Magdalena Emmerig, geboren 1988, studierte Bühnen- und Kostümbild an der Kunsthochschule Berlin Weißensee und lebt in Berlin.
Yana Thönnes, geboren 1990, studierte Philosophie und Kulturreflexion an der Universität Witten/Herdecke sowie Theaterregie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und lebt in München.
2015 gründeten Magdalena Emmerig und Yana Thönnes zusammen mit Belle Santos und Rahel Spöhrer die Performance Company THE AGENCY, die auf immersive Weise mit den Erscheinungsformen des Neoliberalismus experimentiert.
Ihre Performances, in denen Zuschauer*innen zB. als Kund*innen oder zukünftige Mitglieder sanft eingebunden werden, kreisen um subversive Handlungsmöglichkeiten (agency) unter den Bedingungen des Post-Digitalen: Wie bildet sich unser Begehren, unsere Gefühle, unsere Identitäten und politische Bewegungen im post-digitalen Zeitalter? Und wie ist es unter diesen Bedingungen möglich, counter-emotions, counter-identities, Gegenbewegungen, zu erschaffen? Die künstlerischen Arbeiten greifen neoliberal konnotierte Formate (wie zum Beispiel das Coaching) und deren ästhetischen Strategien wie Branding und Corporate Identity auf, überdrehen die darin institutionalisierten Technologien des Selbst kritisch affirmativ - und ringen um ein utopisches Potenzial aus queer-feministischer Perspektive. Ihre Arbeiten waren in den letzten Jahren u.a. an den Münchner Kammerspielen, am Haus der Berliner Festspiele, der Gessnerallee Zürich, den Sophiensaele Berlin, der Kaserne Basel, der Akademie der Künste Berlin, bei Pact Zollverein und auf der Athen Biennale 2018 zu sehen.
Momentan arbeitet THE AGENCY an der Entwicklung ihrer Werkreihe Neue Männer*bewegung, in der sie die Zusammenhänge zwischen patriarchaler Männlichkeit und rechtem Denken untersuchen und eine Gegenbewegung erschaffen.
Während der bangaloREsidency bei Sandbox Collective recherchieren Magdalena und Yana für eine kommende Arbeit von The Agency. Sie interessieren sich für Leihmutterschaft als ein Phänomen, dass einerseits eine queere Familienplanung ermöglicht, auf der anderen Seite globale Hierarchien wiederholt. Sie beschäftigen sich mit der Geschichte sowie der aktuellen Situation kommerzieller Leihmutterschaft in Indien, dessen wenig gesetzlich regulierte Lage das Land von 2002 bis 2015 zu einem der führenden Anbieter aller Arten von Fertilitäts-Angeboten für einen internationalen Markt machte. Den westlichen Blick auf Indien untersuchen sie ebenfalls im Hinblick auf spirituellen Tourismus, der die Beziehung Deutschlands und Indiens schon seit jeher prägt.
Abschlussbericht
In unserer bangaloREsidency bei Sandbox Collective haben wir die Themen kommerzielle Leihmutterschaft (commercial surrogacy) und spirituellen Tourismus aus westlicher Perspektive untersucht. Für uns begann das Interesse an Leihmutterschaft mit der Lektüre von Margaret Atwoods Roman “Handmaid’s Tale” - wie passend, dass der zweite Teil der Erzählung über Gilead kurz vor unserem Flug nach Bangalore veröffentlicht wurde und gerade in allen Buchhandlungen ausliegt. Zwei Tage nach der Premiere unseres Stücks “Take it like a Man” in Düsseldorf kommen wir nun um 2 Uhr nachts in Bangalore im Sandbox Office an, das die nächsten sechs Wochen unser Zuhause sein wird.
Nach der Einführungswoche, in der uns das Goethe-Institut gemeinsam mit allen Resident*innen erste Einblicke und Kontakte in Bangalore eröffnet, beginnen wir mit unserer Recherche. Wir wissen, dass Leihmutterschaft in Indien in den letzten Jahren gesetzlich zunehmend eingeschränkt wurde, in welchem Umfang, ist uns noch sehr unklar, umso mehr sind wir überrascht, wie viele “fertility clinics” wir beim durch die Stadt fahren zu sehen bekommen. Also besuchen wir eine der größten Kliniken der Stadt: Cloudnine fertility, die mit dem Spruch “happy mothers, happy babies” werben und auf ihrer Website mit vielen stock photos sehr hellhäutiger Frauen und Babies auch gestational surrogacy anbieten: “Carefully handpicked. All our surrogates are carefully selected based on a stringent series of fertility criteria, with the most significant being age. Members of our surrogacy pool are all young, fit and healthy.”
In der Recherche interessierte uns zuerst vor allem das emotionale Management, das alle Beteiligten, vor allem aber die Leihmütter leisten, die entgegen aller naturalisierenden Ideen von “Mutterschaft” ein Kind austragen und an die commissioning parents übergeben. Doch dann entdeckten wir einen globalen Markt, in dem Sperma, Eier, Leihmütter und medizinisches Wissen mit den Kliniken als lokale Hubs von einem Land ins nächste, von einem gesetzlichen Loophole zum anderen wandern. Die Recherche der Soziologin Amrita Pande (“Wombs in Labor”, 2014), die über mehrere Jahre immer wieder die berühmteste Klinik Indiens, die Akanksha Klinik von Dr. Nayna Patel in Anand, Gujarat besuchte und Leihmütter interviewte, war für uns der perfekte Einstieg. Und uns war sehr schnell klar: nach Anand müssen wir auch.
Nun mussten wir aber erst einmal lernen, den Alltag hier in Bangalore zu bewältigen. Die Stadt überfordert einen physisch, der Lärm, der Verkehr, die Sprachen, das Essen. Kleine Aufgaben wie Einkaufen oder Wäsche waschen sind eine Herausforderung. Das größte Problem für uns ist aber die fehlende Mobilität: Längere Wege zu Fuß zu gehen ist sehr beschwerlich, da Gehwege nicht vorhanden oder in sehr schlechtem Zustand sind, man geht also meistens auf der Straße und in Bangalore ist den ganzen Tag und überall Rush Hour. Für einen Termin sitzen wir meist mindestens 45 Minuten (einfache Fahrt) in Auto oder Rikscha. Nach unserem Besuch bei Flo Maak (bangaloREsident@Pepper House) im ruhigen und überschaubaren Kochi wurde uns klar, dass der Verkehr ein für Bangalore spezifisches Problem ist, das sich in den letzten 20 Jahren aufgrund des schnellen Wachstums der Stadt extrem zugespitzt hat.
Unsere Hosts Nimi und Shiva von Sandbox Collective kuratierten während unserer Residency ein Festival des Ranga Shankara Theaters - hier wie auch zu vielen anderen Gelegenheiten aus dem kulturellen Umfeld des Goethe Instituts trafen wir immer wieder Menschen aus Bangalore, andere Künstler*innen, die zunehmend unser Netzwerk in Bangalore und auch in andere Städte wurden. Darüber entstanden einige Kontakte zu Menschen, die wir für unsere Recherche interviewten und deren persönliche Geschichten ein vielseitiges Bild der Lebenssituation in Indien ergaben. Wir begannen, die Präsentation unserer Recherche zu planen - eine Performance, für die wir die Lounge eines WeWork Coworking Space mitten in Bangalore mieteten. In der Form einer Events für die Investor*innen eines jungen Startups wollen wir das fiktive Unternehmen “AshramMommies” vorstellen, dessen Angebot die spirituelle Suche westlicher junger Frauen mit den Bedürfnissen infertiler indischer Paare kombiniert. Hier ist ein Bild aus dem Fotoshooting für “AshramMommies”.
Nach dem Budgetgespräch mit dem Goethe-Institut gingen wir nun auch an die Reiseplanung: Unser erstes Reiseziel war Bombay - um das Stück “I am not here” von Deepika Arwind zu sehen, mit der wir für unsere Präsentation der Recherche arbeiten wollten. Dann ging es mit dem Zug nach Norden nach Anand, in ganz Indien bekannt wegen Amul, einer Kooperative, die seit den 1950er Jahren Indien von einem “milch-defizitären” Land zum weltweit führenden Hersteller und Konsumenten von Milchprodukten machte. Wir hatten aber vor allem ein Ziel vor Augen: Die Akanksha Klinik. Erst am Tag vorher hatten wir endliche eine Antwort von Dr. Nayna Patel auf unsere Bitte um ein Treffen bekommen: “ok. come and see me tomorrow.” Und tatsächlich: Wir trafen Dr Nayana Patel, wurden ins “Surrogate Home” geführt, wo wir mit 30 schwangeren Leihmüttern um einen Kantinentisch saßen und von ihren Arbeitsbedingungen, Lebenssituationen und ihrem Stolz erfuhren, gesunde Kinder zu produzieren: “I have had two babies already as a surrogate, one 3,5 kg. And one 3,2 kg”. Und schließlich erzählte uns eine junge Gynäkologin, passenderweiae Schwiegertochter von Dr Patel, von all den Angebote des Familienunternehmens Akanksha Klinik von “surrogacy” bis hin zu “G-spot augmentation” und “vagina tightening”, bevor sie uns noch die “Human Milk Bank” präsentierte. Im Dunklen traten wir aus den Glastüren der Akanksha Klinik in den Palmengarten hinaus, bereit mit einer Rikscha abzufahren, während der Slogan des Akanksha Brandings “more than a mother” in unseren Köpfen vibrierte.
Zurück in Bangalore begannen die Proben. Die vielen Dinge und Ideen, die wir gesammelt hatten, und unsere europäische Sicht wurden im Gespräch mit Deepika immer wieder überprüft und glücklicherweise auch über Bord geworfen: Dass z.B. Obstschalen in Form eines Lotus (das Symbol der BJP) bei der derzeitigen politischen Lage eher nicht als seichtes Symbol von Spiritualität gelesen werden, welche Namen für die Charaktere das richtige Bild vermitteln oder auch welche Armreifen klassisch oder eher billig wirken. Nach einer kurzen und intensiven Probenphase stellten wir mit Deepika, Sandbox und den “Goethe Buddys” (Produktionsassistentinnen, Social Media Expertinnen und wie sich herausstellte auch Stage Managerinnen und Performerinnen) Charlotte und Moira “AshramMommies - Investors Lounge” im WeWork an der Church Street vor.
Während und nach der Präsentation von AshramMommies diskutierten wir über globale Hierarchien im Bezug auf Reproduktion, aber auch im Bezug auf künstlerische Arbeitsweisen, über den weißen Blick, über Cultural Appropriation und Ideologien rund um Mutterschaft.
Nun geht unsere Zeit in Bangalore zu Ende. Wir geben 23 kg Post nach Deutschland auf, mit Kostümen und Requisiten von AshramMommies und allem, worauf wir bei unseren anschließenden Reisewochen verzichten können. Nach unserem Abschlussgespräch mit dem Goethe Institut und einem Dinner bei Sandbox steht nun noch eine Sache an: ein Aufenthalt im bekanntesten Ashram Bangalores: Art of Living.
Das Bild Indiens als Ort der spirituellen Erfahrung führte in den letzten Jahrzehnten zu einem größer werdenden Angebot für westliche Touristen. Zu den optimierten kommerziellen Formen gehören Yoga und Ayurveda Retreats, Ashram Aufenthalte mit Meditation, Atemtechniken oder Stille. Aber auch an indisches Publikum richten sich die Kulte der sogenannten “Godmen” (Bhagwan), die größtenteils durch die Arbeit von volunteers getragen werden und Milliarden-Umsätze an donations machen. Der in verschiedene Bereiche gegliederte Art of Living Ashram mit eigener Vedischer Schule für junge Männer und Indische-Kühe-Zucht, dessen Happiness Einsteiger Programm wir mitmachen (für 350$ Spende pro Person), hat außerdem ein schickes neues Yoga Zentrum mit Instragram-ready Garten und schicken Bungalow-Unterkünften.
Die internationale Art of Living Foundation berät die Vereinten Nationen, ist Unicef zertifiziert und hat ihr “europäisches Zentrum” im Schwarzwald. Gerüchten zufolge erwartet Guru Sri Sri Ravishankar auch bald der Friedensnobelpreis. Wir haben vor allem ein Lesezeichen mit dem folgenden Aufdruck mit nach Hause genommen: “Rice is purified by ghee, our body by Ayurveda, our intellect by knowledge, our emotions by satsang and our sould by meditation, similarly, our money is purified by charity.”