Ich fühle mich sehr geehrt, die prestigeträchtige Goethe-Medaille zu erhalten und möchte dem Goethe-Institut für die Verleihung dieser Medaille sowie Herrn Peter Anders und allen MitarbeiterInnen des Goethe-Instituts Tokio für die Organisation des heutigen Treffens meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Ich danke auch der Goethe-Präsidentin, Frau Carola Lenz, für ihre wunderbare Botschaft und meinem Freund Prof. Dr. Reinhart Meyer-Kalkus für die Zusendung der Laudatio aus Berlin. Mein Dank gilt auch dem Botschafter Dr. Clemens von Götze für sein Beisein.
Wie Reinhart sagte, bin ich ein Komponist, der seine musikalische Welt durch ein Studium in Deutschland und eine intensive Beschäftigung mit der deutschen Kultur entdeckt hat. Ich bin in der wunderschönen idyllischen Natur von Hiroshima, Japan, aufgewachsen, weit entfernt von der deutschen und europäischen Kultur. Ich kam mit westlicher Musik in Berührung, als ich als Kind Klavier lernte, aber damals hörte ich eigentlich nur das Rauschen des Meeres, die Zikaden im Sommer und andere Insekten im Herbst. Als Naturkind wurde ich durch den Klavierunterricht allmählich von der westlichen Musik fasziniert und verliebte mich zunächst in die Klaviermusik von Bach, Mozart und Beethoven. Meine Mutter spielte hobbymäßig Koto, ein traditionelles japanisches Instrument, aber für mich als Kind war das eine sehr langweilige Musik.
Als ich zehn Jahre alt war, schenkte mir mein Vater zum Geburtstag eine Schallplatte mit Beethovens "Fünfte Sinfonie" auf der einen und Schuberts "Unvollendete" auf der anderen Seite, dirigiert von Karajan und gespielt von den Berliner Philharmonikern. Die Musik war tief und beängstigend, als würde man in einen wunderschönen Wald gelockt, hinter dem sich eine Welt verbarg, die ich noch nicht kannte. Es war die Musik, die mich in den tiefen Wald der deutschen Musik führte. Es war ein Wald, der nicht nur dunkel war, sondern in dem sich auch eine Erhabenheit und ein Licht verbargen, die ich nie zuvor gekannt hatte.
Als Gymnasiast war ich besessen von dem Dirigenten Seiji Ozawa, und während ich seine Platten sammelte, wurde ich auf die Musik von Toru Takemitsu und Messiaen aufmerksam und wollte ein Komponist werden, der solche neue Musik schafft.
Mit 20 ging ich nach Berlin, um bei Isang Yun an der Universität der Künste zu studieren, ein Koreaner, der eine neue orientale Musik schuf. Es war 1976, Berlin war noch von der Mauer umgeben. Ich war sehr eifrig, unter meinem großen Meister Isang Yun zunächst Schönbergs 12-Ton-Technik und dann die Sprache der modernen Musik zu lernen und danach meine eigene Musik zu schreiben.
Ende der siebziger Jahre gab es in Berlin ein Musikfest, das gleichzeitig Volksmusik und zeitgenössische Musik aus aller Welt präsentierte, und dort hörte ich zum ersten Mal mit großem Interesse Volksmusik verschiedener Länder. Neben afrikanischer, indischer, indonesischer oder koreanischer Musik, wurde auch traditionelle japanische Musik, Gagaku, buddhistische Musik und auch Koto-Musik gespielt. Dort hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass die traditionelle japanische Musik als Musik "schön" ist. Es war sicherlich auch verbunden mit einem starken Heimweh während meinem ersten langen Aufenthalt in einem fremden Land. Das Musikfest fand in dem gläsernen Gebäude der Nationalgalerie in Berlin statt, und dort hörte ich die Musik der Koto, genau das "Chidori no Kyoku" (Lied des Wasservogels), das meine Mutter zu spielen pflegte. Diese japanische Musik hatte in meinem Körper geschlummert, aber ich hatte sie nicht als "Musik" gehört. Ich hatte nun ein gutes Ohr für die moderne westliche Musik des 20. Jahrhunderts, und mit diesem neuen Ohr konnte ich die japanische Musik hören und ihren Charme und ihre Schönheit entdecken.
Seither habe ich in den mehr als vierzig Jahren die zentralen Strömungen der westlichen Musik studiert und gleichzeitig weiter nach meinen Wurzeln in der traditionellen japanischen Musik gesucht und zwischen diesen zwei Welten mene Musik komponiert. Es geht dabei weniger um das “Brückenschlegen”, sondern eher um die ständige Suche nach der für mich "wahren Musik".
Es waren stets die deutschen MusikerInnen, die mich bei meinen kleinen Schritten immer unterstützt haben. Helmut Lachenmann, den ich gern als meinen Lehrer bezeichne, meine Komponisten- und Komponinstinfreunde Isabel Mundry, Jörg Widmann und Matthias Pintscher, Wissenschaftler wie Reinhart Meyer-Kalkus und viele hervorragende InterpretInnen und MusikliebhaberInnen haben mich ermutigt und gefördert.
Und noch lange nach meiner Studienzeit gaben mir deutsche Rundfunkanstalten, Opernhäuser, Orchester, Ensembles und große InterpretInnen die Möglichkeit, zu komponieren und meine Werke wunderbar aufzuführen. Ohne die Hilfe der deutschen Musikwelt wäre der Komponist Toshio Hosokawa nicht geboren und hätte sich auch nicht weiterentwickeln können.
Natürlich hat auch die japanische Musikwelt meine Entwicklung unterstützt. Vor allem in jüngster Zeit spielen japanische Orchester meine Werke auf Weltniveau, das sie inzwischen erreicht haben.
Frau Mayumi Miyata, Sho-Spielerin, die Flötistin Frau Yoshie Ueno, der Saxophonist Herr Masanori Oishi sind jeweils wunderbare Interpreten und Interpretinnen, die mich stets anregen.
Schon immer war ich stark beeindruckt von der Toleranz der deutschen Musik. Nicht in Japan, sondern in Deutschland wurde die Musik eines Fremden wie mir zum ersten Mal anerkannt. Und es war die deutsche Musikwelt, die mich ermutigt hat, mich von der deutschen, westlichen Musik zu entfernen und meinen eigenen Weg zu gehen, zu meinen japanischen Wurzeln zurückzukehren und von dort aus Musik zu machen, statt mich bei einer Verdeutschung oder Verwestlichung zu helfen. In dierser Tiefe und Toleranz der deutschen Kultur konnte ich meinen eigenen Weg als Komponist entdecken.
Ich bin überrascht und auch aufgeregt, dass mir eine so große Ehre wie die Goethe-Medaille von Deutschland zuteil geworden ist. Es ist sicherlich eine Ermutigung für mich, in der mir verbleibenden Zeit eine noch intensivere und bessere Musik zu schreiben. Als Kind bin ich in die tiefen Wälder der deutschen Musik eingetaucht und habe meinen Weg als Musiker gefunden. Beethoven lebte in meinem jetzigen Alter nicht mehr, hatte aber seine reiche und überwältigende Musik seiner späteren Jahre bereits vollendet. Die erhabene und leuchtende Welt der Musik, die Beethoven in den Tiefen des Waldes fand, ist für mich noch weit entfernt, und ich kann mich nur nach ihr sehnen.
Ich möchte der deutschen Kultur meinen aufrichtigen Respekt und meine Dankbarkeit ausdrücken, dass sie mir die Tiefen einer solchen musikalischen Kunst gelehrt hat. Ich danke Ihnen vielmals.
Toshio Hosokawa