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FoodFeature#03

Im dritten FoodFeature konzentrieren wir uns auf die sensorische Wahrnehmung im Food Design. Zur Behandlung dieses Themas haben wir zwei Gäste eingeladen, die auf multisensorisches Design spezialisiert sind: den experimentellen Psychologen Professor Charles Spence und die sensorische Food Designerin Laila Snevele. Zusammen behandeln sie das Thema von der Theorie bis zur praktischen Anwendung.

 

Gastrophysik

Charles Spence ist der weltweit führende Experte auf dem Gebiet der sensorischen Wissenschaften. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Überzeugung, dass Essen eine vielseitig gestaltete Erfahrung ist, die besser wird, wenn wir verstehen, wie die Sinne Geschmack beeinflussen. Spence, Autor von Gastrophysics: The New Science of Eating, glaubt, dass "die Freuden des Tisches im Geist, nicht im Mund liegen". Seine Forschung konzentriert sich auf die Verbindung von Gastronomie und Psychophysik, um zu verstehen, wie unsere Wahrnehmungen, Verhaltensweisen und Einstellungen Essen genussvoll, anregend und vor allem erinnerungswürdig machen. Die Gastronomie, die Praxis oder Kunst, gutes Essen auszuwählen, zu kochen und zu essen, ist heute ebenso wichtig wie die Psychophysik, der Zweig der Psychologie, der sich mit den Beziehungen zwischen physikalischen Reizen und mentalen Phänomenen beschäftigt - oder wie Spence es nennt: die Wissenschaft des Essens. 

Seine Erkenntnisse haben Spitzenköche, Lebensmittelgiganten und Gastronomen auf der ganzen Welt beeinflusst, die nun das Esserlebnis durch multisensorische Experimente verbessern. Wir assoziieren in unseren Köpfen einen bestimmten Geschmack mit einem Gericht, bevor wir es überhaupt probiert haben. Vor fünfzehn Jahren servierte Starkoch Heston Blumenthal im Fat Duck ein Lachseis, das seine Gäste mit dem "Marmite-Gesicht" zurückließ, dem Gesicht, das man macht, wenn man den synthetischen Brotaufstrich isst. Spence sagt, dass "niemand jemals ein gutes Essen hatte, während er mit seinem Partner stritt". Unsere Stimmung, unser Körper und unser Stresslevel beeinflussen die Erfahrung von Essen und Geschmack. Das "Provencal Rosė Paradox" erklärt, warum eine leckere Flasche Wein, die wir im Urlaub getrunken haben, völlig anders schmeckt, wenn wir sie zuhause verkosten. 

Spence sagt, dass "wir unsere Geschmacksknospen darauf trainieren können, Lebensmittel zu mögen oder sogar zu lieben, die wir als Kind gehasst haben."  Chefkoch Jozef Youssef, kreative Kraft hinter dem Designstudio Kitchen Theory und langjähriger Mitarbeiter von Spence, kreiert Gerichte, die die Möglichkeit von Wissenschaft und Psychologie zur Beeinflussung des Geschmacks erkunden. Pollen und die Biene ist so ein Gericht. Youssef präsentiert ein wunderschön angerichtetes Gericht, das den Gast zwingt, zu vergessen, dass er Insekten isst. In einem weiteren berüchtigten Gericht mit Quallenfleisch führt Yousef ‘Schallgewürze’ ein, die, so Spence, "den Geschmack unseres Essens verändern und das Gesamterlebnis verbessern." Ein audiovisuelles Speiseerlebnis, das aus Meeresgeräuschen und -bildern besteht und die seltsame Textur der Qualle durch Knusprigkeit auflockert. Für Yousef besteht das Potenzial der Sensorik darin, die Menschen zu einer nachhaltigeren und gesünderen Ernährung zu bewegen. 

Im Jahr 2013 führte Spence das Singleton Whisky-Experiment durch, in dem er die Auswirkung multisensorischer Umgebungen auf den Geschmack von Whisky testete. Am Ende des Experiments berichteten die Teilnehmer, dass ihre Umgebung den Geschmack des Whiskys signifikant beeinflusste. Spence argumentiert, dass Formen, Farben und Berührungen für das Design eines jeden Esserlebnisses entscheidend sind. Im Jahr 2018 produzierte er in Zusammenarbeit mit der Keramikerin und Designerin Reiko Kaneko eine Kollektion von Tellern, die darauf abzielen, die Wahrnehmung des Geschmacks durch die Manipulation von Farbe, Form, Textur und Gewicht zu intensivieren. 

Durch seine Forschung leistet Spence Pionierarbeit. Köche können ihrer künstlerischen Intuition folgen, die durch seine sensorische Wissenschaft validiert wird. Das Salatgericht von Chefkoch Charles Micheal, bei dem er einen Salat so arrangierte, dass er wie das Gemälde Nr. 201 des Künstlers Kandinsky aussah, ist eine Einführung in das, was Charles Spence "Gastro-Trickserei" nennt. In einem Experiment servierte er die gleichen 31 Zutaten einfach plattiert. Die Gäste, die den Kandinsky-Salat aßen, berichteten von einem besseren Geschmackserlebnis. Die visuelle Herrichtung verändert die Wahrnehmung des Essens. Jastrows optische Täuschung Kaninchen/Ente (1899) war Gustav Kuhns Inspiration für das, was Spence als "das erste geschmacksverändernde Gericht der Welt" bezeichnet. Ob die Gäste Kaninchen oder Ente sahen, beeinflusste den Geschmack des Gerichts.

Laila Snevele, eine sensorische Food Designerin, setzt die Erkenntnisse der Gastrophysik in der Praxis um. Ihre Arbeit nutzt einen Großteil von Spences Theorien zur Gastrophysik als Ausgangspunkt für ihre Arbeit. Sie untersucht, wie seine sensorischen Erkenntnisse genutzt werden können, um unsere Wahrnehmung von Lebensmitteln zu manipulieren. Im Mittelpunkt von Sneveles Arbeit steht die Möglichkeit, Geschmack mental zu erzeugen und die Wirkung der ‘häufig vernachlässigten’ Sinne beim Essen zu nutzen. Im Rahmen der Abschlussausstellung der Design Academy Eindhoven präsentierte sie ihr Projekt Digital Seasoning, eine Serie visueller digitaler Darstellungen der fünf Grundgeschmäcker, die die Geschmacksknospen stimulieren, ohne essbare Zutaten zu zeigen oder deren Duft freizugeben. Snevele sagt, dass "wenn wir jemanden sehen, der eine Zitrone isst, dann wissen wir, dass das Essen sauer sein wird. Das macht etwas mit uns". Digital Seasoning kombiniert, wie ein Großteil von Sneveles Arbeit, Einfühlungsvermögen mit Material, Farbe, Gesichtsmimik und Gefühl, um zu beweisen, dass Geschmack größtenteils, wenn nicht ganz, in unserem Kopf entsteht. Das Anwendungspotenzial ihres Projekts in der Lebensmittelindustrie ist groß, da beispielsweise "digitales Würzen" dazu genutzt werden kann, Zusatzstoffe in Lebensmitteln zu reduzieren. 

Im Restaurant White Rabbit mit Chefkoch Vladimir Mukhin hat sie ein Apfelsorbet mit einem QR-Code serviert, der die Visualisierungen von süß und sauer anzeigt. Die Gäste konnten zwischen den Visualisierungen der beiden Geschmacksrichtungen wechseln, je nachdem, was sie ‘probieren’ möchten. Während der Dutch Design Week entwarf Snevele multisensorische Verkostungsräume, in denen die verschiedenen Visualisierungen gezeigt wurden. Sie schuf einen Raum, in dem die Besucher darüber nachdenken konnten, wie äußere Einflüsse den Geschmack von Lebensmitteln verändern. 

In Natural Synthetic betrachtet Snevele die Spannung zwischen synthetischen und natürlichen Lebensmitteln. Sie schafft essbare Objekte, die einer Frucht ähnlich sehen, ähnlich schmecken und ähnlich riechen, aber komplett synthetisch sind. Ihre Objekte zielen darauf ab, einen Sinn, das Schmecken, in drei andere Sinne zu übersetzen und so eine Erfahrung zu schaffen, bei der sich die Sinne überschneiden. Die weitere Erforschung der Auswirkung von Berührung auf unsere Sinne, bringt Sensory Tableware hervor. Sie schuf Geschirr, das die Menschen dazu anregen soll, sich nicht zu überessen.  Die von Snevele als Bubble Bowl bezeichnete Schale für den Nachtisch ahmt die sprudelnden Formen von Früchten nach, an denen die Menschen lecken müssen, um die servierte Speise zu essen. 

Sowohl Sneveles als auch Spences Arbeit führen den radikalen Gedanken an, dass wir mit all unseren Sinnen schmecken. Essen ist eine physische sowie psychologische Erfahrung. Darauf aufbauend fragen sie, welche Möglichkeiten es gibt, unser Essverhalten zu beeinflussen?

 


Über die Redner*innen

Charles Spence

Professor Charles Spence ist ein weltberühmter experimenteller Psychologe, der sich auf neurowissenschaftlich inspiriertes multisensorisches Design spezialisiert hat. Im Jahr 1997, gründete er das Crossmodal Research Laboratory (CRL) an der Universität Oxford. Prof. Spence hat viele Artikel und Bücher veröffentlicht, darunter das mit dem Prosa-Preis ausgezeichnete "The Perfect Meal". Er hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie Technologie unsere Ess- und Trinkerfahrungen in Zukunft verändern wird.

Laila Snevele

Die sensorische Lebensmitteldesignerin Laila Snevele erforscht die Wahrnehmung von Lebensmitteln durch multisensorische Forschung. Welche Rolle spielen Farbe, Form, Textur, Temperatur, Klang, Mundgefühl und Aroma für unser Verständnis eines bestimmten Lebensmittels? Wie können wir diese Elemente nutzen, um unser Geschmacksempfinden zu verändern oder zu intensivieren? Snevele entwirft Rezepte für das Gehirn. Sie sieht die Sinne als eine kostenlose natürliche Ressource an, deren volles Potenzial noch nicht genutzt wird.

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