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​Literaturhaus Berlin
Doppelspitze für das Literaturhaus

Die beiden Leiterinnen des Literaturhauses Berlin, Janika Gelinek und Sonja Longolius
Die beiden Leiterinnen des Literaturhauses Berlin, Janika Gelinek und Sonja Longolius | © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola

Im Garten des Literaturhauses ist einiges los, an den Tischen des Cafés sitzen bereits die ersten Frühaufsteher und im Großen Saal ist gerade eine Schulklasse zu Besuch. Janika Gelinek und Sonja Longolius, die beiden Leiterinnen des Li-Be, erwarten mich auf der Terrasse zum gemeinsamen Frühstück.

Janika Gelinek, geboren 1979, ist Literaturwissenschaftlerin und hat Neuere deutsche Literatur, Italienisch und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert. Sonja Longolius, geboren 1978, ist Amerikanistin und Kunsthistorikerin. Seit 2018 leiten sie gemeinsam das Literaturhaus Berlin.

Das Gebäude, in dem das Li-Be untergebracht ist, hat schon viel erlebt. Viele unterschiedliche Menschen haben im Laufe der Jahrzehnte hier gewohnt und gearbeitet, sind hier ein- und ausgegangen. Das Haus und seine Geschichte in Begleitung seiner beiden Leiterinnen erkunden zu dürfen, ist ein Privileg.
 
Wie beginnt gewöhnlich Ihr Tag?

S: Mein Tag beginnt mit einem Kaffee, ganz für mich allein. Das genieße ich sehr. Dann wecke ich die Kinder und die ganze Familie kommt in Schwung. Daraufhin brauche ich erstmal einen zweiten Kaffee.

J: Ich stehe gern sehr früh auf, trinke einen Kaffee und lese. In der Zwischenzeit wird auch der Rest der Familie wach und wir frühstücken gemeinsam.
 
Das Li-Be hat diese Doppelnatur, es ist ein Haus und ein Literaturhaus.

S: Mit diesem Haus sind so viele verschiedene Geschichten verbunden – die Geschichten der Menschen, die hier gewohnt haben und hier ein- und ausgegangen sind. Aber irgendwie ist für mich auch das Haus selbst eine Persönlichkeit, eine Figur.

J: Für mich ist dieses Haus die Gesamtheit seiner Geschichten. Ich denke da zum Beispiel an die Kakteensammlung des ersten Bewohners des Hauses, Richard Hildebrandt, an den Komponisten und Dirigenten Max Bruch, der hier sein erstes Konzert aufgeführt hat, oder die Lesung von Valdimir Nabokov. Ich bin unglaublich gerne hier, wahrscheinlich auch aus diesem Grund. Das Haus hat einen eigenen Geist und das spürt auch jeder, der hierher kommt.

S: Ein Haus ist ja auch ein Zuhause. Das Li-Be ist ein Zuhause für die Literatur, ein öffentlicher Ort, der der Literatur und ihren Autorinnen und Autoren „Herberge“ bietet. Das Besondere ist in diesem Fall, dass dieses Haus wirklich ein Wohnhaus, ein „Wohnort“ war.

J: Die schönsten Veranstaltungen sind die, bei denen das Haus Intimität vermittelt und dieses Steife und Pompöse verliert.

  • Die Installation von Marc Bausback am Hauseingang © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola
    Die Installation von Marc Bausback am Hauseingang
  • Im Wintercafé © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola
    Im Wintercafé
  • Auf der Terrasse kann man den Schatten der hohen Bäume des Gartens genießen © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola
    Auf der Terrasse kann man den Schatten der hohen Bäume des Gartens genießen
  • Die Tür zum Kaminzimmer © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola
    Die Tür zum Kaminzimmer
  • Buchvorstellung im Garten anläßlich des 100. Geburtstags des Autors Wolfdietrich Schnurre © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola
    Buchvorstellung im Garten anläßlich des 100. Geburtstags des Autors Wolfdietrich Schnurre
  • „Leserinnen“ – Ausstellung der Künstlerin Karoline Kroiß im Kleinen Saal © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola
    „Leserinnen“ – Ausstellung der Künstlerin Karoline Kroiß im Kleinen Saal
Wie funktioniert das konkret, ein Literaturhaus zu zweit zu leiten?

J: Was für uns einfach keine Rolle spielt, ist dieser Führungskult. Die Idee einer hierarchischen Figur an der Spitze ist sehr gestrig. Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass man kein Bedürfnis hat, sich ständig auf die Brust zu trommeln, um zu demonstrieren, dass man den Laden im Griff hat. Wir wollen Vereinbarkeit von Arbeit und Familie und wir glauben, dass wir mit diesem Doppelmodell besser arbeiten können. Wir sind nicht so gestresst und haben den Kopf frei, auch über andere Dinge nachzudenken. Ich kann wirklich keine Nachteile erkennen.

S: Zu zweit muss man mehr kommunizieren, die Mails der anderen mitlesen, eine gemeinsame Vorstellung von den Dingen haben. Das bedeutet, dass man etwas mehr Zeit in Kommunikation investieren muss, was einem dann in jenen Arbeitsphasen zu Gute kommt, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen.

J: Wir tauschen uns immer über Inhalte aus, was vor allem bei etwas sensibleren, komplexeren Projekten wichtig ist. Man verfällt in keinen Alltagstrott und wir kommen am Ende auf bessere, differenziertere und kreativere Lösungen.
 
Was bedeutet das Li-Be für Berlin und für seine Besucherinnen und Besucher?

J: Da besteht eine große Diskrepanz. Es gibt Menschen, die dieses Haus sehr lieben und sich mit diesem Haus sehr verbunden fühlen, gerade Westberliner. Und dann gibt es diejenigen, die das Li-Be kaum oder gar nicht kennen. Im Osten der Stadt wissen die wenigsten, dass es uns überhaupt gibt. Es wäre daher falsch zu sagen, dieses Haus hat für ganz Berlin eine enorme Bedeutung. Aber wir arbeiten natürlich daran!

S: Wir möchten, dass das Li-Be als ein „Zuhause“ für die Berliner Autorinnen und Autoren wahrgenommen wird, aber auch als eine Bühne, um die eigenen Projekte und Bücher vorstellen zu können. Hinzu kommt, dass die Fasanenstraße ja direkt am Kudamm liegt, gleichzeitig aber relativ verkehrsarm ist, und dann haben wir auch noch diesen schönen Garten. Aus diesem Grund kommen nicht nur Freundinnen und Freunde des Literaturhauses hierher, sondern auch Menschen, die einfach einen Kaffee trinken, in der Buchhandlung stöbern, oder eine Ausstellung besuchen wollen. Und dann gibt es diejenigen, die neugierig die Treppe hochgehen und einen besonderen, faszinierenden Ort entdecken.
 
Über welche Projekte erreicht das Li-Be die Welt da draußen? Und wie kommt die Welt in das Li-Be?

S: Tatsächlich sind es die Autorinnen und Autoren, über die „die Welt“ ins Haus kommt. Ein wesentlicher Teil des Programms ist den Literaturen der verschiedenen Länder und Kontinente gewidmet. Das ist kein wahnsinnig exotisches Programm, aber wir präsentieren in jedem Fall eine große Vielfalt an internationalen Autorinnen und Autoren.

J: Wir haben eben auch den Luxus, dass in Berlin viele Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Ländern der Welt leben. Damit steht uns eine Tür zur Welt offen.

S: Wir laden die Welt aber auch über andere Wege zu uns ein. Zum Beispiel mit unserem neuen digitalen Programm, das es uns ermöglicht, ein viel größeres Publikum anzusprechen. In diesem Fall ist es vollkommen gleich, wo man sich befindet. Wenn einen die Veranstaltungen interessieren, kann man sie sich online ansehen.
 
Im Jahr 2020 hat das Literaturhaus neue digitale Formate in das Programm aufgenommen. Welche? Und inwiefern könnte es entscheidend sein, in diese Richtung weiterzuarbeiten?

S: Die globale Ausnahmesituation hat uns zu Veränderungen gezwungen. Aktuell müssen wir bei der Planung sehr flexibel sein. Wir haben zurzeit kein gedrucktes Programm, während wir normalerweise zwei Monate vor Programmstart in Druck gehen mussten. Im September haben wir alle Veranstaltungen im Garten abgehalten. Vorher hatten wir auch nie Podcasts gemacht. Die digitalen Formate sind für uns ein wichtiger Teil der Kulturvermittlung und der Kommunikation geworden, außerdem bieten sie die Möglichkeit, zu experimentieren und Neues auszuprobieren. Wir möchten da in jedem Fall weiter dranbleiben.

J: Die Corona-Krise hat uns dazu veranlasst, gewisse Bedürfnisse bewusster wahrzunehmen und in Richtung flexiblerer Formate zu gehen.

S: Im Dezember organisieren wir das „Climate Fiction Festival“ und in diesem Zusammenhang war natürlich sofort die Frage da: Wie machen wir das jetzt? Viele internationale Gäste können nicht anreisen, wodurch gleichzeitig aber auch weniger Ressourcen verbraucht werden und weniger CO2-Emissionen anfallen. Das ist vielleicht etwas, aus dem wir für die Zukunft lernen können.
 
Was bedeutet Kulturvermittlung?

J: Ich denke, meine Aufgabe besteht darin, möglichst tolle Veranstaltungen zu organisieren, und nicht etwa, mir darüber Sorgen zu machen, wie ich gegen den Schwund von Leserinnen und Lesern ankämpfen kann. Meine Aufgabe ist es, Literatur so gut, so spannend und so zeitgemäß zu präsentieren, dass die Leute Lust bekommen, sich damit zu beschäftigen. Wenn sie dann noch das Buch kaufen, ist das super, aber es ist nicht unsere primäre Aufgabe.

S: Unsere Aufgabe ist es, eine schöne Veranstaltung auf die Beine zu stellen, nach der man sagt: „Ich habe gelacht, ich habe etwas gelernt, ich habe mich geärgert, ich habe mich mit anderen auseinandergesetzt, ich habe etwas mitgenommen, ich muss weiter nachdenken.“ Das ist für mich ein gelungener Abend, wenn man danach ganz erfüllt nach Hause geht.

J: Unsere Kulturarbeit orientiert sich an vielen Koordinaten. Das sind das deutsche Verlagswesen, die Stadt Berlin, die große Vielfalt an Verlagen, Autoren und Sprachen. Kulturvermittlung muss neugierig machen, ich mag den pädagogischen Klang des Worts nicht.

S: Kulturvermittlung bedeutet, eine Tür aufzumachen. Wenn du durchgehen willst, geh durch, wenn nicht, dann nicht. Dabei ist das Literaturprogramm das Herz dieses Hauses und darum herum passiert dann auch noch ganz viel.
 
Welchen Teil Ihrer Arbeit finden Sie persönlich am spannendsten?

S: Ich finde es toll, dass wir einfach unglaublich viele Möglichkeiten haben. Was wir alles machen können! Das ist für mich der schönste Aspekt an meiner Arbeit. Aber auch dieser Moment, wenn man ein halbes Jahr über ein Projekt nachgedacht und es entwickelt hat und dann ist es endlich soweit und das Konzept geht auf. Das ist wirklich ein Feuerwerk der Gefühle.

J: Ein Beispiel dazu. Am 5. Mai ist Europatag. Wir haben uns überlegt, dass wir diesen Tag literarisch begehen wollen. Wir setzen einen bestimmten Schwerpunkt und stellen dann ein passendes Programm zusammen. Diese Freiheit, mit der wir hier entscheiden können, ist schon toll. Und ich muss auch sagen, dass diese Doppelspitze für mich ein wichtiger Spaßfaktor ist. Das dritte Element ist die Arbeit im Team, aber auch mit den Gästen, dem Publikum. Wenn ich spüre, wie sich alles harmonisch zusammenfügt, empfinde ich Freude.
 
Was ist ein Buch?

J: Was mich an einem Buch interessiert, ist sein Inhalt. Ich liebe Bücher, aber es ist mir relativ egal, ob das ein Buch aus Papier oder ein digitales Format ist, ich lese sehr viel auf meinem E-Reader. Die Frage ist für mich nicht so sehr, was ist ein Buch und ist das nun E- oder U-Literatur, sondern vielmehr: Was ist Literatur?
 
In welcher Form sind Technologie und Kommunikation in Ihrer täglichen Arbeit präsent?
 
S: Die Technologie löst nicht alle Probleme, aber sie kann Kommunikation erleichtern. Wir haben versucht, unsere Arbeit auf unterschiedliche Weise zu synchronisieren: durch geteilte Dokumente, E-Mails, SMS, To-do-Listen etc. Dadurch stehen wir immer in engem Austausch, ohne uns jedes Mal persönlich sprechen zu müssen. Das hat viel mit gegenseitigem Vertrauen und Transparenz zu tun. Wenn das funktioniert und die Chemie stimmt, dann eröffnet einem das die Möglichkeit, schneller und effizienter agieren zu können.
 
Gibt es eigene Studienrichtungen und Ausbildungsprogramme, die einen auf diese Arbeit vorbereiten?

J: Das lernt man direkt an der Literaturhausuniversität! Was ich damit sagen möchte: Mir war gar nicht bewusst, dass es diesen Job überhaupt gibt. Das ist kein häufiger Beruf. Und ich glaube, jeder muss hier auch seinen eigenen Stil finden.

S: Nachdem man sich für einen Autor und ein Buch entschieden hat, muss man überlegen, was zu dieser Auswahl passt. Etwa welche Form der Moderation. In diesem Punkt ist unser Stil recht klar zu erkennen. Wir wollen ein echtes Gespräch auf der Bühne und es muss allen Beteiligten Spaß machen.

J: Es ist uns ein Anliegen, dass die Veranstaltungen pünktlich beginnen, sie dürfen nicht zu lang sein und es muss ein klares Ende geben. Diese Aspekte klären wir mit den Akteuren bereits vorab. Das sind nur kleine Dinge, aber sie bestimmen den Rahmen. Der Schriftsteller Ingo Schulze hat einmal gesagt, dass er sich bei uns gut aufgehoben fühlt. Und wenn das ein Autor sagt, der bereits hunderte Veranstaltungen gemacht hat, ist das für uns ein starkes positives Zeichen.
 
Wer sind die Persönlichkeiten auf den Plakaten? Nach welchen Kriterien wurden sie ausgewählt und wer hat die Serie grafisch gestaltet?

J: David Nagel, unser Grafiker, hat die Serie gemeinsam mit der Künstlerin Raby-Florence Fofana entwickelt. Begonnen hat alles mit einem gemeinsamen Treffen, einem gemeinsamen Brainstorming, um eine passende Bildsprache zu entwickeln, und das war das Ergebnis. Ich hätte nie gedacht, wie wichtig diese visuelle Identität für uns werden würde.

S: Die Illustrationen zeigen die wichtigsten Autoren und Autorinnen, die wir 2018 präsentiert haben. Wir sehen hier Karl Marx, Brigitte Kronauer, Fatma Aydemir, Jan Wagner, Madame Nielsen, Lucy Fricke. Wir haben unsere Bildsprache jedes Jahr weiterentwickelt, Thema des Jahres 2020 ist die Natur, mit Motiven wie Landschaften, Wasser, Wind, Pflanzen.

J: Die Bilder müssen zum Programm passen, gleichzeitig wollen wir aber auch immer etwas Neues machen, die Grafiken sollen auch als Impulsgeber für das gesamte kulturelle Angebot des Li-Be dienen.
 
Im Eingangsbereich hängt ein toller Elefant. Was hat es damit auf sich?

J: Dort, wo heute die Buchhandlung Kohlhaas & Company untergebracht ist, befand sich früher eine Stripteasebar. Teil der abendlichen Show war ein Elefantenbaby namens Berolina, das schließlich an einer Lungenentzündung starb, was für große Empörung sorgte. Der Elefant im Eingangsbereich ist das Werk des Künstlers und Szenografen Marc Bausback. Er besteht aus Papier und hat kaum Gewicht. Kinder, Schulklassen, alle, die hier vorbeikommen, finden den Elefanten super, auch ohne die Geschichte von Berolina zu kennen. Die Installation lässt unterschiedliche Interpretationen zu. Wir sehen in der Auseinandersetzung mit dieser Figur eine schöne Möglichkeit, sich für eine literarische und ästhetische Erfahrung zu öffnen. Außerdem, finde ich, macht er einfach irre gute Laune.
 
Es wäre schön, wenn wir zum Abschluss in unserer Fantasie einigen der Menschen begegnen könnten, die in diesem Haus ein- und ausgegangen sind.
 
J: Ich stelle mir Thomas Mann vor, der auf Einladung der Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft eine Lesung hält. Außerdem sehe ich die Tänzerin und Choreografin Manja Chmiél vor mir, eine Schülerin von Mary Wigman, wie sie in ihrem Studio tanzt, dort, wo heute der Große Saal ist.

S: Ich stelle mir hingegen Kapitän Richard Hildebrandt vor, den ersten Bewohner des Hauses, der Ende des 19. Jahrhunderts an der ersten deutschen Nordpolarexpedition teilgenommen hat. In meiner Fantasie sehe ich ihn hier mit uns pfeiferauchend auf der Terrasse sitzen.
 
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Vielen Dank an:
Literaturhaus Berlin © Literaturhaus Berlin




 

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