Literaturhaus Berlin
Vorder- und Kehrseite
Henning Wagenbreth ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Illustratoren. In Italien erscheinen seine Bücher beim Verlag Orecchio acerbo, in Deutschland unter anderem beim Peter Hammer Verlag. Als wir uns im Li-Be treffen, hat er erst kürzlich „Rückwärtsland“ fertiggestellt, ein neues illustriertes Buch, das in diesen Tagen erschienen ist. Auf einmal sind wir dann zu dritt: Wagenbreth, ich und eine Blaumeise auf dem Fensterbrett des Kaminzimmers.
Von Giulia Mirandola
Wie frühstücken Sie am liebsten?
Manchmal stehe ich gerne ganz früh auf, zeichne schon ein oder zwei Stunden und frühstücke erst dann. Manchmal stehe ich auf und trinke erst einmal einen Kaffee. Aber meistens frühstücke ich Vollkornbrot, im Toaster angewärmt, mit Käse oder Taramas vom Markt auf der Kollwitzstraße. Jedes Land hat ja eine andere Frühstückskultur. Als ich in Frankreich gewohnt habe, habe ich Kaffee getrunken und ein Croissant gegessen.
Wir befinden uns im Li-Be. Hier hat jeder Raum eine Geschichte, die mit seinen früheren Bewohnern zusammenhängt. Mich erinnert das an Ihre Atelierwohnung im Prenzlauer Berg. Dort hatte ich auch den Eindruck, dass jeder Winkel eine Geschichte erzählt.
Das Haus, in dem ich wohne, ist Ende des 19. Jahrhunderts gebaut worden. Mein Arbeitszimmer ist groß und sehr hell, es war einmal eine Schneiderwerkstatt. Eines der kleineren Zimmer war früher das Dienstmädchenzimmer. Die Küche ist so groß, dass dort viele verschiedene Dinge Platz haben. Im Schlafzimmer steht das Bett zwischen Zeichenschränken und Plakatrollen. Mein Traum ist eine Wohnung, in der es ein Archiv gibt, eine Bibliothek, ein richtiges Wohnzimmer, ein Lager, ein Atelier für bestimmte Drucktechniken und eine Tischtennisplatte.
Sie wohnen in der Kollwitzstraße, ganz in der Nähe des Kollwitzplatzes. Hier neben dem Li-Be befindet sich das Käthe-Kollwitz-Museum. Es gibt eine Verbindung zwischen den Orten.
Karl Kollwitz, der Mann von Käthe Kollwitz, hatte seine Arztpraxis im Prenzlauer Berg. Er behandelte viele arme, kranke und unterernährte Menschen, und die hat Käthe Kollwitz gezeichnet, sie rückten ins Zentrum ihrer Arbeit. Ich habe ihr Werk schon im Kunstunterricht in der DDR kennengelernt. Und ich habe als Jugendlicher geholfen, eine Ausstellung aufzubauen, die unter anderem dem „Weberzyklus“, einer Serie von Radierungen, gewidmet war. Ich muss gestehen, ich war noch nie im Käthe-Kollwitz-Museum! Aber ich kenne dafür die Büchersammlung des Architekten Hans Grisebach, der im Haus neben dem heutigen Museum, in der Fasanenstraße 25, gewohnt hat. Heute ist das ein Auktionshaus. Seine wundervolle Sammlung illustrierter Bücher aus dem 15. bis 17. Jahrhundert wird in der Kunstbibliothek Berlin aufbewahrt.
Was ist eine Geschichte?
Das Wort „Geschichte“ kommt von „Schicht“. Die Schichten einer Stadt zum Beispiel kann man lesen wie ein Buch und Geschichten über diese Stadt funktionieren wie Zeitmaschinen. Im Buch Der Pirat und der Apotheker (Peter Hammer Verlag), das ich illustriert habe, schreibt Robert Louis Stevenson, zum Teufel mit der Philosophie und Wissenschaft, Geschichten müssten begeistern, nichts erklären, kein Warum und Wieso bieten.
Wer ist Walter Graetz?
Ich hatte einen Sportlehrer in der Schulzeit, der mir vorschlug, ein Praktikum in der Druckerei seines Onkels zu machen, und das war Walter Graetz. Die Familie Graetz hatte unter dem Bett eine Zeichenmappe mit handsignierten Originalgrafiken wichtiger Berliner Künstler, etwa von Max Liebermann, Lesser Ury und eben Käthe Kollwitz. Illustratoren wie Volker Pfüller, Manfred Butzmann, Klaus Ensikat, Martin Hoffmann, Manfred Bofinger haben dort ihre Plakate gedruckt. Ich habe viel über die Technik und den Druckprozess gelernt. Ich war nicht lange dort, aber diese Zeit hat mich stark geprägt.
Ja, vieles. Ich bin sehr neugierig. Jedes Material hat seine eigene Logik und bringt eine bestimmte Formenwelt mit sich, die auch meine Art zu zeichnen verändert.
Anscheinend spielen Sie gern.
Ich spiele gern Karten, Schach, ich spiele gern Musik, ich spiele auch beim Zeichnen, das ist ein Spiel mit Möglichkeiten, mit Formen, mit Farben, ich probiere aus, wie die Welt reagiert, die Menschen, die Physik, die Natur, ich spiele mit Materialien, mit Ideen, mit Gedanken. Ich spiele auch mit dem Leser, dem Betrachter, mit den Rollen, den Regeln. Ohne Regeln macht es keinen Spaß.
Eine Ihrer Leidenschaften ist die Musik. Vor kurzem ist eine Platte der Mazookas herausgekommen, der Band, die Sie vor ein paar Jahren gegründet haben. Wie hängen Musik und Zeichnen zusammen?
Ich habe wie viele Kinder ein Instrument gelernt und irgendwann damit aufgehört. Später gab es dann eine Zeit, in der ich nur noch gezeichnet habe. Da wollte ich gern etwas anderes machen. Also habe ich angefangen, verschiedene Instrumente zu spielen – Trompete, Mandoline –, Genres zu mischen, ich habe viel alte Volksmusik und Folk gehört und gesammelt, denn diese Musik hat für mich eine besondere Überzeugungskraft. Und aus der Verbindung von Musik und Illustration ist dann die Band Mazookas entstanden.
Seit 25 Jahren sind Sie Professor für Illustration an der Universität der Künste (UDK) Berlin.
Ich habe gelernt, dass es verschiedene Arten des Unterrichtens gibt. Außerdem habe ich gelernt, dass es müßig ist, Theorien aufzustellen, denn eines Tages kommt dann ein Student und macht alles ganz anders, und warum auch nicht? Lernen ist ein Findungsprozess, man muss die Dinge ausprobieren, um herauszufinden, was man gerne macht.
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