Diversität in den Medien
„Guter Wille alleine reicht nicht“
Zu wenig Journalist*innen mit Migrationshintergrund oder aus benachteiligten sozialen Gruppen: Dass die Medienbranche nicht divers genug ist, wird zunehmend als Problem wahrgenommen – auch und vor allem von Medienschaffenden selbst. Doch wie schafft man es, mehr Vielfalt in die Redaktionen zu bringen? Das Journalist*innen-Netzwerk „Neue deutsche Medienmacher*innen“ verfolgt konkrete Ansätze.
Von Eleonore von Bothmer
Die Journalistin Sheila Mysorekar ist nach acht Jahren als Vorsitzende nun im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM).
| Foto (Detail): © Brigitta Leber
Frau Mysorekar, als langjährige Vorsitzende der „Neuen deutschen Medienmacher*innen“ (NdM) waren Sie von Anfang an beim Netzwerk dabei. Wer sind die NdM und wie sind sie zusammengekommen?
Wir sind Medienschaffende – vor allem, aber nicht nur mit Migrationsbiographie – die sich für mehr Diversität einsetzen. Als wir vor zehn Jahren den Verein gründeten, wollten wir uns gegenseitig unterstützen, da fühlten wir uns als Menschen mit internationaler Geschichte in den Redaktionen oft allein auf weiter Flur.
Mehr Vielfalt in den Medien – was bedeutet das für die NdM?
Es geht um personelle Vielfalt in Redaktionen, mediale Repräsentation, Themen und Perspektiven. Letztlich geht es um guten Journalismus. Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft, aber die Redaktionen sind oft sehr homogen. Wenn nicht die verschiedenen Stimmen gehört werden, fehlen wichtige Aspekte der Berichterstattung. Das hat etwas mit Teilhabe zu tun, aber es betrifft eben nicht nur Minderheiten, wenn wir alle schlecht informiert sind.
Die NdM kritisieren immer wieder öffentlich die Art und Weise, wie medial über Themen berichtet wird – sei es in der Kriminalitäts-, Gesellschafts- oder der Auslandsberichterstattung –, wollen aber auch mehr Diversität unter Journalist*innen selbst fördern. Wie versuchen Sie das zu erreichen?
Wir haben beispielsweise ein Mentoring-Projekt, in dem etablierte Journalist*innen junge Nachwuchs-Journalist*innen aus Einwandererfamilien auf ihrem Weg begleiten. In den Medien kommt es sehr auf Kontakte an – und die haben viele Kinder aus Einwandererfamilien nicht. Medien prägen unsere Sicht auf die Welt, und je diverser eine Redaktion, desto mehr Einblick in verschiedene Lebenswelten hat sie und damit auch mehr Kompetenz.
Ihr Herkunft sorgt für Gesprächsstoff, immer wieder wurde über sie berichtet: Linda Zervakis, Tochter griechischer Einwanderer, moderierte von 2013 bis 2021 die „Tagesschau“, Deutschlands älteste und wichtigste Nachrichtensendung.
| Foto (Detail): © picture alliance/ZB/Karlheinz Schindler
Das ist also auch viel Bewusstseinsarbeit.
Ja. Das 50:50-Equality-Projekt der BBC ist ein schönes Beispiel, wie Bewusstsein geschaffen werden kann: Jede*r Journalist*in zählt eine Woche lang, wie viele Frauen in den eigenen Beiträgen vorkommen – wie viele Frauen habe ich interviewt, wie viele Protagonistinnen ausgesucht etc. – und vergleicht das mit den Kolleg*innen. Dann werden schnell mehr Frauen einbezogen, weil das Bewusstsein geschärft wird. So kann man das auch in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund machen – oder mit anderen unterrepräsentierten Randgruppen. Wie viele Einwander*innen, Arbeiterkinder, Ostdeutsche oder Frauen kommen in den Beiträgen vor, wie viele habe ich interviewt? So kann man Vielfalt auf verschiedenen Ebenen erhöhen.
Was braucht es noch?
Auf jeden Fall muss das von den Chefetagen gesteuert und gewollt werden. Man braucht konkrete Zielvorgabe, guter Wille allein reicht nicht. Das sieht man auch bei dem Versuch, mehr Frauen in Chefetagen zu bringen. Das dauert auch sehr lange und ist sehr zäh. In Unternehmen ändert sich erst etwas, wenn eine Minderheit eine kritische Masse von 30 Prozent erreicht; das weiß man inzwischen.
Wird mangelnde Diversität denn überhaupt als Problem gesehen?
Ja! Die NdM haben gerade einen Diversity Guide herausgebracht, eine Toolbox für Medienhäuser, die diverser werden wollen. Die Nachfrage ist enorm; wir werden schier überrannt, viele wollen auch zusätzliche Beratung. Das Problem ist also erkannt – die Frage ist, wie man es löst. Entscheidend ist für viele auch, dass man so andere – vor allem jüngere – Zielgruppen erfasst. Die finden es merkwürdig, wenn in Sendungen immer dieselben alten weißen Männer vorkommen, und wollen diverse Gesichter und Themen sehen. Wer zukunftsfähig sein will, muss auf Vielfalt achten.
Es geht also auch um Zielgruppen?
Das Projekt der BBC hat gezeigt: Je mehr Frauen gezeigt wurden, desto mehr Frauen haben zugehört. Diversität ist also auch erfolgsversprechend, nicht nur „nice to have“ oder politisch korrekt. So erschließt man sich neue und vor allem jüngere Zielgruppen. Ein Viertel aller Deutschen hat Migrationshintergrund, unter den Jüngeren und in manchen Städten sogar mehr als die Hälfte. Das sind keine Minderheiten mehr. Das überzeugt große Medienhäuser und auch kleine Blätter, daher die starke Nachfrage. Wir sind der einzige Verein in Deutschland, der Diversität in so einer Weise vertritt.
Vor zehn Jahren waren Journalist*innen mit Migrationshintergrund oft allein auf weiter Flur: Weil sie sich häufig ausgeschlossen fühlten, veröffentlichten die Zeit-Journalistinnen Alice Bota (von links nach rechts), Khue Pham und Özlem Topcu 2012 das Buch „Wir neuen Deutschen“.
| Foto (Detail): © picture alliance/dpa/Jens Boldt/Rowohlt
Wichtig ist auch, worüber genau berichtet wird, oder?
Das ist der Punkt, da braucht es mehr Normalität. Menschen mit Migrationshintergrund werden oft nur im Zusammenhang mit Kriminalität sichtbar. Aber es geht darum, deren Meinungen auch zu hören, wenn es um den Radweg geht oder um ein Architekturprojekt oder um die Lage in den Kindertagesstätten.
Welche Rolle spielt Sprache?
Es gibt noch immer viele Stereotype, die deutlich in der Sprache zum Ausdruck kommen. Tötet ein weißer Mann seine Familie, ist es eine „Familientragödie“. Ist er türkischer Herkunft, ist es ein „Ehrenmord“. Wie kann man so berichten, dass es nicht diskriminierend ist? Eines unserer frühen Projekte war ein Glossar – Formulierungshilfen für die Kolleg*innen im Redaktionsalltag – als Antwort auf die NSU-Berichterstattung. Da war noch von „Dönermorden“ die Rede, als längst klar war, dass es um Nazis ging. Man kann die Dinge auch anders ausdrücken. Für unser Glossar interessieren sich viele, auch Lehrer*innengewerkschaften oder die Polizei. Wenn negative Stereotype immer wiederholt werden, verstärkt das die Benachteiligung von Minderheiten. Das verzerrt das Bild und gefährdet den sozialen Frieden. Das ist für die gesamte Gesellschaft schlecht.
Wie lässt sich das ändern?
Wir gehen in Redaktionen, machen Blattkritik, diskutieren. Worte wie „Islamisierung“, die aus rechtsextremen Kreisen kommen, sind inzwischen normal. Viele Kolleg*innen merken das gar nicht. Das ist problematisch.
Tut sich Deutschland denn besonders schwer mit medialer Diversität?
Deutschland hinkt klar hinterher. In Großbritannien und den USA ist Diversität selbstverständlich; es wird sogar explizit darauf geachtet. Da ist es auch nicht komisch, wenn eine Sprecherin Kopftuch trägt. Hierzulande waren es die Privaten, die schon vor 20 Jahren afro-deutsche Moderator*innen eingesetzt haben – die hatten auch immer ein jüngeres Publikum.
Khola Maryam Huebsch, eine Journalistin mit Kopftuch – was in Großbritannien oder den USA längst normal ist, ist in Deutschland noch eine Ausnahme.
| Foto (Detail): © picture alliance/Erwin Elsner
Sie haben bestimmt nicht nur Freunde mit dem, was Sie tun ...
Nein, wir werden massiv angegriffen. Wir bekommen Hass-Mails und Drohungen aus der rechten Ecke. Einen Teil ignorieren wir, was justiziabel ist, wird angezeigt. Ansonsten positionieren wir uns weiter ganz klar gegen Rechts. Es gibt viel Gegenwind, aber unsere klare Haltung wird auch honoriert. Gerade haben wir wieder einen starken Zulauf an neuen Mitgliedern.
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