Zukunft der Gastronomie
Eine Atmosphäre der Herzlichkeit
Bratwurst statt Kaviar: Drei-Sterne-Koch Jan Hartwig über emotionales Essen, Nachhaltigkeit in der Gourmet-Gastronomie und Künstliche Intelligenz in der Küche.
Von Lena Kronenbürger
Die Küche im JAN – das „Labor der Liebe“.
| Foto: © Konstantin Volkmar
Jan Hartwig, was wäre Ihrer Meinung nach ein kulinarisches Erlebnis, das jeder Mensch einmal erleben sollte?
Ich wünsche jedem Menschen, dass er Mahlzeiten genießen kann, die mit Liebe zubereitet wurden. Das muss kein Sterne-Menü sein! Für mich ist es nicht erstrebenswert, zu sagen, jeder muss einmal im Leben Trüffel und Kaviar gegessen haben. Ganz und gar nicht. Gourmet- und Luxusküche ist subjektiv. Luxus kann auch sein, zu Hause im Kreise meiner Familie eine einfache Bratwurst auf den Grill zu schmeißen. Wenn man dafür nur alle Jubeljahre Zeit hat, dann kann das in dem Moment das tollste Essen sein. Für mich sind kulinarische Erlebnisse eng mit Emotionen verbunden. Selbst wenn ich als Koch mein Bestes gebe, kann ein Abend, an dem sich Gäste streiten, das Erlebnis trüben. Es geht nicht unbedingt um ein spezifisches Gericht oder ein Produkt, sondern um das Gesamterlebnis.
Was erwartet die Gäste in Ihrem mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant in München, das Sie nach Ihrem eigenen Vornamen JAN benannt haben?
Eine Atmosphäre der Herzlichkeit – ich möchte, dass sich die Gäste so wohl und willkommen fühlen, als wären sie bei mir zuhause. Dabei weiß man, wenn man in ein Restaurant mit drei Sternen geht: mehr geht nicht. Das Produkt muss absolut exorbitant toll sein und fantastisch schmecken. Unsere Küche zeichnet sich durch Vielfalt und die Akzeptanz für scheinbar einfache Produkte aus, was früher in Drei-Sterne-Restaurants undenkbar war. Wir bieten sowohl Trüffel als auch Schweinebauch an.
Bei der Verarbeitung von Fleisch und Fisch – nutzen Sie Nutzen Sie in Ihrem Restaurant das ganze Tier für Ihre Gerichte?, oder wie gehen Sie mit der Verarbeitung von Fleisch und Fisch um?
Ja, ich verwende das ganze Tier, kaufe aber nicht immer das ganze Tier, da das logistisch für uns nicht händelbar ist. Mir fehlt schlichtweg der Platz für die Aufbewahrung ganzer Tiere. Um ein Beispiel zu geben: Bei einem Saibling nutze ich nicht nur das Filet, sondern auch die Köpfe und Gräten für einen Sud und die Leber für einen Flan. In Deutschland sind Innereien leider nicht so beliebt wie in anderen Teilen der Welt. In Hongkong oder Tokio beispielsweise werden Innereien sehr geschätzt.
Wir müssen bewusster entscheiden, wie und wann wir Fleisch essen.
Mit dem Aufkommen von Laborfleisch und einer steigenden Erwartung an vegetarische Optionen auf Speisekarten: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit Ihrer Meinung nach für die Zukunft der Gastronomie?
Überfischung, ethische Bedenken bei Froschschenkeln, die Arbeitsbedingungen – zu meiner Lehrzeit war den Leuten so etwas egal. Wir müssen das Prinzip „leben und leben lassen“ befolgen und bewusster entscheiden, wie und wann wir Fleisch essen. So wie früher, da gab es auch nur einmal in der Woche einen Sonntagsbraten. Themen wie Beyond Meat und vegetarische Küche werden wichtiger. Der Weg der Zukunft liegt auch in mehr Körperbewusstsein. Die Menschen streben nach gesünderer Ernährung. Und es geht auch um das Wohl der Menschen, um faire Arbeitsbedingungen und darum, Ausbeutung zu verhindern.
Sie tragen zur Freude Ihrer Gäste bei, indem Sie sorgfältig Produkte auswählen, sie kunstvoll zubereiten und servieren. Wie stehen Sie zu Entwicklungen wie KI-basierten Empfehlungssystemen oder vollautomatisierten Küchengeräten?
Ich sehe das ambivalent. Technologie hat ihre Vorteile, und ich bin keineswegs ein rein analog denkender Mensch, der den guten alten Zeiten nachtrauert. Aber Kochen ist ein Handwerk, und wenn wir aufhören, die Zutaten mit unseren Händen zu fühlen, sie zu riechen, zu schmecken und visuell zu beurteilen, dann verliert der Beruf für mich seinen Reiz. Es gibt viele Arbeiten, die ich mit Handschuhen mache, aber manche Dinge, wie zum Beispiel Teig, muss man einfach direkt anfassen, um das richtige Gefühl dafür zu bekommen. Bei manchen Tätigkeiten wie dem Ausnehmen von Enten oder dem Filetieren von Fischen trage ich Handschuhe, aber das ist eher eine Frage der Bequemlichkeit. Die Qualität der Produkte ist entscheidend. Wenn das alles von KI übernommen wird, dann gute Nacht, Deutschland.
Kalbsbries, Sake Beurre blanc, getrocknete Kaviarbutter.
| Photo (detail): Restaurant JAN © Pieter D'Hoop
Was erhoffen Sie sich stattdessen?
Ich hoffe, dass in Deutschland die Akzeptanz für die hohe Kunst der Gastronomie steigt. In Frankreich wird ein Spitzenkoch wie ein Nationalheld gefeiert. Wenn Macron eine Feier im Elysée-Palast gibt, kochen die zehn besten Köche des Landes, wie Ducasse und andere. Stellt man sich vor, dass Olaf Scholz etwas Ähnliches mit führenden deutschen Köchen durchführen würde, würde das wahrscheinlich auf öffentliche Empörung stoßen, begleitet von Vorwürfen der Steuergeldverschwendung. Es geht in der Gastronomie nicht nur darum, teuren Kaviar mit einem silbernen Löffel zu essen oder Champagner zu trinken. Es geht um ein Kulturgut. Essen und Trinken bringt Menschen zusammen, vereint Familien. Es ist Geschichte, Tradition, Kultur – all das zugleich.
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