Geteilte Blicke
Die Erblast des Terrors und die Zukunft unserer Demokratien
Petra Terhoeven auf dem Symposium Vogliamo tutto | Rom – Goethe-Institut, 24. Oktober 2024 | © Goethe-Institut Italien | Foto (Detail): Francesco Cicconi
Im Rahmen der Veranstaltung „Vogliamo tutto“ im Goethe-Institut in Rom gingen die deutsche Historikerin Petra Terhoeven und die italienische Schriftstellerin Francesca Melandri miteinander ins Gespräch über den politisch motivierten Terrorismus der 1970er Jahre in Deutschland und Italien. Wir sprachen mit der Historikerin Terhoeven dazu, wie das schwere Erbe jener Zeit bis heute nachwirkt und machten mit ihr ein Gedankenexperiment: Welche prägenden Themen unserer Zeit werden Historiker*innen in 50 Jahren rückblickend erkennen?
Von Christine Pawlata
Fokus auf den Linksterrorismus
Die 70er- und 80er-Jahre in Deutschland sind untrennbar mit der linksextremistischen Roten Armee Fraktion (RAF) verbunden, die in diesen Jahrzehnten 37 Menschen ermordete. Auch rechtsextremistische Gruppierungen forderten zahlreiche Opfer, wie beim Oktoberfestattentat 1980, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen und mehr als 200 verletzt wurden.Laut Petra Terhoeven, Professorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen und seit Oktober Leiterin des Deutschen Historischen Instituts in Rom, gibt es mehrere Gründe für die große Aufmerksamkeit, die der Linksterrorismus in Deutschland erhielt: „Das hat sicher auch mit den Kommunikationsstrategien der Terroristen zu tun. Linksterroristen bekennen sich zu ihren Anschlägen, sie wählen ihre Opfer gezielt aus und liefern auch die Erklärung gleich mit.”
Im Gegensatz dazu zielen rechtsterroristische Angriffe häufig auf Menschen am Rande der Gesellschaft ab oder erfolgen willkürlich, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Terhoeven stellt fest: „So traurig das ist, Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, haben auch keine Lobby. Wenn Migrant*innen, Obdachlose oder queere Menschen angegriffen werden, ist es nicht ganz so leicht, die entsprechende Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit zu generieren.“
Opfer und Täter
Zu lange lag die Aufmerksamkeit auf den Tätern und nicht auf den Opfern der RAF, erklärt Terhoeven. Dies sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass die RAF mit Personen wie Ulrike Meinhof prominente Mitglieder hatte, die bereits vor ihrer Radikalisierung bekannt waren. Die Forschung habe zudem zur Fokussierung auf die Täter beigetragen, indem sie wichtige Fragen stellte, wie „Was treibt Menschen in diese Gewalt?“ und „Wie kann man Gewalt zuvorkommen?“, während die Folgen des Terrorismus oft vernachlässigt wurden. „Die massivsten Folgen hat Terrorismus selbstverständlich für die Menschen, die unmittelbar von ihm betroffen sind. Und dafür hat sich die Aufmerksamkeit erst in den letzten Jahren wirklich entwickelt.“Die Narben, die der Terrorismus der 70er Jahre hinterlässt, betreffen nicht nur die Familienangehörigen der Opfer, die oft noch immer nicht wissen, wer für den Tod ihrer Angehörigen verantwortlich ist. Auch die politische Instrumentalisierung des Linksterrorismus durch die damalige Mitte-Rechts-Opposition, die einen Kulturkampf gegen alles Linke entfesselte, ist ein bleibendes Erbe. Laut Terhoeven kann diese Dynamik auch heute noch aktiviert werden.
Bedrohung der Demokratie
Terhoeven beobachtete, dass das Thema Linksterrorismus oft die Bedrohung von rechts überschattet. Ein Beispiel hierfür ist die Festnahme der seit 30 Jahren untergetauchten RAF-Terroristin Daniela Klette Anfang 2024. „Die öffentliche Empörung und Wahrnehmung dieses Ereignisses war wirklich massiv“, erzählt Terhoeven.„Aber eigentlich war es ja die Zeit, wo zum ersten Mal in unserer Gesellschaft das Bewusstsein virulent wurde, wie groß eigentlich die Bedrohung von rechts ist und wie gefährlich die AfD für unser Gemeinwesen ist. Das war genau diese Phase, wo aus der Mitte der Gesellschaft viele Menschen auf die Straße gingen, um gegen diese Tendenzen zu protestieren.“
Dass die Gefahr für Demokratien wächst, wenn die Narben der Vergangenheit nicht verheilt sind, zeigt sich auch in der bleibenden Anfälligkeit unserer Gesellschaften für polarisierende Rhetorik und extremistische Bewegungen.
Historiker*innen der Zukunft, so Terhoeven, werden sich mit Themen wie den heutigen Konflikten in der Ukraine und im Nahen Osten befassen. Sie sieht unsere Demokratien in Gefahr: „Wobei der Terrorismus heute nicht mehr die entscheidende Bedrohung ist, sondern die wachsende Demokratieverdrossenheit in unseren Gesellschaften, die wachsende Bedrohung von rechts und die wachsende Unwilligkeit, die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in Europa im 20. Jahrhundert mit nationalistischen Bewegungen schon einmal ganz fürchterliche Erfahrungen gemacht haben.“
Die Ursachen der Demokratieverdrossenheit und wie die Akzeptanz und Legitimität unserer Demokratien gestärkt werden können, seien Fragen, die sich die Gesellschaft permanent stellen müsse, so Terhoeven. Sie sieht die traditionellen Medien als mitverantwortlich, aber auch die veränderte Strukturierung unserer Öffentlichkeit. „Leider ist über Social Media ein Kommunikationsraum entstanden, in dem Polarisierung belohnt wird, wo derjenige gehört wird, der am lautesten schreit und der manchmal auch am verletzendsten wirkt. Die Probleme unserer Zeit sind jedoch unglaublich komplex geworden. Was wir am wenigsten brauchen, sind die Vereinfacher.“
Für weitere Einblicke in die italienische Perspektive in der Diskussion über Terrorismus und Demokratie lesen Sie hier auch unser Interview mit Francesca Melandri.
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