Bauhaus an Hochschulen
Eine weltweit verstreute Erbschaft
Die Ideale der Bauhaus-Schule haben nicht nur Design und Architektur weltweit geprägt, sondern auch Lehrgrundsätze verändert. An der Geburtsstätte in Weimar lehrt bis heute eine Universität nach den Leitlinien der Gründer. Andere Institute im Geiste des Bauhauses mussten hingegen wieder schließen.
Von Wolfgang Mulke
Auf dem Platz zwischen den Gebäuden der Weimarer Bauhaus-Universität nutzen die Studierenden die letzte warme Herbstsonne zu einem Schwätzchen, als Hagen Höllering zu seinem Arbeitsplatz kommt. Der Architekt forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Darstellungsmethodik. Die Hochschule lehrt auch heute noch nach bewährter Bauhaus-Tradition, jener Designschule, die in den 1920er-Jahren die Grundsätze von Kunst und Architektur neu definierte. „Nach wie vor gefragt ist ein möglichst breiter und fächerübergreifender Blick in die Welt und die Suche nach der angemessenen Reaktion auf das Gesehene in Kunst, Architektur, Urbanistik und Medien“, sagt Höllering, der selbst auch an der Weimarer Einrichtung studierte. Es seien nicht die konkreten Themen der ersten Bauhaus-Generation, sondern der Geist der Gruppe, der die Zeiten überstanden habe. „Die Auseinandersetzung mit den jeweils aktuellen Herausforderungen der Zeit steht im Vordergrund“, sagt der Wissenschaftler.
Das klingt zunächst wie ein etwas schwammig formulierter Allgemeinplatz. Und doch findet sich schnell ein konkretes Beispiel für die praktische Umsetzung. Jens Richter spricht begeistert von der Zusammenarbeit seines Unternehmens PolyCare mit der Bauhaus-Universität. Die Gründer der Thüringer Firma haben ihr wichtigstes Produkt gemeinsam mit den Fachleuten der Universität entwickelt. Es geht um ein einfach aufzubauendes Haus aus Steinen, die aus Wüstensand hergestellt werden. Was auf den ersten Blick aussieht wie große Lego-Bausteine, ist eine Innovation, denn dieser Baustoff gilt am Bau eigentlich als unbrauchbar.
„Damit können wir in Notstandsgebieten schnell zum Wiederaufbau beitragen oder die Situation in Slums verbessern“, erläutert Richter. In Namibia will die Regierung damit 25.000 Unterkünfte für Arme errichten. Technisch clever, ästhetisch funktional, preiswert und sozial wünschenswert – das Haus aus Wüstensand hätte auch den Bauhaus-Gründer und Architekten Walter Gropius begeistert.
Die vier Leitlinien des Lernens
Gropius, der im Frühjahr 1919 zum Direktor des Bauhauses berufen wurde, hat genau diese Grundsätze verfasst. Er predigte die Beschränkung auf Grundformen und -farben, Einfachheit im Vielfachen, knappe Ausnutzung von Raum, Material, Zeit und Geld. Diese Prinzipien werden heutzutage bei der Entwicklung nahezu aller Produkte angestrebt, vom Smartphone bis zum Bürogebäude.Nachdem der Bauhausgründer Walter Gropius in die USA emigrieren musste, war er unter anderem für den Bau des MetLife Buildings, des früheren Pan Am Building in Manhattan, New York, verantwortlich. | Foto: © picture alliance / Arcaid Insofern weist der Wissenschaftler Rainer Wick von der Universität Wuppertal dem Bauhaus eine wegweisende Rolle zu. „Von den Bauhaus-Gründern gingen entscheidende Impulse aus“, sagt der Kunsthistoriker und Kunstpädagoge, der sich intensiv mit den Lernmethoden des Bauhauses auseinandergesetzt hat. Vier Leitlinien hätten die Ausbildung geprägt. „Bei Null anfangen“ – also unbelastet von akademischem Ballast die Aufgaben angehen – lautet die erste Maxime, „learning by doing“ die zweite, „trial and error“ die dritte. Schließlich lernten die Schüler, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten an konkreten Projekten zu entwickeln. Die Trennung zwischen handwerklicher und akademischer Bildung sei aufgehoben worden, erläutert Wick die vierte Maxime. Wesentlich dabei sei, dass das Bauhaus von einem ganzheitlichen Menschenbild ausgegangen sei, bei dem kognitive, affektive und motorische Fähigkeiten gleichermaßen berücksichtigt wurden.
Im Laufe der Jahrzehnte haben sich immer wieder Hochschulen auf die Prinzipien des Bauhauses berufen, nicht alle aber haben überlebt. Schon 1953 gründetet der ehemalige Bauhausschüler Max Bill zusammen mit anderen Designern und Künstlern die Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm, die Studenten aus aller Welt anzog, 1968 jedoch wegen finanzieller Schwierigkeiten schließen musste. 1970 übernahm unter anderem die Hochschule für Gestaltungin Offenbach am Maingroße Teile des Lehrkonzepts der HfG Ulm.
Die Erben in Nordamerika
Der durchschlagende Erfolg des Bauhauses geht Wick zufolge auch wesentlich auf die dort Lehrenden zurück: „Gropius hat es verstanden, die prominentesten Künstler der damaligen Zeit um sich zu versammeln.“Als viele Meister und Künstler am Bauhaus von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und ins Exil flohen, begannen sich dieBauhaus-Lehrprinzipien weltweit zu verbreiten. Die Emigration transportierte die Lehren nach Schweden, Südamerika und vor allem in die USA. Gropius, der 1928 aus dem Bauhaus austrat, emigrierte 1934 zunächst nach Großbritannien, danach in die USA. Dort war er zusammen mit anderen Architekten unter anderem für den Bau des MetLife Buildings, früher Pan Am Building, im New Yorker Stadtteil Manhattan verantwortlich. Der Ungar László Moholy-Nagy, einer der bedeutendsten Fotografen und Typografen am Bauhaus, verließ Deutschland im gleichen Jahr in Richtung Nordamerika. In Chicago wurde er 1937 Gründungsdirektor der Graduiertenschule New Bauhaus, die heute als Institute of Design am Illinois Institute of Technology weiterexistiert.Ein ehemaliger Bauhausmeister am Black Mountain College: Josef Albers, rechts im Bild. | Foto: © State Archives of North Carolina Raleigh, NC Vor allem aber trat das Künstlerkollektiv am Black Mountain College das Erbe der Weimarer in den USA an. Der Künstler Josef Albers wechselte 1933 vom Bauhaus an das College in North Carolina. Ihm folgten andere Künstler, Musiker und Wissenschaftler. Die Lehrenden am College konnten den Unterricht frei von Vorgaben gestalten; statt Fakten standen Methoden im Zentrum des Lernens. Die Schule entwickelte sich in den 1940er-Jahren zu einer der führenden fächerübergreifenden Hochschulen, die sich vor allem den Kunstsparten, aber auch der Ökonomie und der Physik zuwandte. Meister des Bauhauses wie Gropius, Musiker wie John Cage oder der Mathematiker Max Dehn lehrten am Institut, und auch Albert Einstein war als Gastdozent tätig. 1957 jedoch wurde die Schule geschlossen, weil Teile des Personals zur Zeit des Kalten Krieges unter Kommunismusverdacht gerieten und sich die Geldgeber abwandten.
„Die Bauhaus-Tradition lehrt Mut und Verantwortung“
Interview mit Prof. Dr. Winfried Speitkamp, Präsident der Bauhaus-Universität Weimar.
Herr Speitkamp, was unterscheidet Ihre Universität von anderen Hochschulen?
Wir sind wohl die einzige Universität in Deutschland, die nach einer Idee und einer Stilrichtung benannt ist. Das nehmen wir sehr ernst. Nicht im Sinne einer bloßen Pflege der Tradition, sondern im Sinne einer Erneuerung der Fragen, die damit verknüpft sind: Wie wollen wir heute Technik, Wissenschaft und Gestaltung verbinden, wie wollen wir eine lebenswerte Umwelt gestalten? Gibt es neue Herausforderungen, etwa Künstliche Intelligenz, die uns neue Antworten abverlangen?
Gibt es weitere Hochschulen, national wie international, die sich der Bauhaus-Tradition heute noch verpflichtet sehen oder aus dieser Tradition heraus gegründet wurden?
Selbstverständlich gibt es viele Kunstschulen, bis hin zu unseren internationalen Kooperationspartnern wie dem School of the Art Institute of Chicago oder dem Pratt Institute in New York, die sich intensiv mit der Bauhaus-Tradition auseinandersetzen, auch wenn sie sich nicht nur diesem Erbe verpflichtet sehen. Gerade die Vielfalt der Aneignungen und Deutungen des Bauhaus-Erbes ist hier von besonderem Interesse.
Welche konkreten Erkenntnisse der Bauhaus-Gründer finden sich heute in der allgemeinen Lehre wieder?
Lehre, Inhalte und Methoden haben sich weiterentwickelt. Aber die Idee, Technik, Handwerk, Wissenschaft und Gestaltung zusammenzudenken und zusammenzuführen, bleibt auch in der Lehre faszinierend und aktuell. Es ist wie mit vielen der Ideen aus der großen Reformzeit um 1900, in der auch das Bauhaus seine Wurzeln hat: Ansätze der Jugendbewegung, der Reformpädagogik, der Naturheilbewegung, des Vegetarismus, der Gartenstadt und vieler anderer Reforminitiativen wirken bis heute fort, auch wenn man sich dessen vielfach nicht mehr bewusst ist.
Welche Rolle kann die Bauhaus-Tradition in der heutigen, sich stetig verändernden Welt spielen und wo könnten innovative und revolutionäre Entwicklungen stattfinden?
Die Bauhaus-Tradition lehrt Mut und Verantwortung für die Gestaltung der Gegenwart. Daran kann man gerade in einer sich rapide verändernden Welt anknüpfen. Das Bauhaus wollte nicht zurück in eine idealisierte Vergangenheit, wie z.B. die Heimatschutzbewegung oder der Historismus, vielmehr wollte es in der Moderne eine andere Moderne erdenken und ermöglichen. Genau das ist auch heute die Aufgabe: Wie können wir die Bedingungen des Wandels in der Moderne so gestalten, dass wir eine lebenswerte Umwelt und den Zusammenhalt der Gesellschaft sichern. Die Bauhaus-Universität kann hier als Ort für unkonventionelle Ideen und Lösungen ein Vorreiter werden.
Kommentare
Kommentieren