100 Jahre Beuys
Die Begegnung zwischen Beuys und Burri in Perugia
Die Begegnung zwischen Joseph Beuys und Alberto Burri stellte einen Moment tiefgreifender künstlerischer Reflexion wie auch ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Visionen dar und war das Ergebnis einer Intuition des Kurators Italo Tomassoni. Schauplatz der Begegnung war Perugia – eine weitere italienische Stadt, neben Neapel und Bolognano, mit der Joseph Beuys in Austausch stand.
Von Nicola Brucoli
Vor dem Hintergrund der Rocca Paolina trafen drei unterschiedliche künstlerische Welten aufeinander: der analytische Ansatz des Kurators Italo Tomassoni, die informelle und materialbetonte Kunst von Alberto Burri und der humanistische und universelle Zugang von Joseph Beuys.
Tomassoni wollte zwei Künstler zusammenbringen, die in ihrem jeweiligen Heimatland und der europäischen Szene etabliert waren, einander bis dahin aber nicht kannten. In der Publikation „Beuys | Burri. La persistenza del valore“ erzählt der Kurator, dass sein Experiment auf sehr konkreten Überlegungen beruhte. Seine Idee war, auf die Kolonisierung der europäischen Kunst durch die amerikanische Popkultur mit einem Treffen zwischen zwei absoluten Größen der figurativen Kunst des alten Kontinents zu reagieren.
Joseph Beuys a Perugia
| © Magonza Editore | Foto: Lionello Fabbri
Zu jener Zeit schien Europa nicht imstande, dieser Entwicklung auf künstlerischer Ebene etwas entgegenzuhalten. Um der Bewegung neuen Antrieb zu geben, beschloss Tomassoni, zwei gegensätzliche Künstler aus unterschiedlichen Bereichen auszuwählen und auf diese Weise eine neue Front zu schaffen.
Warum Burri und Beuys
Perugia ist die Hauptstadt der Region, in der Alberto Burri geboren wurde. Im Laufe seiner künstlerischen Karriere war er nicht mehr dorthin zurückgekehrt. Das Treffen wurde damit zu einer Gelegenheit, den Maestro nach Hause zu holen, und eröffnete diesem die Möglichkeit, sich mit den eigenen Wurzeln und einem anderen Künstler als sich selbst auseinanderzusetzen.Joseph Beuys hingegen war der „Außenseiter“, der Deutsche, Vorreiter einer Kunst, die über das rein Ästhetische hinausging und eine anthropologische Dimension umfasste. Gleichzeitig hatte er durch seine Bekanntschaft mit Lucio Amelio in Neapel und der Familie Durini in Bolognano bereits Erfahrungen in Italien gesammelt.
Plakat der Ausstellung von Burri und Beuys in Perugia, 1980 | © Magonza Editore Tomassoni gelang es, zwischen den beiden Künstlern zu vermitteln, und lockte die beiden mit der Möglichkeit, den anderen zu treffen und zur Krise der europäischen Kunst befragt zu werden. Besonders viel Überzeugungsarbeit bedurfte es diesbezüglich bei Burri, der ungern kommunizierte und sehr verschlossen und zurückhaltend war.
Als „Location“ für die Konfrontation wurde die Rocca Paolina in Perugia gewählt – eine Festung aus dem 16. Jahrhundert, die einer unterirdischen Zitadelle ähnelt. Ein Schauplatz, der die beiden Künstler überzeugen würde und der trotz seines großen architektonischen und städtebaulichen Werts nicht öffentlich zugänglich war, sondern verlassen stand.
Das Treffen
Am 4. April 1980 trafen sich Beuys und Burri in der sanierten Rocca Paolina.Nach einer Einleitung durch Italo Tomassoni stellte der Kurator die beiden Künstler vor und bat sie, der Welt das Wesen der europäischen Kultur zu erklären.
Auf diese Aufforderung reagierten Beuys und Burri, wie es bei zwei so unterschiedlichen und unabhängigen Persönlichkeiten zu erwarten ist, jeweils auf ihre eigene Weise.
Joseph Beuys setzte auf die Kraft des Wortes, während Alberto Burri nicht besonders gesprächig war. Für ihn zählte nur das Bild und das zeigte sich auch bei dem Treffen.
Während Beuys sich darauf vorbereitete, seinen Vortrag zu moderner Kunst im zentral gelegenen Kanonensaal zu halten, zog sich Burri in den entlegensten Raum der Festung zurück. Dort ließ er einen großen eisernen Obelisken aufstellen, der später den Namen Grande Nero R.P. erhielt.
Als die beiden Künstler und der Kurator am Ende der Performance wieder zusammenkamen, erklärte Beuys mit ironischem Unterton: „Es ist nicht meine Schuld, wenn diese Begegnung, die ein Dialog hätte werden sollen, letztlich ein Monolog war.“
Gedankentafeln
Doch es war ein durchaus bemerkenswerter Monolog. Der deutsche Künstler hörte sich Tomassonis Fragen und Provokationen an, ließ sich diese dolmetschen und erläuterte dann die theoretischen Überlegungen, die seiner Vision von Kunst jenseits von Kunst und Sprache zugrunde lagen, während er seine Vision der Welt auf sechs großen schwarzen Tafeln illustrierte.Auf Grundlage dieser Skizzen referierte er zur demokratischen Verteilung des Geldes, zum gleichen Recht auf Arbeit und dem Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsum. In ans Mythenhafte grenzenden Ausführungen erläuterte Beuys seine post-kapitalistische und post-produktive Vision der Welt und seine Vorstellung von der Rettung der Natur. Es war beinahe eine messianische Botschaft, in der er behauptete, die Welt sei ein Kunstwerk und jeder Mensch könne ein Künstler sein. Seine Vision war die einer sozialen Skulptur.
Nach dem Treffen wurden Beuys’ Tafeln zunächst in ein Lager gebracht und später im Palazzo della Penna aufgestellt, wo eine Dauerausstellung zu Beuys eingerichtet wurde – das einzige öffentliche italienische Museum, das dem deutschen Meister gewidmet ist.
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