Vergessene Perlen: Unter dem Motto „Das andere Kino“ präsentiert die Retrospektive schmutziges Genre und migrantische Perspektiven.
Von Philipp Bühler
Die Deutsche Kinemathek plündert mal wieder ihr Filmarchiv. So wirkt es zumindest, wenn die diesjährige Retrospektive der Berlinale erneut eine deutsche Angelegenheit bleibt. Kein New Hollywood, keine internationale Science-Fiction wie in früheren Ausgaben, auch hier wird offenbar gespart. Bei genauerem Blick allerdings macht das Motto „Das andere Kino“ tatsächlich neugierig. Neben bekannten Regie-Namen wie Ulrich Schamoni, Roland Klick und Helke Sander findet sich so manche vergessene Perle aus den etwas abseitigeren Tiefen deutschen Filmschaffens. Das Programmheft drückt es vielwortiger aus und verspricht „unangepasste Protagonist*innen, eigenwillige Filmsprachen und unkonventionelle Produktionen aus der deutschen Filmgeschichte jenseits des Kanons“.
Genrefilm jenseits des Mainstreams
Schon immer sehen wollte ich
Engel aus Eisen (BRD 1981), ein westdeutscher Film noir des aus der DDR geflohenen Dichters Thomas Brasch. Brasch hielt es in keinem System gut aus und provozierte bei seiner Ehrung mit dem Bayerischen Filmpreis einen Eklat. Das Spiel mit Genres und Stilen findet sich auch in zwei weiteren Berlin-Filmen: italienischer Neorealismo in
Zwei unter Millionen (Victor Vicas, BRD 1961) mit dem jungen Hardy Krüger, ein bisschen Nouvelle Vague in Will Trempers Flughafen-Elegie
Die endlose Nacht (BRD 1963). Das Schicksal der meisten Filme in der Sektion war es wohl, will man eine gemeinsame Linie finden, weder in den Mainstream zu passen noch in den renommierten Neuen Deutschen Film um Werner Herzog, Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders. Den lange als Genrefilmer verschrienen Roland Klick, hier vertreten mit seiner herrlich schmutzigen Kleinkriminellen-Parabel
Supermarkt (BRD 1974), trieb der Streit mit den damaligen Fördergremien ins irische Exil.
Frauenfilme mit Skandalpotenzial
Stark abgebildet sind nach einer eigenen Retrospektive 2019 wieder Frauen, die es mit dem Filmemachen ja noch etwas schwerer haben. Schon der Titel von Helke Sanders
Die Deutschen und ihre Männer – Bericht aus Bonn (BRD 1989), offenbar ein satirischer Report, scheint da ganz passend. Sicherlich ernster fällt
Shirins Hochzeit (BRD 1976) von Helma Sanders-Brahms aus: Die Geschichte einer jungen Türkin, die auf der Suche nach ihrem Verlobten in die Hände eines Zuhälters gerät, rief in der Türkei und danach auch in Deutschland Proteste hervor. Migrantische Perspektiven auf Deutschland zeigen weiterhin
Im Land meiner Eltern (Jeanine Meerapfel, BRD 1981) und die deutsch-anatolische Low-Budget-Komödie
Kismet, Kismet (Ismet Elçi, BRD 1987). Was aber verbirgt sich hinter
Banale Tage (D 1991)? Eine Filmgroteske über das Wendechaos aus der Sicht zweier Ostberliner Jugendlicher, heißt es. Für aufregende Tage auf der Berlinale scheint jedenfalls auch dank der Filmschätze aus dem letzten Jahrhundert gesorgt.
Kommentare
Kommentieren