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Die Konferenz der Abwesenden
Spiritistische Technologien

Konferenz der Abwesenden in Brüssel
Konferenz der Abwesenden in Brüssel | © Goethe-Institut Brüssel | Foto (Zuschnitt): Sebastian Hoppe

Die „Konferenz der Abwesenden“ hat in gewisser Weise alle Attribute einer spiritistischen Sitzung: durch das Stück führt eine entrückte Stimme, die alle hören, aber die man nicht orten kann und deren metallische Klänge nicht ganz menschlich wirken.

Von Caroline Godart

Diese Stimme lädt ein und kommandiert, und die Teilnehmer*innen gehorchen, stehen auf, tanzen, kommen sogar bis auf die Bühne; abwesende Stimmen, die von weit her erklingen, drücken sich in fremden Körpern aus, und diese erscheinen wie durch Zauberhand auf dem Bildschirm im Hintergrund der Bühne; sogar ein Schädel liegt auf einem Wohnzimmertisch! Aber unsere Welt, wenngleich durch und durch von Gespenstern bewohnt, die uns immer schon verzaubert haben, gibt den Takt deren Entzauberung vor: Im Gegensatz zu den Séancen des 19. Jahrhunderts werden heute alle Tricks sichtbar. Die Gespenster, deren Zeugnisse auf der Bühne von Menschen aus dem Publikum vorgelesen werden, sind lebendig, werden benannt und verortet; das Bühnenbild, ein banales Wohnzimmer, hat kein Geheimnis, und über den Schädel auf dem Wohnzimmertisch wird uns gesagt, dass er aus einer "Hamlet"-Inszenierung stamme.
Konferenz der Abwesenden in Brüssel Konferenz der Abwesenden in Brüssel | © Goethe-Institut Brüssel | Foto: Sebastian Hoppe Die entrückte Stimme berichtet uns sogar über ihre Herkunft und ihren Zustand: man erfährt, dass sie nicht etwa von einem Boten aus dem Jenseits stamme, sondern aus bits und irgendwo Gelesenem programmiert wurde, und auf uns zugleich sympathisch und selbstsicher wirken sollte. Doch das hartnäckige Mysterium erlischt nicht. Denn wenn auch das ganze Szenario dem/der aufgeschlossenen, modernen Zuschauer*in einleuchtet, führt es uns nichts desto weniger vor, wie esoterisch die Macht der Technik selbst ist: Diese Stimme, die uns Anweisungen gibt und der wir folgen, woher kommt sie genau? An welche Grenze der materiellen Welt geraten wir da? In welche Parallelwelt kommen wir, wenn wir eine affektive, intellektuelle und ästhetische Verbindung mit diesem Gespenst herstellen? Und diese Abwesenden, die in anwesenden Körpern Zeugnis ablegen, sind die etwa noch lebendig? Können wir da ganz sicher sein?

Gegen den Strom

Normalerweise geht Theater nach Regeln vor, die das genaue Gegenteil der Regeln, mit denen wir uns hier konfrontiert sehen, sind : gewöhnlich sind Schauspieler*innen ohne jeden Zweifel lebendig und präsent, und die Stimme aus dem Off, wenn es eine gibt, kommt von einer Person in den Kulissen und nicht von einem Gespenst, das den Zuschauerraum heimsucht; die Körper sind sichtbar, aktiv, echt, und natürlich bleiben auch die Zuschauer auf ihren Plätzen. Alles ist erfunden im Theater, aber das Erfundene beweist uns in Wirklichkeit, dass die körperliche, logische Welt, der wir angehören, sich bis auf die Bühne verlängert, da diese nur mit den allseits bekannten Konventionen spielt, um uns temporär eine andere Wirklichkeit zu suggerieren.

Die Konferenz der Abwesenden bricht mit diesen Konventionen und holt uns in die Dichte der technologischen Geheimnisse, die, paradoxerweise, die banale Wirklichkeit der Welt, in der wir leben, geworden ist. Trotz dieses Rationalismus, den wir wie eine Trophäe vor uns hertragen, ist die Esoterik, das Unsichtbare, die Allgegenwart, die sich an uns wendet, unsere Alltagsrichtschnur geworden. Und wie Rimini Protokoll zeigt, ist es genau in dieser Wirklichkeit, die a schon doppelt und so verwirrend, aktuell und virtuell ist, in der wir lebendig machen und verbreiten müssen, was unsere Menschlichkeit und unsere Körperlichkeit ausmacht: Gefühle zu teilen, Geschichten zu erzählen, Ideen zu entwickeln, Gemeinschaften zu bilden, auch wenn sie kurzlebig, auch wenn sie eingebildet sind.

Caroline Godart

Caroline Godart © Foto: privat Caroline Godart ist Schriftstellerin und lebt in Brüssel. Sie hat einen Doktor der vergleichenden Literaturwissenschaft (Rutgers University, USA, 2014) und unter anderem The Dimensions of Difference: Space, Time and Bodies in Women’s Cinema and Continental Philosophy (Rowman and Littlefield, London 2015) veröffentlicht. Sie ist Co- Herausgeberin der Zeitschrift Alternatives Théâtrales und war Dramaturgin am Théâtre La Bellone in Brüssel. Sie unterrichtet Literatur und Philosophie an der Ecole de Recherches Graphiques (ERG).

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