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Interview mit Olaf Grawert und Alina Kolar
​Der deutsche Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig

In 2023 everybody had enough
„In 2023, everybody had enough.“ | History Channel, film still © 2038

Auf der 17. Architekturbiennale in Venedig wird Deutschland durch das interdisziplinäre Team „2038“ repräsentiert, bestehend aus Olaf Grawert, Arno Brandlhuber, Nikolaus Hirsch und Christopher Roth. Das Team hat die Jury mit einem fiktiven „Rückblick aus der Zukunft“ überzeugt, der die Gegenwart vom Jahr 2038 aus betrachtet. 

Von Lucia Conti

Wir haben Olaf Grawert und Alina Kolar interviewt: Letztere wird in Venedig das Projekt Arts of the Working Class (mehrsprachige Berliner Straßenzeitung) vorstellen, das sie gemeinsam mit Paul Sochacki und María Inés Plaza Lazo ins Leben gerufen hat.

Olaf Grawert und der Erfolg einer neuen Vision

Eure Geschichtsfiktion sagt eine globale Krise voraus, mit einem Höhepunkt im Jahr 2023. Warum?

Unser Projekt wollte keine genau datierten Zukunftsvoraussagen treffen, sondern von einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise sprechen. Mit dieser verbunden ist ein Moment, in dem die Mehrzahl der Menschen erkennt, dass der Wettbewerb um eine Anhäufung von Ressourcen und Wohlstand nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.
Collaboration instead of competition „Collaboration instead of competition.“ | History Channel, film still © 2038 Wir müssen uns ein neues System ausdenken und aufbauen, und mit 2038 haben wir genau das gezeigt: den Erfolg einer neuen Vision, die über alle Erwartungen hinausgeht. Und die Architekten sind Teil der Lösung.

Hat sich dein „Blick aus der Zukunft“ verändert, als die Welt von der Pandemie erschüttert wurde?

Die Pandemie hat nichts verändert, weil sie schon immer Teil der Geschichte war. Genau wie die letzte und die nächste Finanzkrise. Der Unterschied ist, dass wir jetzt vorbereitet sind, wir haben Antworten.

Viele der Statements, die wir vor dem letzten Frühjahr gesammelt haben, erschienen damals radikal. Heute, nach mehr als sechs Monaten Unsicherheit und Veränderungen, erscheinen sie realistisch oder sogar normal, etwa die Forderung nach mehr Solidarität und weniger Wettbewerb auf dem Markt, nach dezentraler, digitaler Infrastruktur im Alltag oder nach Wirtschaftssystemen, die ökologisch sinnvoll sind.

Die Architekturbiennale war für November 2020 vorgesehen, findet nun aber vom 22. Mai bis zum 21. November 2021 statt. Dennoch ist die Frage des Kurators Hashim Sarkis „How will we live together / Wie werden wir künftig zusammenleben?“ so wichtig wie nie zuvor. Wie wird die Architektur darauf antworten?

Mit Transparenz und Verantwortung. In einem Szenario, in dem das Privateigentum nicht mehr als Vorbedingung und Antriebskraft der Gesellschaft gilt und die Verteilung und das Management von Ressourcen neu überdacht werden, nimmt die systemische Bedeutung der Architektur zu. Die Arbeitsmodelle, auf die sich Architektur stützt, werden immer wichtiger. Die normative Dimension, die Architektur schon immer ihre Gestalt gegeben hat, wird Teil der allgemeinen Praxis, und die Architekten werden ihre herkömmlichen Planungsverfahren auch um die von Systemen zum Ressourcenmanagement ergänzen.

Wie sind die Erwartungen bezüglich dieser Biennale und wie wird sie deiner Meinung nach von einem Publikum aufgenommen, das nicht vom Fach ist?

Das ist eine Frage, die eine ehrliche Antwort verdient. Es gibt viel Kritik an der Biennale oder an ähnlichen Ausstellungen, besonders, was ihren Einfluss außerhalb eines homogenen Fachpublikums angeht. Wir werden trotzdem immer im Sinne eines „Dieses und jenes“, nicht eines „Dieses oder jenes“ diskutieren. Unser Ziel war von Anfang an, sowohl das „typische“ Biennale-Publikum als auch ein anderes Publikum zu erreichen.

Wir haben außerdem eine Zusammenarbeit mit Gruppen und Medien außerhalb der Biennale angeregt, etwa mit dem Straßenmagazin Arts of the Working Class, das 2038 auf die Straße gebracht hat, noch bevor das Projekt im Pavillon zu sehen sein wird. Gemeinsam haben wir eine Zeitung aus dem Jahr 2038 gestaltet, in der die Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen, reflektiert und erweitert werden.
Paul Sochacki wearing Arts of the Working Class merch Paul Sochacki wearing Arts of the Working Class merch | © Arts of the Working Class Eines Tages wurde die Zeitung sogar mir auf der Straße angeboten. Und als ich gefragt habe: „Um was geht es darin?“, hat der Verkäufer geantwortet: „Darum, wie wir in Zukunft zusammenleben und wie alles wieder gut wird.“

Woran arbeitest du, abgesehen von der Biennale?

Ich lehre Architektur und Entwurf an der ETH Zürich, zusammen mit Arno Brandlhuber und Christopher Roth. Gerade strukturieren wir auch unser Architekturbüro Brandlhuber+ um. Wir planen ein Mehrzweckgebilde, das gleichzeitig Atelier und Geschäft ist.

Alina Kolar und die öffentliche Dimension der Kunst

Was genau ist „Arts of the Working Class“?

Arts of the Working Class No. 13: Eurothanasia Arts of the Working Class No. 13: Eurothanasia | © Arts of the Working Class Ein alle vierzehn Tage erscheinendes Magazin, das 2018 in Berlin entstanden ist und sich mit Kunst und Gesellschaft, Armut und Wohlstand beschäftigt. Hier finden Beiträge von Künstler*innen und Intellektuellen aus verschiedenen Bereichen und Ländern ihren Platz.
Arts of the Working Class nicht nur eine inklusive Plattform, sondern auch ein Kunstwerk mit ethischem Anspruch. Es wird auf der Straße verteilt, von Menschen, die die Erträge aus den Verkäufen zu 100 Prozent behalten.

Wie wird die Ausgabe aussehen, die ihr in Venedig präsentiert?

Die Inhalte der gesamten Ausgabe sind in der Zukunft angesiedelt und an 2038 gekoppelt, in der Hoffnung, dass wir uns in dieser Pandemiezeit in eine von uns sogenannte „new serenity“, eine „neue Unbeschwertheit“, projizieren können.
Viele Texte werden ins Italienische übersetzt, damit das Magazin noch besser nutzbar und die Diskussion so demokratisch wie möglich ist.

Arts of the Working Class Arts of the Working Class | © Arts of the Working Class Was meint ihr, wenn ihr von „Working Class“ sprecht?

Die „Working Class“, auf die wir uns im Titel beziehen, wird in der heutigen globalen Welt neu definiert, und die Zeitung konzentriert sich auf die prekäre Situation der Künste.

Die Auflage beträgt momentan 38.000 Exemplare, die weltweit auf der Straße kursieren. Das Magazin ist auch in verschiedenen Museen, Institutionen und Galerien zu finden. So wollen wir die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sphäre durchbrechen.

Was unternehmt ihr noch?

Wir bauen ein Netzwerk auf, im Zusammenhang mit der „Union der Abgewiesenen“, einer neuen Art von Gewerkschaft für die Künste, die sich zum Ziel setzt, den Druck und die Muster des Kapitalismus hinter sich zu lassen.

Wir beschäftigen uns auch damit, dass der Kunstsektor als Arbeitsumfeld durch die Pandemie noch prekärer geworden ist. Die Teilnehmer*innen unserer Workshops werden untersuchen, wie es möglich sein könnte, Wettbewerb und persönlichen Erfolg als Leitprinzipien durch verschiedene Formen von Solidarität und gegenseitiger Unterstützung zu ersetzen.
2038 „Arts of the Working Class x 2038, The New Serenity“ | Announcement, gif © Ladipo Famodu x 2038

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