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„Und dann sind wir gerettet“ von Alessandra Carati
Eine Brücke zwischen Bosnien, Italien und Deutschland

Stone from the Stari Most
Stone from the Stari Most | Foto: Wikimedia Commons

Der Roman, der 2022 unter den Finalisten für den Premio Strega war, erzählt die Geschichte von Aida und ihrer Familie, von ihrer Flucht vor dem Krieg in Bosnien und dem Versuch, sich in Mailand eine neue Existenz aufzubauen. Mehr als sechs Jahre hat die Autorin der Arbeit an dem Text gewidmet. In dieser Zeit traf sie in Italien lebende Bosnier*innen und reiste zwischen den Trümmern eines Landes umher, das heute nicht mehr existiert: Jugoslawien.

Von Gabriele Magro

Am Vormittag des 9. November 1993 wird die Alte Brücke (Stari most) in Mostar im heutigen Bosnien-Herzegowina von militärischen Einheiten der Kroatischen Republik Herceg-Bosna durch Artilleriebeschuss zerstört.
Die im Auftrag von Sultan Süleyman I. im Jahr 1557 errichtete Brücke war ein Meisterwerk der osmanischen Renaissance-Architektur. Sie war weiß, hatte eine geschwungene Form und war bei ihrer Fertigstellung die größte Einbogenbrücke der Welt. Ihre Zerstörung hatte keine strategische Bedeutung. Ziel war es, den Stolz der in der belagerten Stadt lebenden Bosniak*innen (der ethnischen Gruppe der bosnischen Muslime) zu verletzen und deren kulturelles Erbe auszulöschen. Die heutige Brücke von Mostar, die zwischen 1998 und 2004 originalgetreu wiederaufgebaut wurde, ist ein Symbol für den Widerstand der bosniakischen Gemeinschaft und zugleich ein trauriges Mahnmal: Abgesehen von der Brücke ist in Bosnien heute nichts mehr so, wie es vor dem Krieg war.

Im Jahr 1995 beendet das Abkommen von Dayton die bewaffneten Auseinandersetzungen in Bosnien und Herzegowina, doch die neuen institutionellen Strukturen sind fragil und man tut sich schwer, Lösungen für die bestehenden Herausforderungen zu finden – wie die Arbeitslosigkeit, die zerstörte Infrastruktur und die durch den Krieg ausgelöste schwere Wirtschaftskrise. Das Ergebnis dieser Politik ist eine Massenemigration, die seit Ausbruch des Konflikts nicht abreißt. Konkrete Schätzungen sind schwierig, aber bereits 2017 errechnete Balkan Insight, dass inzwischen mehr als die Hälfte aller Bosnier*innen außerhalb Bosniens lebt. Im Jahr 2022 schätzte Forbes, dass die bosnische Diaspora prozentual betrachtet die zweitgrößte der Welt ist. Die größten bosnischen Gemeinschaften in Europa finden sich heute wohl in Italien (über 65.000 Personen) und in Deutschland (über 500.000 Personen).

„In Bosnien ist der Krieg nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart. Das Abkommen von Dayton unterteilt das Gebiet in ethnische Käfige und verstärkt so die Spaltung eines Volks, das zuvor bunt durchmischt zusammengelebt hat. Das Vermächtnis des Krieges sind nicht die Spuren der Granaten an den Fassaden der Gebäude, sondern die Unmöglichkeit, den sozialen Zusammenhalt wiederherzustellen“, berichtet Alessandra Carati, Autorin des 2021 bei Mondadori veröffentlichten Romans Und dann sind wir gerettet. Der Roman, der 2022 unter den Finalisten für den Premio Strega war, erzählt die Geschichte von Aida und ihrer Familie, von ihrer Flucht vor dem Krieg in Bosnien und dem Versuch, sich in Mailand eine neue Existenz aufzubauen. Mehr als sechs Jahre hat Carati der Arbeit an dem Text gewidmet. In dieser Zeit traf sie in Italien lebende Bosnier*innen und reiste zwischen den Trümmern eines Landes umher, das heute nicht mehr existiert: Jugoslawien.

Caratis Buch ist zugleich aber auch ein Buch über die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, zwischen der ersten und der zweiten Generation. „Diejenigen, die heute fünfzig, sechzig sind, zieht es stark in ihre ehemalige Heimat zurück, aber ihre Kinder, die hier aufgewachsen sind, nicht mehr“, berichtet Carati.

Foto der Autorin Alessandra Carati und Buchcovers auf Italienisch und auf Deutsch von ihrem Buch E poi saremo salvi - Und dann sind wir gerettet

Foto der Autorin Alessandra Carati und Buchcovers auf Italienisch und auf Deutsch von ihrem Buch E poi saremo salvi - Und dann sind wir gerettet | Foto der Autorin (Zuschnitt): © Valeria De Cicco

In den neunziger Jahren nimmt das frisch wiedervereinigte Deutschland laut Schätzungen des Hochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) mindestens 350.000 Asylbewerber*innen aus Bosnien auf. Doch die Schwierigkeiten bei der Integration sind vielfältig und neben das Trauma des Krieges tritt bald das Trauma der Zwangsrückführung. Mindestens 200.000 Personen werden in den Jahren 1997 und 1998 zwangsweise rückgeführt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine Geschichte wie Und dann sind wir gerettet in Deutschland auf besondere Resonanz stößt. Zu verdanken ist die Veröffentlichung des Werks auf dem deutschen Literaturmarkt einem kleinen, unabhängigen Verlagshaus aus Freiburg. Der 2017 gegründete NONSOLO Verlag konzentriert sich bewusst auf die Übersetzung zeitgenössischer italienischer Literatur ins Deutsche und hat sich in den vergangenen Jahren mit der Veröffentlichung von Autor*innen wie Paolo Di Paolo, Igiaba Scego, Chiara Valerio und Lisa Ginzburg einen Namen gemacht.

„Wir haben uns dafür entschieden, das Buch von Alessandra zu übersetzen, weil es hervorragend in unsere Verlagslinie passt. Wir sind ein zweisprachiger Verlag, der sich zwischen verschiedenen Kulturen bewegt. Identität und Migration sind Themen, die uns am Herzen liegen und uns in unserem Leben begleiten“, berichtet die Leiterin von NONSOLO, Alessandra Ballesi-Hansen. Und sie fügt hinzu: „Wenn es gelingt, mit einem literarischen Text Grenzen zu überwinden, trägt das vielleicht auch dazu bei, ein kulturelles Klima zu schaffen, in dem Mauern eingerissen werden können. Natürlich befindet sich das Verlagswesen in einer Krise und die Menschen lesen immer weniger. Aber wir glauben an diese Idee. Ein befreundeter Verleger aus der Schweiz hat einmal im Scherz zu mir gesagt: Wenn jemand ein wenig Geld übrig hat und es zum Fenster hinauswerfen möchte, gründet er einen unabhängigen Verlag. Wenn wir nicht wirklich glauben würden, dass Bücher eine Brücke zwischen Sprachen, zwischen Kulturen schlagen können, dann gäbe es für uns wirklich keinen Grund, das zu tun, was wir tun.“

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