Alternative Energien | Interview mit Frank-Michael Uhle und Simone Canteri
Einfach autark
Die Energiewende ist eins der großen Themen unserer Zeit. Der Erfolg: mäßig. Der Anteil erneuerbarer Energien dümpelt in Deutschland und Italien bei 19%. Das Tal von Primiero San Martino di Castrozza und der Rhein-Hunsrück-Kreis sind dagegen längst autark. Wie haben die das gemacht? Im Gespräch finden die Energie-Beauftragten Simone Canteri und Frank-Michael Uhle viele Gemeinsamkeiten. Am Ende verabreden sie sich auf einen Wein, wenn wieder möglich. Gehört auch dazu!
Von Sabine Oberpriller
Die Gemeinden
Primiero San Martino di Castrozza: Das Dolomitental, 10.000 Einwohner, mit dem Nationalpark „Parco Naturale di Paneveggio“ gehört zum Unesco-Welterbe und kann sich 15 Jahre nach dem Umstieg erdölfreie Zone nennen. 10% der v.a. aus Wasser, Hackschnitzel und Sonne erzeugten Energie reichen den Anwohnern, Hotels und Skiliften. Die Bürger haben viele Ideen für Umwelt-Aktionen, E-Bike-Sharing, E-Auto-Testfahrten uvm. www.greenwayprimiero.it
Der Rhein-Hunsrück-Kreis, die „Energie-Kommune des Jahrzehnts“, 103.000 Einwohner in 137 Gemeinden, mit dem Unesco-Weltkulturerbe „Oberes Mittelrheintal“ liegt in Rheinland-Pfalz. 1995 starteten die Bürger die Energiewende. Mit Wind, Sonne und Biogas wird dreimal mehr Strom produziert als verbraucht. Es gibt vier bürgerliche Energiegenossenschaften, E-Car-Sharing, Glühbirnen-Tauschbörsen uvm.
https://www.kreis-sim.de/Klimaschutz
Frank-Michael Uhle: Das ist wie mit den Smartphones: Sobald die Bürger ihren individuellen Vorteil erkennen, wird es schnell gehen. Dass es technisch und wirtschaftlich klappt, ist erwiesen.
Wie ist die Situation in Italien?
Simone Canteri: Italien hat einen nationalen Energieplan bis 2030. Vorgesehen sind große Investitionen in die Sonnen- und Windenergie – und in die Infrastruktur, denn besonders im Süden wird viel Energie aus Sonne und Wind gewonnen, die Wirtschaftsstandorte sind aber im Norden. In 10 Jahren sollen 60% des Stroms aus Erneuerbaren kommen. Ein ambitioniertes Ziel! Heute liegen wir bei 40%.
Ihre Gemeinden haben die Energiewende geschafft. Im Hunsrück begann es mit einem Bürger. In Primiero mit Herrn Canteris Unternehmen. Wie kam dann die Dynamik auf?
S.C.: Das war ein Zusammenspiel aus kulturellen, sozialen und Umweltfaktoren. Unser Glück sind zwei wichtige Ressourcen: Wasser und Holz. Uns umgibt wunderbare Bergwelt und so basiert die lokale Wirtschaft schon immer auf dem Tourismus und einer nachhaltigen Umgebung. Alle Leute hier haben ein starkes Umweltbewusstsein. Durch unseren Nationalpark sind wir auch gesetzlich zu einer umweltfreundlichen Herangehensweise verpflichtet. Es lag also auf der Hand, wie sich unser Unternehmen entwickelt hat. Insgesamt 10 Gemeinden sind daran beteiligt. Unsere Gewinne werden wieder in die nachhaltige Entwicklung des Kreises investiert.
F.U.: Das ist auch meine Feststellung: 90 Prozent unserer Leute haben ein gesundes Bauchgefühl, was richtig ist. Bei den Konzepten, die wir umsetzen, geht es um die Bewahrung der Schöpfung, Nachhaltigkeit im ureigenen Sinne. Leute, die das aus eigener Motivation betreiben haben überall auf der Welt den gleichen Werte-Kodex. Zum Glück werden unsere ehrenamtlichen Genossenschaften durch die kommunalen Betriebe entlastet. Wenn die Energieprojekte bauen, kommen sie an günstige, staatliche Konditionen und rechnen die Projekte auf Echtkostenbasis ab. Das hat sich bei uns als goldener Weg erwiesen.
Ein Projekt scheitert nur, wenn kein Bürger sich begeistern kann.“
Frank-Michael Uhle
F.U.: Stimmt. Ein Projekt scheitert bei uns nur, wenn kein Bürger sich begeistert. 1992 beschloss die UN-Umwelt-Konferenz in Rio die Agenda 21. Also haben wir sie in unserem Kreis umgesetzt. 300 Bürger haben ihre Ideen eingebracht. Das meiste ist umgesetzt! Keiner belächelt mehr die Pioniere. Heute wollen die anderen es nachmachen, mit Begeisterung und Gemeinschaftsgeist. Besucher sagen: „Das Wichtigste, was wir gelernt haben, ist der Spirit des Rhein-Hunsrück-Kreises.“ Wie hat das geklappt?
F.U.: Ein Beispiel: Die Bürger wünschten sich an den Schulen statt Ölheizungen neue Hackschnitzel-Anlagen mit Waldrestholz. Während der Bauphase an der ersten Schule kam der Bürgermeister aus dem Nachbarort und wollte das für sieben Häuser. Der nächste hat's für 12 Häuser gebaut. Heute haben wir schon 17 Nahwärmeverbünde. Bald geht ein Ort mit 315 Häusern an ein Netz – so begeistert sind die Leute.
S.C.: Wir haben zwei Fernwärmekraftwerke, die vor allem den lokalen Wirtschaftskreislauf unterstützen Etwa 70% unserer Hackschnitzel kommen aus einem Umkreis von 15 Kilometern. Sie heizen etwa 2000 Gebäude. Das hat zwei Vorteile: Wir sind erdölfrei und jeder Bürger kann sein Restholz beisteuern, damit es für die Gemeinschaft genutzt werden kann. Dafür bekommt er ein kleines Entgeld.
F.U.: Wir haben auch Sammelstellen – und bedanken uns: „Ihr heizt damit die Schulen eurer Kinder und Enkel.“ Auch bei uns ist fast die Hälfte der Fläche Wald. Unsere Hackschnitzel-Anlagen werden jetzt mit solarthermischen Feldern bebaut, sodass wir weniger Restholz benötigen.
S.C.: Das Einzige, was wir nicht gemeinsam haben, ist die Sprache.
F.U.: Lacht. Eins noch: Wir haben wie Sie Jahrhunderte alte, schöne Häuser. Wird ein Dorf an die Nahwärme gebracht, werden in die Gräben auch Glasfaserkabel gelegt. Jeder kann im Homeoffice arbeiten. Wo die Energiewende geschafft ist, wollen alle hinziehen. Es gibt Wartelisten. Man kann über die Energiewende ländliche Regionen fit machen für die Zukunft. Der Hunsrück war von Landflucht betroffen.
F.U.: Genau. Wir waren strukturschwach. Heute haben wir die niedrigste kommunale Verschuldung im Bundesland. Die Gemeinden verfügen über 99 Millionen Euro Barrücklagen! Das ist alles andere als üblich.
S.C.: Wie ich. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Aber erst vor eineinhalb Jahren bin ich nach Italien zurückgekommen. Ich habe zehn Jahre lang in der Energiewirtschaft gearbeitet, überall im Ausland. In der Zwischenzeit hat sich die Region so entwickelt, dass eine Rückkehr für mich interessant wurde. Werden langfristige Investitionen mit klugen Zielen und Strategien gemacht, nutzen sie der ganzen Gegend.
Was waren Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Projekte?
S.C.: Ich will ungern banal werden. Aber: Projekte wie unsere werden auf regionaler oder sogar nationaler Ebene entschieden. Und natürlich trifft man da auf Leute, die Entscheidungsgewalt haben, aber nicht den gleichen kulturellen Ansatz, die gleiche Vision oder gleiche Ziele. Die Hauptschwierigkeit ist, die Ideen in einem gesunden Zeitrahmen umzusetzen. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, Dinge nicht anzupacken.
F.U.: Ich verstehe Sie. Als wir losgelegt haben, gab's das gesetzliche Umfeld noch nicht. Das erste Nahwärmenetz für Privathäuser war illegal. Damals sagte unser Landrat: „Ich decke euch.“ Erst Jahre später wurde Energieversorgung zur „Aufgabe der Daseinsvorsorge“ der Kommunen. Gott sei Dank dürfen wir uns in der jetzigen Gesetzesreform einbringen. Der Druck ist groß. Waldsterben, Dürre: Auch hier spürt jetzt jeder die Klimakrise.
In Deutschland und Italien gestaltet sich die Energiewende schwerfällig. Warum?
S.C.: Gäbe es eine Antwort, wären die meisten Probleme gelöst! Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem der Mangel an Mut, visionäre Entscheidungen zu treffen, die einen abschätzbaren Horizont von 3 bis 4 Jahren überschreiten. Oft ist es bequemer, den Status quo beizubehalten, in der Hoffnung, dass der Wandel von allein passiert. Aber der passiert nur durch radikale Entscheidungen. Und die braucht es, um die Energieversorgung eines ganzen Landes umzustrukturieren.
F.U.: Ich glaube, der fehlende Mut kommt daher, dass die Politik es noch nicht schafft, den Leuten diese tolle Vision aufzuzeigen. Ein Politiker sagte damals: „Ich will Wirtschaftsförderung, nicht Klimaschutz.“ Aber beide gehören zusammen. Allein aus unserem Landkreis sind jedes Jahr 290 Millionen Euro für Energieimporte abgeflossen, unwiederbringlich. Jeder Prozentpunkt Energie, den wir einsparen oder durch heimische ersetzen, hält fast drei Millionen Euro in unserer Region. Heute haben wir schon eine Wertschöpfung von 50 Millionen Euro im Jahr. Es gibt Arbeitsplätze. Die Energiewende entlastet die Leute!
Das Hauptproblem ist der Mangel an Mut, visionäre Entscheidungen zu treffen.“
Simone Canteri
F.U.: Ja. Alle Gemeinden rund um ein Windrad, die auch darauf gucken, sollen von der Pacht profitieren: Man gibt freiwillig den Nachbarn Geld ab. Dreiundsechzig unserer Gemeinden und vierundsechzig weitere kriegen insgesamt 7,4 Millionen Euro im Jahr aus der Pacht oder dem Pakt. 10 Gemeinden sind UNESCO-Weltkulturerbe und haben den Tourismus. Die Pacht fließt vertraglich für 20 Jahre. Das sind rund 150 Millionen Euro, mit denen wir die Orte fit für die Zukunft machen. Das klappt bei uns sozial sehr ausgewogen. Ob arm, reich, Mieter, Besitzer jeder muss teilhaben, damit es keinen Neid gibt.
S.C.: Respekt!
F.U.: Danke!
Was für eine Rolle spielen Förderungen für Ihre Projekte?
S.C.: Mittlerweile haben sich die Kosten für die erneuerbaren Systeme an die konventionellen angeglichen. Diese Kluft gibt es nicht mehr. Daher fallen auch die staatlichen Zuschläge niedriger aus. Wir planen unsere Projekte immer ohne Förderungen, weil sie sich langfristig selbst tragen sollen.
F.U.: Wir müssen uns freimachen davon, dass die alten Energien nicht staatlich gefördert worden wären. Die hätten nie Atomkraftwerke gebaut, hätte der Staat nicht große Garantien und verdeckte Subventionen, auch für die Lagerung, gegeben. Noch was: Eine Tonne CO2 verursacht 190 Euro Folgekosten für künftige Generationen. Das ist das mehr als ein Euro CO2-Lasten pro Liter Heizöl. Würde man das umlegen, bräuchten wir keinen Euro Förderung mehr.
Was wünschen Sie sich für die Energiewende in Ihrem Land?
F.U.: Dass wir mehr das positive Bild verkaufen und nicht Angst haben, den Bürger zu belasten. Eine Entschlossenheit wie in der Coronakrise: Dass man auf die Wissenschaft hört, konsequent und rasch die Wende einleitet. Die Klimakrise ist genauso ernst. Und dass 500.000 Leute ein Handwerk lernen, für den Umstieg bitternötig.
S.C.: Die kommenden Generationen sollten begreifen, dass es unsere Pflicht ist, die Umwelt zu erhalten. Sie garantiert allen eine Zukunft, die nach uns kommen. Aber ich bin zuversichtlich, dass sie dabei helfen werden.
Frank-Michael Uhle
Frank-Michael Uhle, 51, ist Architekt und seit 1999 bei der Verwaltung des Rhein-Hunsrück-Kreises beschäftigt. Er baute das Energiekonzept der kreiseigenen Schulen mit auf. Seit 2012 ist er der Klimaschutzmanager des Landkreises.
Simone Canteri
Simone Canteri, 38, hat nach dem Studium in Maschinenbau u.a. in St. Gallen und Kanada für verschiedene Energiekonzerne in England, Frankreich und Australien gearbeitet. Seit 2019 ist er wieder in der Heimat und leitet die lokale Gruppe ACSM, von der die Energiewende in Primiero ausging.
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