelassen. Schade, daß in wenigen Tagen unser Aufenthalt zu Ende ist. Wo wir doch gerade erst angefangen haben, zu verstehen… Einige Fragen sind noch offen und wir würden gerne noch mehr über das Land und die Menschen erfahren. Vielleicht bietet sich in der Zukunft noch eine weitere Gelegenheit dazu.
Der Abschied wird dann tatsächlich nicht einfach. Die 1 ShanthiRoad hat uns unglaublich in unserem Projekt und bei allen anderen alltäglichen Fragen unterstützt. Es ist diese entspannte und aufmerksame Zugewandtheit, die wir bald vermissen werden.
Ganz herzlich möchten wir uns auch für diese wunderbare Residency beim Goethe-Institut bedanken: Dr. Claus Heimes, Maureen, Marie, Nandita und Riya. Bei der Equipe der 1 ShanthiRoad, beim Srishti Institute of Art and Design, bei Venkataramanan Associates und natürlich bei Dr. B.M. Meera.