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Geteilte Blicke
„KI ist nicht die Revolution, die uns versprochen wurde“

Nicola Lagioia, Ramak Molavi Vasse’i, Rainer Rehak im Rahmen der Veranstaltung „Menschliches, (nicht) Allzumenschliches. Wir und die Künstliche Intelligenz“ in Rom
Nicola Lagioia, Ramak Molavi Vasse’i, Rainer Rehak im Rahmen der Veranstaltung Menschliches, (nicht) Allzumenschliches. Wir und die Künstliche Intelligenz in Rom | © Goethe-Institut Italien | Foto: Monkeys Video Lab 120

Auf eine Zeitreise in die Zukunft, Vergangenheit und zurück in die Gegenwart begaben sich der Schriftsteller Nicola Lagioia, die Anwältin Ramak Molavi Vasse’i und der Forscher Rainer Rehak bei der Veranstaltung „Menschliches, (nicht) Allzumenschliches. Wir und die Künstliche Intelligenz“ im Goethe-Institut in Rom.

Von Christine Pawlata

„Was würde geschehen, wenn künstliche Intelligenz in der Lage wäre, Romane zu schreiben, die weitaus schöner sind als die besten Werke, die der talentierteste Schriftsteller der Welt je verfassen könnte?“ fragt sich der Schriftsteller Nicola Lagioia, dessen Werke Genres des Romans, journalistische Reportagen sowie soziologische und philosophische Analysen vereinen.

Ein Artensprung

Dass das nicht unbedingt fatal für die Menschheit sein müsse, skizziert Lagioia in einem Gedankenexperiment, denn, so fährt er fort: „Ist Sprache eine angeborene Eigenschaft des Menschen, oder ähnelt sie eher einem Virus?“ Er setzt dabei an der Hypothese des Autors Cormac McCarthy an, der in seinem Essay Das Kekulé-Problem 2017 darlegt, dass – im Gegensatz zum Unbewussten – gesprochene und geschriebene Sprache kein biologisch festgelegtes Phänomen sei. Wenn wir Sprache als eine Art Virus begreifen, sinniert der Schriftsteller, könnte dieser auch einen Artensprung vollziehen – vom Menschen hin zur künstlichen Intelligenz. „Was wäre, wenn wir von einer sprachlichen in eine postsprachliche Phase eintreten würden, in der künstliche Intelligenz durch eine enorme Weiterentwicklung ihrer Sprachfähigkeiten zu einer Brücke für eine tiefere Kommunikation zwischen uns Menschen, etwa über Emotionen, wird?“

Lagioia betont in seiner Analyse die Kraft der menschlichen Gefühle. Vielleicht, so der Schriftsteller, könne uns die KI dabei helfen, unsere eigene menschliche Intelligenz besser zu verstehen? „Ich würde mich nicht minderwertig fühlen. Denn wichtiger als die Welt mit Intelligenz zu verstehen, ist es für mich, die Welt mit meinen Gefühlen zu begreifen.“

Vor- und Nachteile nicht gleich für alle

Zurück in die Gegenwart geht es mit der Anwältin für digitale Rechte und unabhängigen KI-Forscherin Ramak Molavi Vasse’i. „Über KI wird gesprochen, als ob sie eine Art Universalmedikation mit großen Vorteilen und ein paar Risiken und Nebenwirkungen sei, die für alle gleich seien“, sagt Molavi Vasse’i. In der Realität gebe es jedoch große Ungleichheiten bei den Vor- und Nachteilen von KI. „Die diskriminierende Wirkung von KI ist ein Fakt. Sie nimmt Daten aus der Vergangenheit und passt sie auf die Gegenwart an.“ Als Beispiel nennt die Anwältin ein KI-System in den USA, das Gesundheitsleistungen an Patienten verteilt. In der Vergangenheit verschrieben Ärzte schwarzen Patienten aufgrund von Vorurteilen – wie der Annahme, dass sie weniger Schmerz empfinden oder sich nur anstellen – weniger Behandlungen. Die Funktionsweise der KI, die historische Daten zur Entscheidungsfindung heranzieht, verstärke diese diskriminierende Tendenz.

Auch das Argument, dass KI uns Arbeit abnehmen würde, die wir nicht mehr machen wollen, sieht Molavi Vasse’i kritisch. „Wir sollten uns immer fragen: Für wen und in welchen Teilen der Welt hat KI Vorteile?“ So überwache etwa Amazon die Arbeitsgeschwindigkeit seiner Mitarbeiter mittels Armbändern, im globalen Süden werden Arbeitskräfte zu niedrigen Löhnen für das Kennzeichnen von Daten ausgebeutet und in wasserarmen Regionen wie Chile werden Datenzentren gebaut, die riesige Mengen Wasser für die Kühlung benötigen. Gerade weil Technologie nicht automatisch für eine Verbesserung der Welt sorge, brauchen wir eine aktive Zukunftsgestaltung, so die Anwältin. „Wir alle müssen aktiv werden.“

Irreführende Narrative

Neu ist die Debatte um KI nicht. „Jeden Tag lesen wir, dass digitale Computer Schach spielen, Sprachen übersetzen, Muster erkennen und bald in der Lage sein werden, unsere Jobs zu übernehmen“, zitiert Rainer Rehak den Philosophen Hubert Dreyfus, der sich schon im Jahr 1972 kritisch über den damaligen KI-Hype äußerte. Wie Dreyfus vor über 50 Jahren sieht auch Rehak, der zu den Auswirkungen von Technologie auf die Gesellschaft forscht, eine große Diskrepanz zwischen der Realität und den „irreführenden Narrativen“, die KI entweder im Mantel der Utopie oder Dystopie abbilden.

„Ich will damit nicht sagen, dass sich nichts verändert. Wir können aber innehalten, um darüber nachzudenken, was gerade passiert“, so Rehak. „KI ist nicht die Revolution, die immer versprochen wurde.“ So seien KI-Systeme technisch nicht imstande, Verantwortung zu übernehmen oder Konzepte wie Wahrheit oder Lüge zu verstehen. Auch die Zukunft können sie nicht vorhersagen, erklärt Rehak, da sie lediglich die Vergangenheit analysieren und auf dieser Basis Prognosen für die Zukunft berechnen. Das funktioniere bei physikalischen Gesetzen, nicht aber bei menschlicher Interaktion. „KI als Vorhersagesysteme zu nutzen, ist, als würde man Auto fahren – mit Blick in den Rückspiegel.“

Wie Molavi Vasse’i betont auch Rehak, dass gesellschaftliche Entscheidungen von Menschen getroffen müssen werden, nicht von Maschinen. „Wir müssen zuerst politisch aushandeln, was wir wollen, und das kann man nicht auslagern.“

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