Nachruf auf Wolfgang Becker
Ein Hauch von Lubitsch
Wolfgang Becker wusste, dass Pointen am besten treffen, wenn sie auf kollektive Gefühle zielen. Nun ist der Regisseur von „Good Bye, Lenin!“ mit 70 Jahren gestorben.
Von Christian Schröder
Es ist ein märchenhafter Abschied, einer, der sich beinahe geräuschlos vollzieht. Aufgehängt an einem Hubschrauber, so schwebt der Torso des Lenin-Denkmals durch den Himmel von Berlin-Mitte. Seine rechte Hand hat der abgeräumte Revolutionär aufmunternd nach vorne gestreckt.
In Wolfgang Beckers Film Good Bye, Lenin! hat eine ostdeutsche Familienmutter den Untergang der DDR verschlafen, weil sie monatelang im Koma lag. Nun gaukelt der Sohn ihr vor, dass sie noch immer im Realsozialismus lebe. Damit sie nicht gleich noch einen Herzinfarkt erleidet.
Nur, dass immer wieder die Wirklichkeit der Illusion in die Quere kommt. Die Tragikomödie mit Katrin Sass und Daniel Brühl wurde zum Hit, mit mehr als sechs Millionen Zuschauern der erfolgreichste deutsche Film des Jahres 2003. Er lief in 64 Ländern und erhielt den französischen César sowie den spanischen Goya, jeweils als „bester europäischer Film“.
Erfolg mit dem Abschlussfilm
Becker kam 1954 in Hemer zur Welt, einer Kleinstadt im Nord-Sauerland. Bevor er an die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) wechselte, hatte er an der Freien Universität Germanistik, Geschichte und Amerikanistik studiert. Schon sein düsterer Abschlussfilm Schmetterlinge erregte international Aufsehen und wurde mit einem Student Academy Award ausgezeichnet, dem Studenten-Oscar.Anschließend arbeitete Wolfgang Becker fürs Fernsehen. 1994 gründete er mit den Regie-Kollegen Tom Tykwer und Dani Levy sowie dem Produzenten Stefan Arndt die Produktionsfirma X Filme, die sich nach dem Vorbild der United Artists zu einem der wichtigsten Kreativzentren des deutschen Films entwickelte.
Verliebt in die Straßenmusikerin
Der Titel von Beckers erstem Kinofilm, den er 1997 für X-Filme drehte, sollte zum Sprichwort werden: Das Leben ist eine Baustelle. Episodenhaft folgt das Drama einem durch Berlin driftenden, von Jürgen Vogel gespielten Anti-Helden. Er verliert seinen Job in einer Fleischfabrik, fürchtet, sich bei seiner Freundin mit HIV infiziert zu haben, und verliebt sich schließlich in eine Straßenmusikerin, dargestellt von Christiane Paul.Becker galt als detailversessener Perfektionist. Künstlerische Kompromisse wollte er eher nicht machen. So dauerte es – abgesehen von einem Beitrag zum Episodenfilm Deutschland 09 – nach seinem Triumph mit Good Bye, Lenin! zwölf Jahre, bis er 2015 mit Ich und Kaminski ins Kino zurückkehrte. Die Kunstbetriebssatire basiert auf einem Roman von Daniel Kehlmann und zeigt Daniel Brühl als großkotzigen Kritiker, der ein Enthüllungsbuch über einen greisen Maler schreiben will. Zuletzt hat Becker noch seinen Film Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße über eine Massenflucht aus Ost-Berlin abgedreht, nach dem Buch von Maxim Leo.
„In Ermangelung geeigneter Drehbücher warte ich lieber, bis ich ein Skript in der Hand habe, das sich für mich richtig anfühlt“, hat der Regisseur in einem Interview gesagt. „Ich versuche, stets Filme zu finden, die ich hundertprozentig vertreten kann.“
Am Donnerstag, 12.12.2024, ist Wolfgang Becker gestorben, nach schwerer Krankheit, aber dennoch überraschend, wie es heißt. Er wurde 70 Jahre alt und hinterlässt Ehefrau Susanne und Tochter Rike.
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