Arbeitsbedingungen in der Kunst
Musik aus dem Fair-Trade-Download
Viele Künstler leben in prekären Verhältnissen, die wenigsten können von ihrem Schaffen leben. Initiativen wie faire Musikanbieter und Fair-Trade-Zertifikate für Musiklabels zeigen, dass eine gerechtere Wertschöpfungskette möglich wäre.
Von Johannes Zeller
Auch wenn es noch nie so viele YouTube-Millionäre und Castingshow-Sternchen wie heute gab, lebt die Mehrheit der Kunstschaffenden in Deutschland in prekären Verhältnissen. Sie beklagen, dass das Ausmaß an Bürokratie, der Selbstvermarktungsdruck und die Konkurrenz immer größer werden. Das spürt man besonders in Berlin, wo die Künstlerdichte selbst im internationalen Vergleich besonders hoch ist. Lange wurden Künstler von billigen Ateliermieten scharenweise in die Stadt gelockt, nun jedoch steigen die Kosten. Wohnraum ist in Berlin zwar immer noch billiger als in London oder Paris, doch der durchschnittliche Mietpreis hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre von 5,20 Euro auf 9,50 Euro pro Quadratmeter nahezu verdoppelt. Damit ist Berlin deutschlandweit Spitzenreiter – in keiner anderen deutschen Stadt sind die Mietpreise so rasant gestiegen –, aber auch Städte wie München, Hamburg und Frankfurt verzeichneten einen Anstieg von immerhin 50 Prozent.
Die 2018 veröffentlichte Studie „Situation Berliner Künstler*innen und Gender Gap“ des Berliner Instituts für Strategieentwicklung hat die Arbeitsbedingungen von bildenden Künstlern in Berlin untersucht: Für 80 Prozent der Kulturschaffenden im Bereich der bildenden Kunst ist die Kunst ein Verlustgeschäft, nur jeder zehnte Befragte kann das ganze Jahr über von ihr allein leben. Frauen verdienen dabei im Schnitt rund ein Drittel weniger als Männer. Zudem prognostiziert die Studie, dass rund 90 Prozent der über 1.700 Befragten in die Altersarmut schlittern werden – auf sie wartet eine Durchschnittsrente von 357 Euro.
Der Mythos des brotlosen Künstlers existiert nicht nur, er scheint sogar die Regel zu sein. Analog dazu entwickelt sich jedoch eine Bewegung, die sich für fairen Handel in der Kunst einsetzt – so unter anderem im Bereich Musik.
Der Konsument hat die Wahl
An der Wertschöpfungskette beispielsweise eines Musik-Downloads sind viele Akteure beteiligt: Labels, Vertriebe, Plattformen, Urheberrechtsgesellschaften, Agenten und Manager. Im unübersichtlichen Markt der Download- und Streaming-Anbieter bestehen große Unterschiede darin, wie groß das Stück vom Kuchen ist, das für den Künstler übrig bleibt.
So schüttet iTunes dem Urheber eines Musikstücks in etwa zwei Drittel des Ertrags aus, den das Unternehmen durch den Verkauf einnimmt, verlangt im Gegenzug jedoch eine jährliche Gebühr, die vor allem für kleine Musikgruppen schwer zu stemmen ist. Wie das Infografikportal „Information is Beautiful“ ausgerechnet hat, müsste ein Solokünstler 1.826 Song-Downloads monatlich auf iTunes verzeichnen, um den amerikanischen Mindestlohn zu verdienen. Unter den großen Anbietern gibt die Onlineplattform Bandcamp den Musikern mit 85 Prozent das größte Stück vom Ertrag weiter.
Eine Alternative bieten Musik-Plattformen, die sich auf faire Bedingungen spezialisiert haben. Beispielsweise das Schweizer Startup igroove, das Lieder von mehr als 3.000 Interpreten zu fairen Konditionen zum Download anbietet. 92 Prozent der Einnahmen gehen direkt an die Künstler. Musikliebhaber haben zudem die Möglichkeit, ihre Lieblingsinterpreten zu unterstützen, indem sie auf Wunsch mehr bezahlen. Ein anderes Beispiel ist die genossenschaftlich organisierte Plattform Resonate. Resonate hat ein „Stream-to-own“-System entwickelt, das ohne monatliches Abonnement funktioniert. Die Hörer zahlen für jedes Abspielen eine kleine Summe Geld. Nachdem sie einen Song zum neunten Mal gehört haben, haben sie den gesamten Kaufpreis gezahlt und können ihn kostenlos herunterladen. Die Genossenschaftsmitglieder – Künstler, Label und Musikliebhaber – bestimmen gemeinsam die Regeln und teilen Gewinne unter sich auf.
Ein Straßenmusikant in Berlin. |
| Foto: © picture alliance/imageBROKER
Letztendlich entscheidet der Konsument. Doch häufig fehlen ihm die Informationen, um eine ethische Kaufentscheidung zu treffen. Die kanadische Nichtregierungsorganisation (NGO) Fair Trade Music International (FTMI) hat deswegen ein Fair-Trade-Zertifikat für Musik entwickelt. Ähnlich wie im klassischen fairen Handel, etwa bei Lebensmitteln, bürgt ein Logo dafür, dass das jeweilige Musik-Outlet die Profite gerecht mit den Künstlern teilt. Mindestens 80 Prozent der Einnahmen müssen für die Nutzungsrechte ausgezahlt werden, um das Siegel zu bekommen.
Mittlerweile wird FTMI von einer halben Million Musiker weltweit unterstützt, doch erst ein einziges Musiklabel hat das Zertifikat erhalten. Den meisten Musikverlegern sei der Zertifizierungsprozess zu aufwendig, sagt die NGO. Unter anderem verlangt dieser eine Offenlegung der Buchhaltung – davon lassen sich die großen Streamingdienste und Musiklabels nur schwer überzeugen.
Selbstverpflichtung zu grundlegenden Arbeitsrechten
Einen anderen Ansatz verfolgt der Verein Art but Fair in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Er setzt vor allem auf Sensibilisierung. Durch Aktionen wie der „Künstler-Klagemauer“, einer Facebook-Seite, auf der Künstler ihre Erfahrungen mit unfairen Arbeitsbedingungen veröffentlichten, oder den Preis „Goldene Stechpalme für die traurigsten und unverschämtesten Vorkommnisse in der Darstellenden Kunst und Musik“ will der Verein Politik und Gesellschaft auf Missstände aufmerksam machen. Ziel des Vereins ist es, ein Zertifikat für Kulturinstitutionen entwickeln, die faire Arbeitsbedingungen bieten – in der Hoffnung, dass staatliche Kulturförderung zukünftig an dieses Gütesiegel gebunden sein wird.
Bis es soweit ist, bleibt Kunstschaffenden nur die Selbstverpflichtungserklärung, die der Verein entwickelt hat. Die Unterzeichner des Vertrags müssen dem Verein regelmäßig Fortschrittsberichte einreichen, ihre Namen werden auf der Website veröffentlicht. Sie verpflichten sich unter anderem dazu, nur Arbeitsverhältnisse mit einer angemessenen Gage zu akzeptieren und auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen zu bestehen. Immerhin: Der Vertrag ist nicht nur für Künstler, sondern auch für Arbeitgeber und Kulturpolitiker gedacht. Einzelne Manager, Intendanten und eine Politikerin gehören auch bereits zu den Unterzeichnern.
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