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Vom Cold War auf den Dancefloor
Am Ende des Kalten Krieges bastelten zwei Frankfurter innerhalb einer Woche den Megahit The Power zusammen – und erfanden mit der Geburt ihrer Produzentenband Snap! ganz nebenbei das Genre Eurodance.
Von Sonja Eismann
Ende der 1980er-Jahre war die US-amerikanische Jazz-Sängerin und Multiinstrumentalistin Penny Ford mit ihrer berühmten Kollegin Chaka Khan nach London gezogen, um von den Drogen loszukommen. Statt auf Entziehungskur setzten sie auf „Self-Detox“ und verließen kaum ihre Wohnung. Eines Tages platzte mitten in diese Isolation ein unerwarteter Anruf von zwei deutschen Musikproduzenten. Michael Münzing und Luca Anzilotti wollten, dass Chaka für ein neues Pop-Projekt rappt. Die meinte jedoch zu ihrer Freundin: „Ich bin keine Rapperin, aber du brauchst doch Geld, mach du es“. Auch Penny, die schon als 14-Jährige mit Parliament-Funkadelic auf Tour gewesen war, wollte nicht rappen, war aber tatsächlich auf die Einkünfte angewiesen. Sie setzte sich also in das Offenbacher Studio des von Münzing und Anzilotti neugegründeten Kleinstlabels Logic Records, ausgestattet nur mit einem Mikro, einer Schachtel Zigaretten und einem riesigen Aschenbecher. „Ich habe dort den schlechtesten Kram meines ganzen Lebens gesungen und dachte, ich höre nie wieder davon“, erinnert sie sich in einem Interview. „Schickt mir nur den Scheck, falls es sich verkauft“. Sie wollte auf keinen Fall weiter damit etwas zu tun haben.
Doch es kam anders: Unter dem Bandnamen Snap! wurde Ende 1989 die Single The Power produziert und entwickelte sich rasant zum Welthit. Wochenlang in den Charts, in Deutschland und den USA auf Platz 2, in Großbritannien auf Platz 1. Doch nicht nur das: Die beiden Produzenten, die sich auf dem dazugehörigen Album World Power die klangvollen Pseudonyme Benito Benites (Münzing) und John Virgo Garrett III (Anzilotti) verliehen hatten, gingen mit diesem Track als die Erfinder des Eurodance in die Geschichte ein:dem Genre, das einerseits als seelenlose und unsubtile „Kirmesmusik“ geschmäht, andererseits als originär europäische Weiterentwicklung afrodiasporischer Stile wie House und Hip-Hop, aber auch Italo Disco gefeiert wurde. Bis heute steht Eurodance wie keine andere Musikrichtung charakteristisch für den Sound der 1990er Jahre.
Doch nicht alles rund um den Hit war magisch, ähnlich wie bei anderen „Produzentenbands“ wie dem Duo Milli Vanilli, das fast zeitgleich skandalumwittert zugeben musste, nicht selbst gesungen zu haben. Münzing und Anzilotti, zuvor schon DJs im legendären Frankfurter Flughafen-Club Dorian Gray sowie Produzenten von Sven Väth und Moses P., zimmerten innerhalb einer Woche am Computer den Hit für den Dancefloor zusammen. Sie nutzten dabei ungeniert Samples der Electro-Gruppe Mantronix, des Rappers Chill Rob G und den markanten Ausruf „I’ve got the power“ aus einem Stück der Sängerin Jocelyn Brown. 20 Jahre später verklagte Brown die beiden Deutschen auf 10 Millionen Pfund (die Hälfte der durch das Stück generierten Einnahmen zu dem Zeitpunkt) – und verlor. Denn der Produzent ihres eigenen Stückes hatte die Erlaubnis zur Verwendung ihres Stimmsamples gegeben – ohne ihr Wissen. Chill Rob G wurde auf einer hastig erstellten Neuaufnahme durch den einst in Friedberg stationierten G.I. Durron Maurice Butler, später besser bekannt als Rapper Turbo B, ersetzt. Auch die Sängerin, die im Videoclip nur ihre Lippen bewegt, ist mitnichten Penny Ford, sondern die ebenfalls vor Ort in den Army Barracks gecastete Air Force-Soldatin Jackie Harris. Ford, die die meisten Vokalparts übernahm, erinnert sich, dass sie den Rapper erstmals getroffen habe, als ihr gemeinsames Stück schon wochenlang in den Charts gewesen sei.
You could break my heart,
You could break my heart apart,
I’ve got the power!
Obwohl Ford ihre Aufnahmen für Snap! anfangs verabscheute, war sie bald von der Power-Single überzeugt: Auf der ganzen Welt kenne man das Stück, und immer wieder seien Leute zu ihr gekommen und hätten ihr berichtet, dass es sie aufgrund seines empowernden Charakters durch schwere Zeiten wie einen Gefängnisaufenthalt oder gar einen Krieg getragen hätte. Tatsächlich erzählt uns der Hit viel über die Zeitenwende am Ende des Kalten Krieges, über das vielleicht letzte unbeschwert hedonistische Jahrzehnt auf europäischen Dancefloors und vor allem auch über den Einfluss amerikanischer G.I.s auf die deutsche – und speziell Frankfurter – Clubkultur. Und natürlich auch darüber, wer häufig von Pop profitiert hat – und wer nicht. Die Sample-, Rap- und Gesangslieferant*innen, die Gesichter von The Power – allesamt afroamerikanisch –, mussten um ihr Stück vom Kuchen kämpfen. Für die beiden weißen Produzenten ging es nach dem Auszug aus den Charts erst richtig los. The Power war in zahllosen Hollywood-Blockbustern wie Bruce Allmächtig oder Coyote Ugly zu hören und ist bis heute eines der am häufigsten für internationale Werbeclips lizenzierten Stücke. Münzing und Anzilotti berichten im SZ-Interview vergnügt, von den Tantiemen aus zahllosen Werbungen für Jeans, Cola, Mundspülung und alle anderen erdenklichen Produkte könnten sie voraussichtlich sogar noch die Familien ihrer Urenkel ernähren.
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