Community, Repräsentation, Ressourcen
Internationale Perspektiven auf emanzipatorische Clubkultur
Sarah Ulrich und Franz Thiem, Mitorganisator*innen des Balance Club / Culture Festival, sind im Rahmen des Hertzflimmern-Programms des Goethe-Instituts nach Costa Rica und Mexiko gereist, um sich dort über feministisch-politische Strategien in der Clubkultur auszutauschen. Im Folgenden erzählen sie von Erfahrungen, Ernüchterungen und Empowerment.
Von Sarah Ulrich & Franz Thiem
Clubs sind häufig Orte, an dem eine kollektiv erlebte ekstatische Atmosphäre herrscht, die einen die Außenwelt, den Alltag, die Verpflichtungen für einen Moment vergessen lässt. Tanzflächen sind Orte der Alltagsflucht, der Hoffnung, der Freude und der Gemeinschaft. Identitäten werden neu erfunden, Rollenbilder aufgebrochen, soziale Hindernisse überwunden. Hierarchien zwischen Geschlechtern können aufgebrochen, Minderheiten sichtbar werden, Frauen sich sicher fühlen. Clubs können Orte temporärer Utopien sein - zumindest in der Idealvorstellung.
Denn sie sind gleichermaßen auch immer Teil einer Gesamtgesellschaft - und somit von sozialen, politischen und ökonomischen Prämissen abhängig. Wenn die Umgebung also nicht gerade Berlin oder Leipzig heißt, sondern San José, Tijuana oder Mexico City, dann sind die Möglichkeiten gleich ganz andere - und somit auch die Herausforderungen.
Doch wie lassen sich Ideale umsetzen? Welche Potentiale hat Clubkultur, politisch zu sein? Wie können Orte von marginalisierten Gruppen wie LGBTQI* Personen angeeignet werden? Welche Strategien zur Sichtbarkeit und Repräsentation gibt es? Kann Clubkultur auch Gegenkultur sein? Und wie lassen sich all die Erfahrungen auf einem internationalen Level verbinden?
Diesen Fragen haben wir uns im Februar/März auf unserer Recherchereise in Vorbereitung auf das Balance Club / Culture Festival in Kooperation mit dem Goethe-Institut Mexiko gewidmet. Ziel der Reise war es, mittels Podiumsdiskussionen mit lokalen politischen und kulturellen Akteuren sowie DJ-Gigs mehr über die lokalen Szenen und Strategien zu lernen, sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Im Folgenden wollen wir von unseren Erfahrungen und Erkenntnissen dieser Reise erzählen. Wir konzentrieren uns in diesem Text auf die inhaltlichen Perspektiven.
So viel sei schon mal vorweg gesagt: Wenn uns die Reise eines verdeutlicht hat, dann ist das, dass Clubkultur nur als politische Praxis Sinn macht, die als kulturelle Gegenbewegung agiert, Menschen empowert und Räume der Subversion schafft. Denn letztlich können auch Clubräume nur temporäre Utopien sein, die innerhalb einer Gesellschaft existieren, die eigentlich anders aussieht. Clubkultur ist für uns also weit mehr als Party.
Clubkultur entspringt für uns einer emanzipatorischen Subkultur. Clubkultur ist Subversion, gesellschaftlicher Gegenentwurf, das Streben nach gesellschaftspolitischen Veränderungen, die Aneignung von Räumen, die Stärkung von Communities. Clubkultur ist unserer Ansicht nach nur dann sinnvoll, wenn sie in die Gesellschaft hinein wirkt und politische Veränderungen vorantreibt. Denn, wie Produzent, Autor und Performer Terre Thaemlitz im Kontext der Verbesserung von Bedürfnissen nach Gleichberechtigung in der Kulturindustrie schreibt: “Jegliche Steigerung der Bedürfnisse wird letztlich von größeren kulturellen Veränderungen abhängen.”
Nicht zuletzt wegen dieser Erkenntnis sind wir daher sehr dankbar für die Möglichkeit, von einem wichtigen kulturellen Akteur wie dem Goethe-Institut eingeladen worden zu sein. Denn der Kooperation geht eine grundlegende Anerkennung von Club- und Subkultur als wichtigen kulturellen Elementen einher - ein nicht immer selbstverständliches Thema, dem wir öfter begegnet sind.
San José (Costa Rica): Von mangelnder Unterstützung und konservativer Repression
Begonnen hat unsere Reise in San José, Costa Rica. Schon die Vorrecherche gestaltete sich schwierig: Feministische Gruppen in Costa Rica beschäftigen sich vor allem mit Femiziden, also Frauenmorden. Gruppen, die sich vor allem im Bereich Repräsentation, Raumaneignung, Empowerment oder Clubkultur betätigen, waren nur schwer zu finden. Schnell wurde uns klar: Das politische Setting ist ein anderes - die Kämpfe in einem konservativ-katholisch geprägten Land viel grundlegender.Clubkultur ist also auch ein Privileg, das man erst einmal haben muss.
Was als Podiumsdiskussion geplant war, wurde schließlich zum Talk in kleiner Runde und offenbarte, wie klein die Szene derer, die in irgendeiner Form kulturpolitisch aktiv sind, in der Hauptstadt Costa Ricas tatsächlich ist. Diejenigen, die vor Ort waren, waren jedoch größtenteils sehr an einem Austausch interessiert. Staatliche Repression von konservativer Seite wurde gleichermaßen thematisiert wie die geringe Sichtbarkeit von LGBTQI* Personen und der grassierende Sexismus der Gesellschaft. Fast alle subkulturellen Orte finden in kleinen Bars oder privaten Räumen statt - weder Clubkultur noch alternative Organisierungen werden durch offizielle Stellen als kulturelle Bereicherung wahrgenommen und dementsprechend auch nicht gefördert. Im Gegenteil: Läden werden geschlossen, feministische Aktivitäten als vulgär verpönt. Mit erheblichen Auswirkungen auf die Szene: Es findet kaum Vernetzung im politisch-kulturellen Sinne statt. Die meisten Räume die existieren, sind sehr männlich geprägt und ein Bewusstsein für Gender Diversity, Diskriminierung und Hierarchien ist nur wenig verbreitet.
Auch das, was die Protagonist*innen über die Musikszene erzählen, ist frustrierend: Die Clubs, die es gibt, sind größtenteils Orte, in denen Mainstream-Musik läuft, Ladies Nights als Promo herhalten und in denen Frauen sich nicht sicher fühlen. Abgesehen von einzelnen Gruppen wie Chicas al Frente gibt es kaum ein Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit. Wenn Frauen im Line-Up auftauchen, dann meist als schlechter als die männlichen Künstler bezahlter Support Act. Zwar habe sich im Bewusstsein der Kulturakteure über die vergangenen Jahre viel veränder, sagt Coraima Díaz alias Rompiste mis Flores, aber diskriminierendes Verhalten sei noch immer an der Tagesordnung.
“Aber es gibt auch einfach nicht so viele Frauen.” Der zu erwartende Redebeitrag kommt von einem Mann aus dem Publikum. Doch, wie Mónica Marín Odio von Chicas al Frente dagegenhält: In insgesamt über 30 Veranstaltungen mit weiblichen Künstlerinnen, die die Gruppe bereits organisiert hat, gab es noch keine einzelne Dopplung im Line-Up.
Es gibt sie also in Costa Rica, die Gegenkultur. Doch sie ist klein und erfährt wenig Unterstützung.
Tijuana (Mexiko): Das Verlangen nach Community
In Tijuana, der Grenzstadt im Norden Mexikos, die vor kurzem vor allem für die dort gestrandete als “Migrant*innen Karawane” bezeichnete in den Medien war, fanden wir eine noch weitaus komplexere Community vor. Während die sub- und clubkulturellen Akteure in Costa Rica wenigstens finanziell noch auf gewisse Ressourcen und Infrastruktur zurückgreifen konnten, schien allein das in Tijuana nur schwer realisierbar zu sein.Umso stärker ist das Bedürfnis der lokalen Community, viel grundlegender anzufangen: Statt einer Podiumsdiskussion, in der unsere Fragen behandelt werden, war es den lokalen Akteuren ein Anliegen, ein Netzwerktreffen zu organisieren, in dem die verschiedenen Themen und Fragen, die wir mitbringen zwar diskutiert werden, aber durch lokalspezifische Problematiken ergänzt werden. Das Ziel war weniger eine Diskussion über Strategien, Clubkultur zu politisieren, als vielmehr eine ganz grundlegende Zusammenkunft und Bestandsaufnahme des Status Quo.
Hauptakteurin war Haydee Jimenez, eine Kulturschaffende, die ihren Community-Space “Nett Nett”, in dem zu dieser Zeit eine Ausstellung über die Auswirkungen illegalisierter Schwangerschaftsabbrüche zu sehen war, als Ort der Zusammenkunft zur Verfügung stellte. Außerdem waren noch diverse weitere Protagonist*innen vor Ort: Feministinnen, Clubbetreiber*innen, kulturpolitisch Aktive. Darunter auch Marjam Oskoui, Inhaberin eines underground culture spaces in Los Angeles und Künstlerin und Damian, Betreiber des Wherehouse Tijuana, einem der wenigen Nachtbetriebe in Tijuana, die sich vom sexistisch-machistisch geprägten Mainstream abheben.
Auch bei dem Treffen in Tijuana wurde schnell deutlich:
Zur gemeinsamen kultur- und gesellschaftspolitischen Handlungsfähigkeit braucht es eine Community.
Nur wenige Orte bieten überhaupt den Raum für unabhängige und unkommerzielle Kulturarbeit, demnach gibt es auch nur wenig Austausch über das Mögliche und Nötige. Die Umsetzung einzelner Ziele wie die Repräsentation von marginalisierten Personen ist inhaltlich kaum Thema. Einzelne Versuche, queerfeministische Partyreihen zu starten, sind an mangelnder Unterstützung gescheitert. Doch auch, wenn der Status Quo in Tijuana mit zunehmender Repression von staatlicher Seite, Verschärfung der gesellschaftlichen wie ökonomischen Lage durch Sanktionen seitens der USA und grassierendem Sexismus innerhalb der Gesellschaft, nur wenig Hoffnung auf subkulturelle Community-Arbeit macht - so waren sich die Protagonist*innen doch einig, dass es genau dies braucht, um weiter zu agieren.
Der Fokus in Tijuana lag also vor allem auf dem Austausch von Strategien zum Vernetzen und best practice Beispielen, wie die erfolgreich wirksame, vom Institut fuer Zukunft ins Leben gerufenen Kampagne gegen die Sperrstunde in Leipzig oder auch diverse community-building Maßnahmen, wie wir sie als politisch Aktive kennen. Doch auch hier sind die entscheidenden Faktoren die finanziellen wie infrastrukturellen Ressourcen, die vor Ort an allen Ecken und Enden fehlen. Während die Protagonist*innen in Tijuana vor allem dankbar über unseren Input und Moderation des Treffens waren, wurden für uns dabei vor allem zwei Dinge deutlich:
Wie privilegiert wir in unseren Ressourcen und Möglichkeiten sind, kulturpolitisch aktiv und wirksam zu sein, sowie wie wertvoll eine subkulturell-emanzipatorische Szene ist.
Mexiko-Stadt: Viel Potential, wenige Ressourcen
Mexiko-Stadt, die Hauptstadt des Landes und elftgrößte Stadt der Welt, ermöglichte uns nochmal einen Perspektivwechsel auf die Frage nach den politischen Möglichkeiten von Clubkultur. Schon im Vorhinein wurde klar, dass es zahlreiche spannende feministische Aktivist*innen, Musiker*innen und Kulturschaffende gibt - wir konnten uns kaum entscheiden, wen wir tatsächlich für die Podiumsdiskussion einladen. Entschieden haben wir uns schließlich für Lucia Anaya, eine Kulturschaffende, die sich für Repräsentation von Frauen in der Musikindustrie einsetzt und Queer-Parties organisiert, Bruno, einen Repräsentanten des feministischen Postporno-Festivals Anormal, Havis aka DJ Guapis, eine Transfrau, die Räume und Parties für Transpersonen schafft sowie den Label- und Clubbetreiber Carlos Cruz.Die Infrastruktur wurde hier dankenswerterweise vom Goethe-Institut organisiert, das Podium fand in einem professionellen Saal des spanischen Kulturzentrums statt. Somit war der Charakter der Veranstaltung aber auch ein ganz anderer, als bei den vorherigen aus der Subkultur der Orte entstehenden Treffen. Im Vergleich zu San José und Tijuana war es das erste Podium, das auch als solches, frontal und mit einem größeren Publikum stattfand.
Was wir vorfinden konnten, war in vielen Weisen beeindruckend:
Die Community in Mexiko Stadt ist nicht nur sehr groß und divers, sondern auch sehr gut organisiert und lokal wie auch international vernetzt.
Das Beeindruckende an den Perspektiven der Podiumsgäste war die Gemeinsamkeit, dass alle aus einem politischen Bewusstsein heraus agieren.
Ob Club, Festival, feministische Bar oder Party - die Räume existieren aus der Erkenntnis, dass es alternative Gegenentwürfe zum gesellschaftlichen Status Quo geben muss.
Was uns als Organisator*innen des Balance Club / Culture Festival insbesondere beeindruckt hat, war die enorme Solidarität innerhalb der Community. All die oben beschriebenen Räume sind das Ergebnis von Zusammenschlüssen marginalisierter und diskriminierter Personen, die den Club oder Kulturraum als Ort nehmen, sich gegenseitig zu empowern, solidarische Momente zu generieren und Kollektivität zu leben. Das dezidierte Ziel der Podiumsgäste ist es, diese Erfahrungen mit in den Alltag zu nehmen. Wir waren beeindruckt von der politischen Schlagkraft dieser kulturellen Orte und insbesondere der feministischen Kulturarbeit und sind überzeugt davon, dass Kulturschaffende wie politisch Aktive von dieser Art der kollektiven Organisierung viel lernen können.
Fazit: Ein internationaler emanzipatorischer Kulturaustausch kann nur reziprok funktionieren
Während wir an den drei Stationen unserer Recherchereise für das Balance Club / Culture Festival sowohl aus journalistischer, als auch aus der Perspektive von politisch Aktiven und Kulturschaffenden, viel über Strategien der Politisierung von Clubkultur lernen konnten, so bleibt unser Fazit doch mit einem bitteren Beigeschmack:Es fehlt an Ressourcen. Während es in Deutschland vielfältige Fördermöglichkeiten und Unterstützung für Projekte gibt (wie beispielsweise die tolle Unterstützung des Goethe-Instituts, das diese Recherchereise erst ermöglicht hat), fehlt es in Mexiko und Costa Rica an genau diesen Stellen. Der Wille und die Ideen, sowie in einigen Fällen auch bereits die Strukturen vor Ort sind vorhanden - doch die mangelnde Anerkennung politisch-kultureller Gegenentwürfe wie der Etablierung einer emanzipatorischen Clubkultur erschwert die Arbeit ungemein. Was es bräuchte, um die internationale Vernetzung und den Austausch zu fördern und so tatsächlich auf Augenhöhe kulturpolitisch zu agieren, sind Modelle wechselseitiger Förderungen politisch und kulturell Aktiver.
Wir als Team des Balance Club / Culture Festival sind uns diesen Hierarchien bewusst und versuchen sie so gut es geht abzubauen. Wir sind daher sehr froh darüber, dass wir dank der Förderung der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Möglichkeit haben, die Musikerin, Techfeministin und Aktivistin Constanza Piña, die in Mexiko-Stadt lebt, zum Festival einladen können. Sie wird neben einem Workshop und einem Konzert auch einen Talk darüber geben, wie Techfeministinnen in Lateinamerika Räume frei von sexistischer Gewalt schaffen - und somit ideal an den durch unsere Reise angestoßenen Austausch über politische Perspektiven auf emanzipatorische Clubkultur anknüpfen. Für die weitere kulturpolitische Arbeit bleibt es essentiell, Privilegien zu hinterfragen und aufzudecken, internationale Perspektiven zu hören, Communities zu stärken und gegenseitig voneinander zu lernen – wir hoffen, dass wir in diesem Feld noch viele weitere spannende und empowernde Perspektiven kennenlernen dürfen.
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Wir danken dem Goethe-Institut Mexiko, insbesondere Sarah Poppel und Sybille Ellermann für die Unterstützung und das Ermöglichen unserer Recherchereise. Außerdem danken wir den zahlreichen Kulturschaffenden und Aktivist*innen, die uns in San José, Tijuana und Mexiko-Stadt an ihren Erfahrungen und Perspektiven haben teil lassen.
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