„Unseen / Ungesehen. Blicke auf Europa“
Ich sehe was, was du nicht siehst
Während europäische Großstädte wie Berlin oder Paris immer weiter wachsen, gibt es Regionen in Europa, die von Perspektivlosigkeit geprägt sind. Doch wie leben Menschen in diesen aus dem Blickfeld geratenen Gegenden? Vier Fotografinnen und Fotografen haben sich auf Einladung des Goethe-Instituts auf die Reise nach Albanien, Deutschland, Italien und Belarus begeben, um verschiedene Lebenswelten und Familiengeschichten zu beleuchten.
Von Katrin Ostwald-Richter, Leiterin des Goethe-Instituts Mailand
Es gibt ein Europa fern der urbanen Zentren, das wir nur selten in den Blick nehmen und dessen Bewohnerinnen und Bewohner zunehmend ungesehen bleiben. Für das Projekt „Im Schatten – Familien in Europa“ sind vier Fotografinnen und Fotografen aus Albanien, Belarus, Deutschland und Italien sowohl in das eigene als auch in eines der anderen Länder gereist, begleitet von ortskundigen Journalistinnen und Journalisten. Die entstandenen Arbeiten mündeten in die Ausstellung „Unseen / Ungesehen. Blicke auf Europa. Vier Fotografen auf Reisen“, die gestern im Mailänder Zentrum für internationale Fotokunst MiCamera eröffnet wurde. Ihre Bilder, Videos und Textbeiträge nehmen das Publikum in die verschiedenen Lebenswelten und Familiengeschichten mit und beleuchten Fremdes und Vertrautes, Trennendes und Gemeinsames. Wie leben Menschen in diesen aus dem Blickfeld geratenen Gegenden, was bewegt sie? Wovon träumt die Frauenbeauftragte Sandy aus Wolfen oder die 15-jährige Klejda aus Puke, einem kleinen Dorf in Albanien? Was bewegt den Bergarbeiter Salvatore aus Sulcis in Sardinien? Woran denkt Bäuerin Marija im belarussischen Pinks, wenn sie in ihrem Familienalbum blättert?
Porträt einer Witwe in Polesien
| Foto: Andrei Liankevich
Aus dem Blickfeld geraten
Jutta Benzenberg, Mila Teshaieva, Andrei Liankevich und Livio Senigalliesi zeigen Arbeiten aus Regionen, die von Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit geprägt sind, und konzentrieren sich auf Gebiete, die vermeintlich aus dem Blickfeld der Gesellschaft geraten sind. Dazu gehören die ländlichen Regionen und kleinen Wohngebiete in Albanien, die weitreichende Moorlandschaft Polesiens in Belarus, das ehemalige Industrierevier in Sachsen-Anhalt und die sich im Abbau befindende Kohlebergbauregion Sulcis in Sardinien.Bergwerk in Sardinen | Foto: Livio Senigalliesi
Fernab einer durchtechnologisierten Moderne
Die Fotografin Jutta Benzenberg ermöglicht Einblicke in den Alltag von Frauen in ostdeutschen Randregionen. Andrei Liankevich begab sich in seiner Heimat Belarus auf die Lebenswege von Fischern und verlassenen Frauen im Sumpfgebiet Polesiens. In Sardinien wiederum traf er Menschen, deren Leben von der Arbeit im Bergwerk geprägt ist. Ebenfalls in Sardinien und Belarus war der italienische Fotograf Livio Senigalliesi unterwegs. Seine Fotos erzählen von Lebensrhythmen fernab einer durchtechnologisierten Moderne und von Menschen, die sich selbst überlassen sind. Beide spürten uralten Traditionen und Ritualen nach. Mila Teshaieva hat in Albanien und Deutschland Gebiete untersucht, die das Gefühl des Abgeschnittenseins von Wachstum und Fortschritt vereint. Ihre Bilder zeigen Momente des Zusammenlebens und zeugen von Solidarität und großer Willenskraft, besonders unter jungen Frauen.Hergisdorf in Sachen-Anhalt | Foto: Mila Teshaieva
Unbekanntes zutage fördern
Die Ausstellungseröffnung in Mailand lockte zahlreiche Besucherinnen und Besucher an. Sie einte die Neugier, mehr über das Leben in den Gebieten zu erfahren, die sich geografisch gar nicht so fernab befinden, aber ob ihrer Unbekanntheit unendlich fern erscheinen. Wer weiß schon, dass in Sardiniens letzter Mine Frauen unter Tage arbeiten oder dass es ein Polesien gibt? Die Autorenfotografie lässt Unbekanntes sichtbar werden und ermöglicht Eindrücke, die aus der eigenen Wahrnehmung beinahe verschwunden sind.Eröffnungsveranstaltung im MiCamera in Mailand | Foto: Rocco Soldini
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