Die „Bauhaus-Frauen“
Weibliche Lehrlinge erwünscht – bloß nicht zu viele!
Zum Thema Frauen am Bauhaus gibt es viele Mythen. Autorin Theresia Enzensberger zeigt auf: Was Gleichberechtigung von Frauen angeht, war die Schule zwar fortschrittlich, doch der inklusive Gestus blieb unvollständig.
Von Theresia Enzensberger
Der Film „Bauhausfrauen“ läuft ab 23.11.2019 im Programm des „Bauhaus 100 Filmfestivals" im Kino Eurospace in Tokyo. Für die Voraufführung am 15.10. im Goethe-Institut verlost das Goethe-Institut Tokyo 30 Karten. Interessenten können sich bis Mo, 7.10., 18 Uhr über die Online-Anmeldung des Goethe-Instituts Tokyo registrieren (max. 2 Karten pro Person). Die Kartengewinner werden am Dienstag, den 8.10., benachrichtigt.
Als #MeToo die Kunstwelt erreichte, las sich das so: „Wir sind nicht überrascht, wenn Kuratoren Ausstellungen oder Unterstützung anbieten und dafür sexuelle Gegenleistungen erwarten. Wir sind nicht überrascht, wenn Galleristen das sexualisierte Fehlverhalten ihrer Künstler romantisieren, minimieren und oder verstecken. Wir sind nicht überrascht, wenn ein Sammler oder potentieller Förderer ein Treffen mit sexuellen Absichten anbietet. Wir sind nicht überrascht, wenn man sich rächt, weil wir uns nicht fügen. Der Machtmissbrauch ist keine Überraschung.“ Der offene Brief, der am 30. Oktober 2017 im The Guardian erschien und von tausenden AkteurInnen des Kunstbetriebs unterzeichnet wurde, zeigt eindrücklich, wie lange überfällig auch hier eine öffentliche Diskussion über Machtverhältnisse war. Aber es gibt Dinge in der Kunstwelt, die diese Aufarbeitung besonders schwierig machen: Der Geniemythos zum Beispiel, das okkulte soziale Kapital, oder die Tatsache, dass die Avantgarde sich für besonders fortschrittlich hält und also vergleichsweise große Probleme hat, die Möglichkeit von Machtmissbrauch oder Sexismus in den eigenen Reihen überhaupt in Betracht zu ziehen.Diese blinden Flecken sind nicht neu. Das Bauhaus gilt heute als eine der wichtigsten Institutionen der Moderne, Vorreiter des sozialen Bauens, fortschrittliche Schule und Talentschmiede. All das ist nicht falsch, aber unvollständig. Als Walter Gropius die Schule 1919 in Weimar gründete, hieß es in seinem Programm: „Als Lehrling aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Begabung und Vorbildung vom Meisterrat als ausreichend erachtet wird.“ Der Vorgänger des Bauhauses, die Großherzoglich-Sächsische Kunsthochschule in Weimar, war eine der wenigen Kunstakademien, an denen schon vor der Gründung der Weimarer Republik Frauen aufgenommen wurden. Gropius‘ Ankündigung fand großen Anklang: Im Sommersemester 1919 lag der Frauenanteil am Bauhaus mit 84 weiblichen und 79 männlichen Studierenden knapp über fünfzig Prozent. Der Meisterrat war überfordert von dem großen Ansturm, Gropius verlangte eine „scharfe Aussonderung gleich nach der Aufnahme, vor allem bei dem der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht“. Diese Aussonderung bestand im Allgemeinen darin, Frauen auf ihre Domäne zu verweisen und sie in der Webereiwerkstatt unterzubringen, die zwischenzeitlich auch „Frauenklasse“ genannt wurde.
Manche Frauen empfanden diesen Arbeitszusammenhang als durchaus positiv: Die anderen Meister mischten sich meist nicht in die Angelegenheiten der Werkstatt, es herrschte ein Gefühl der Selbstbestimmung und der Solidarität. Gunta Stölzl, die 1920 kurzzeitig die Leitung der „Frauenklasse“ übernahm, lag die Textilarbeit, bei der ihr Talent und ihre Aufgaben einander entsprachen. 1927 wurde sie, auf Betreiben der Studentinnen, Jungmeisterin und damit allein verantwortliche Leiterin der Weberei. Sie blieb die einzige Meisterin am Bauhaus. Auch Anni Albers, die ursprünglich Malerin werden wollte, fand in der Webkunst ein Medium, in dem sie sich kreativ ausleben konnte. Sie experimentierte mit Abstraktion, begriff das strenge Raster des Webstuhls als inspirierend, und war hochinnovativ in ihrem Umgang mit Textilien: Ihr Bauhausdiplom schloss sie 1930 mit einem schalldämpfenden und lichtreflektierenden Vorhang aus Baumwolle und Zellophan ab.
Aber nicht alle Frauen waren freiwillig in der Weberei. Gropius‘ Aussonderung zeigte Wirkung, in den Jahren nach der Gründung nahm die Anzahl der Frauen am Bauhaus stetig ab. Das Weben galt als Kunsthandwerk und nahm deshalb in der Hierarchie von Kunst und Gestaltung einen der untersten Ränge ein. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass die Webwerkstatt lange Jahre die einzige war, die Profite machte – und damit die künstlerischen Höhenflüge der männlich dominierten Bereiche mitfinanzierte.
Oskar Schlemmer, Formmeister der Wandmalerei, drückte seine Wertschätzung so aus: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt und sei’s zum Zeitvertreib“. Aber auch in seine Werkstatt drangen Frauen vor, wie zum Beispiel Lou Scheper-Berkenkamp, die die Weisung des Werkmeisters, der Außenbereich sei den Männern vorbehalten, oft auf dem Gerüst zu finden war. Auch Marianne Brandt eroberte sich einen Platz in der Männerdomäne der Metallwerkstatt, und ist für einige der wohl berühmtesten Designs des Bauhauses verantwortlich; der runde Aschenbecher mit dem dreieckigen Ausschnitt oder das Tee-Extraktkännchen MT49 sind nur zwei Beispiele. Sogar die Baulehre, die erst 1926 gegründet wurde, war nicht sicher vor den Frauen. 1928 wurde Lotte Stam-Beese als erste Frau dort aufgenommen. Allerdings war diesem ungewöhnlichen Ereignis eine Affäre mit Hannes Meyer, dem neuen Bauhaus-Direktor, vorausgegangen, die nicht gut für sie endete: Als ihr Verhältnis publik wurde, bat er sie, ihre Ausbildung abzubrechen.
Diese Einzelkämpferinnen sind bewundernswert, aber sie hatten es nicht leicht. Ein Bereich, in dem die Geschlechterverhältnisse noch nicht abschließend geklärt waren, und der den Frauen am Bauhaus einige Freiheit verschaffte, war die Fotografie. Frauen wie Gertrud Arndt und Lucia Moholy inszenierten sich in diesen Freiräumen neu.
Auf die Schließung des Bauhauses durch die Nazis 1933 folgten für viele ehemalige Mitglieder der Schule wirre, chaotische, teilweise tragische Jahre. Sechs Bauhäuslerinnen wurden in Konzentrationslagern ermordet, eine kam bei einem Bombenangriff ums Leben. Eine Reihe von Künstlerinnen konnte ins Exil flüchten: Gunta Stölzl gründete eine Handweberei in der Schweiz, Anni Albers unterrichtete ab 1933 am Black Mountain College in North Carolina, Vereinigte Staaten, und Lotte Stam-Beese fand in Holland ein neues Zuhause.
Was bleibt also von den Frauen am Bauhaus? Ein berühmtes Foto von Lux Feininger zeigt eine Gruppe junger Frauen auf der Treppe des Bauhausgebäudes in Dessau. Sie haben kurze Haare, tragen Hosen, sehen wild und unbefangen in die Kamera. So fortschrittlich das aussieht, wir sollten uns nicht dazu verleiten lassen, die blinden Flecken der Vergangenheit fortzuführen, sondern diese Frauen als eigenständige Künstlerinnen betrachten. Viel zu oft hört man noch: „War das nicht die Frau von Joseph Albers, Mart Stam, László Moholy-Nagy?“ Die Tatsache, dass mehr und mehr Bauhauskünstlerinnen Einzelausstellungen gewidmet werden, dass sie eigene Wikipedia-Einträge bekommen, dass Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker über ihr Leben schreiben, lässt hoffen, dass es damit bald ein Ende hat.