Kunstraum incontra... Hito Steyerl
Künstliche Intelligenz in Kunst und Gesellschaft
Hito Steyerl, die mit Platz 1 auf der ArtReview Power 100 zur einflussreichsten Künstlerin des Jahres 2017 gewählt wurde, erhält 2019 den Käthe-Kollwitz-Preis der Berliner Akademie der Künste und bestätigt somit ihre Stellung in der deutschen und internationalen Kunstszene.
Von Sarah Wollberg
Carolyn Christov-Bakargiev, künstlerische Leiterin der Documenta 13 und heute Direktorin des renommierten Museums für zeitgenössische Kunst Castello di Rivoli vor den Toren Turins holte sie nun nach Italien, wo ihre Ausstellung The City of Broken Windows bis Ende Juni 2019 in der Manica Lunga zu sehen ist.
Castello di Rivoli
| © Goethe-Institut Italien / Foto: Sarah Wollberg
Die Manica Lunga des Castello di Rivoli stammt aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und war bis zur Zerstörung im Jahr 1693 Teil des gesamten Schlosses. Die Renovierung und Neuausrichtung war das Werk des italienischen Architekten Andrea Bruno. Schon Helmut Newton hielt diese aufgrund ihrer Besonderheit kurz vor der Vollendung im Jahr 2000 in einem Schwarz-Weiß-Foto fest. Der lange Gang der Manica Lunga, der 147m lang und 6m breit ist, hat 16 große Fenster. Die Ausstellung The City of Broken Windows passt sich diesen Räumlichkeiten und ihrer Geschichte an. Sie spielt mit Gegensätzen: Video- und Audioinstallationen einerseits, klassische Schrift andererseits. Auf den kurzen Seiten des Flurs stehen sich zwei Videobildschirme gegenüber, auf den Längsseiten durchzieht ein Schriftzug die Wände und auf den Fensterscheiben heben sich einzelne Wörter desselben hervor: created, secret, riot. Die Soundeffekte sind über Lautsprecher im ganzen Gang zu hören. Digitale und analoge Kunstformen ergänzen sich. Die Videos und Schriften kommunizieren miteinander, auf der einen Seite die City of Broken Windows, auf der anderen Seite die Möglichkeiten einer hypothetischen City of Unbroken Windows.
Zerbrochenes Glas und die reparierende Funktion der Kunst
Auf dem ersten Bildschirm sieht der Besucher Ingenieure, die Glas zerschlagen, immer und immer wieder. Sie wollen einer künstlichen Intelligenz beibringen, das Geräusch von zerbrechenden Fensterscheiben zu erkennen, um maschinengesteuerte Sicherheitssysteme zu entwerfen. Gegenüber, genau am anderen Ende des Ganges, wird das zweite Video abgespielt. Der Künstler Chris Toepfer und sein wohltätiger Verein The Neighborhood Foundation ersetzen in den Armutsvierteln amerikanischer Großstädte zerbrochene Fensterscheiben leerstehender Gebäude mit von ihnen gemalten Bildern. Kunst möchte hier gegen Zerstörung ankämpfen, indem sie die Verwahrlosung stoppt und Menschen und Investoren wieder in die Viertel zurückholt.Ein Symposium zur Künstlichen Intelligenz
Ergänzend zur Ausstellung organisierte Hito Steyerl ein Symposium zur Künstlichen Intelligenz mit einem Team von Experten aus Deutschland und der ganzen Welt. Die Künstlerin selbst, zusammen mit dem in Berlin ansässigen Programmierer Jules Laplace, erklärt den Prozess, mit dem Maschinen das Geräusch von zerbrechendem Glas lernen. Sie hebt hervor, wie Künstliche Intelligenzen vom Menschen auf Vorurteile programmiert werden, wobei gefährliche Stereotypisierungen dabei zur Identifikation von Kriminellen oder zu tötenden Drohnen in Kriegen führen. Das Symposium fällt dabei genau in die Zeit, in der die Europäische Kommission erstmalig Ethik-Leitlinien für K.I. veröffentlicht. Ebenfalls mit auf dem Podium ist Anne Roth, deutsche Netzaktivistin und Mitgründerin der Plattform Indymedia, die sich insbesondere mit dem Thema der digitalen Überwachung auseinandersetzt. Sie kämpft für mehr Sicherheit im Netz und gegen die Mustererkennung, durch die Daten massenweise ausgewertet und kontrolliert werden.Vor 5 Jahren machte Edward Snowden die Überwachungspraktiken des Internets erstmalig einer breiten Öffentlichkeit klar und das Thema ging weltweit durch die Medien. Doch seitdem hat sich nicht viel geändert. „Die Regierung muss sich dringend für die Rechte von Internetnutzern einsetzen statt für die Interessen der Wirtschaft. Die Grundrechte müssen auch im Netz gültig sein. Die Möglichkeiten, mit Daten Geld zu verdienen, gehören eingeschränkt“, appelliert Anne Roth. Auf der einen Seite bietet Künstliche Intelligenz den Anschein auf mehr Sicherheit, auf der anderen die totale Überwachung. Und genau hier positioniert sich die Kunst und übernimmt eine wichtige Rolle. Denn mittlerweile ist Künstliche Intelligenz nicht nur ein Thema oder eine Technologie für die Kunst. Künstliche Intelligenzen sind längst selbst dabei, eigene Kunstwerke zu entwerfen.
Das Jahr 2019 hat gerade erst begonnen. Hito Steyerl erhält den Käthe-Kollwitz-Preis und ist im Castello di Rivoli zu sehen. Wir sind gespannt, welche Überraschungen uns Künstliche Intelligenzen im neuen Jahr bereiten werden. Hito Steyerl schließt ihr Symposium mit einer Warnung: Wer auch immer im Moment dabei sei, eine ausgefeilte Künstliche Intelligenz zu entwerfen, behalte das bitte die nächsten 500 Jahre für sich, so wie Leonardo da Vinci es mit seinen U-Boot-Modellen tat, weil er sie als eine Gefahr für die Menschheit einstufte.
Kommentare
Kommentieren