Dekolonisierung der Sprache
„Ich habe es satt, dass ihr mich anders macht“
Immer noch gibt es in der Sprache Begriffe, die aus tief verwurzelten rassistisch-kolonialen und diskriminierenden Strukturen unserer Gesellschaft stammen. Wie können verletzbare Minderheiten eine Stimme bekommen? Der Journalist und Buchautor Mohamed Amjahid setzt sich aus einer Alltagsperspektive mit der Dekolonisierung der deutschen Sprache auseinander.
Von Mohamed Amjahid
Sprache ist generell ein mächtiges Instrument, es reflektiert und formt zugleich die Realitäten, in denen wir leben. Rassismus, Patriarchat, Kapitalismus: Das alles und mehr findet sich in der Sprache, die wir alle alltäglich benutzen. Vor bald fünf Jahren hatte ich in meinem ersten Buch Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein die Wirkungsmacht von rassistischer Sprache beschrieben. Ich bin mit Sicherheit nicht der erste Autor, der diesen be- und erdrückenden Aspekt von Sprache markiert hat. Generationen von Menschenfeindlichkeit betroffenen Communitys haben sich gegen die Mikroagressionen und die strukturelle Andersmachungen, die im Deutschen und auch in anderen Sprachen tief verwurzelt und historisch gewachsen sind, gestemmt.
Seitdem ist viel passiert in Sachen Dekolonisierung der Sprache. Auf eine bestimmte Sache ist aber im deutschen Sprachraum immer Verlass. Diese beiden Aspekte der Debatte möchte ich gerne in drei Punkten illustrieren.
Die Anton-Wilhelm-Amo-Straße
Seit mehreren Jahren fand in Berlin-Mitte jeden Sommer das „Möhrenstraßenfestival“ statt. Kinder malten mit bunter Kreide Menschen auf den Asphalt, Musikgruppen spielten Lieder aus Ghana und Togo, und nichtweiße Aktivist*innen erklärten auf einer Bühne, warum diese Veranstaltung trotzdem kein Spaß sei. Im Sommer vor mehr als fünf Jahren war ich als Zuschauer dabei. Eine Schwarze Dichterin kam auf der Bühne zu Wort: „Ich habe es satt, dass ihr mich anders macht.“ Sie stand neben dem Straßenschild und vor dem Eingang der U‑Bahn‑Station, auf denen jeweils groß der Name dieses Ortes prangte: M*straße.
Dieser Straßenname ist mittlerweile Geschichte. Die Zeiten, in denen Aktivist*innen auf die Tafeln im entsprechenden U-Bahnhof Pünktchen malten, um aus dem rassistischen Straßennamen die „Möhrenstraße“ zu machen, sind zumindest in Berlin-Mitte vorbei. Wegen einiger bürokratischer Fallstricke ist es noch unklar, wann die Straßen- und U‑Bahnhof‑Schilder endgültig ausgetauscht werden. Politisch steht aber schon seit mehreren Monaten fest: Dieser Ort wird bald nach dem Schwarzen Philosophen und Rechtswissenschaftler Anton Wilhelm Amo benannt sein.
Ist das nicht ein Grund zu feiern? Da bin ich skeptisch. Es brauchte den lynchhaften Mord von George Floyd in den USA und die damit verbundene erhöhte Aufmerksamkeit – was nur ein kurzes Zeitfenster darstellte – für die Black-Lives-Matter-Bewegung, damit eine Mehrheit der mehrheitlich weißen Entscheidungsträger*innen im verantwortlichen Berliner Bezirk Mitte nach jahrelangem Protest reagierte. Die Dekolonisierung der Sprache ist für viele nicht selbstverständlich.
„Die beste Instanz“
Anfang 2021 setzten sich fünf weiße Menschen in eine WDR-Talkshow mit dem Titel Die letzte Instanz und pochten darauf, Sinti*zze und Romn*ja mit dem rassistischen Z-Wort zu bezeichnen und dass allgemein rassistische Sprache ein Teil der deutschen Identität sei, auf die man nicht verzichten wolle. Unter den patriotischen Verfechter*innen der deutschen Sprache war auch Thomas Gottschalk. Ja, die gesamte Veranstaltung war etwas absurd.
Am Bildschirm zu Hause saß die Schauspielerin, Influencerin und Comedian Enissa Amani. Sie war so wütend, dass kurze Zeit später mein Telefon klingelte. Innerhalb von wenigen Stunden trommelte Amani mehrere antirassistische Autor*innen – also Expert*innen zum Thema Dekolonisierung der Sprache und damit die Antithese zu Thomas Gottschalk – zusammen und machte ihre eigene Sendung: Die beste Instanz.
Als mein Telefon klingelte, war ich in Berlin unterwegs und bin in einem freizeitorientierten, bordeauxfarbenen Hoodie gekleidet spontan in den letzten Zug nach Frankfurt am Main gestiegen, wo Enissa Amanis Sendung aufgenommen werden sollte. Am nächsten Morgen saß ich mit meinem Hoodie underdressed vor der Kamera und wir diskutierten darüber, wie rassistische Sprache das Leben verletzbarer Minderheiten bedroht.
„Rassistische Sprache ist nur der erste Schritt und die Verstätigung einer tödlichen Andersmachung gegenüber verletzbaren Minderheiten. Es ist also eine Überlebensstrategie, über diesen sprachlich zementierten kolonialen Blick zu reden.“
Der Autor Gianni Jovanovic beschrieb, wie die Nationalsozialisten Sinti*zze und Romn*ja den Buchstaben Z eintätowierten und danach in die Konzentrationslager zur Ermordung schickten. Und genau dies ist die Fallhöhe, wenn über rassistisch-koloniale Sprache debattiert wird: Es geht nicht darum, dass die betroffenen Minderheiten verletzungsfrei durch die Stadt schlendern wollen, durch die Reihen im Supermarkt – wegen dieser einen geschmacklich sehr fragwürdigen Paprikasauce, die Thomas Gottschalk unbedingt Z-Sauce nennen möchte – oder soziale Medien lesen möchten. Rassistische Sprache ist nur der erste Schritt und die Verstetigung einer tödlichen Andersmachung gegenüber verletzbaren Minderheiten. Es ist also eine Überlebensstrategie, über diesen sprachlich zementierten kolonialen Blick zu reden.
Während sich einige weiße Gäst*innen der eher peinlichen Ausgabe von Die Letzte Instanz kleinlaut entschuldigten und der WDR ein PR-Desaster erlebte, sahen Hunderttausende Menschen in Deutschland Die beste Instanz von Enissa Amani, die für ihre Sendung und ihr Engagement den Grimme Online Award verliehen bekam. So weit ist es schon gekommen: Von Rassismus betroffene Menschen leisten Bildungsarbeit und erhalten Preise dafür. Ja, es hat sich schon etwas getan in den vergangenen Jahren.
Das gute, alte Deutschland
Und dann hat sich doch nicht viel getan, sage ich mir oft. Egal an welchem Tag man den Fernseher anschaltet, es läuft so eine Art letzte Instanz. Man öffnet die Twitter- oder Instagram-App und es trenden rassistische Begriffe in den Hashtag-Charts. Im Kiosk reihen sich Titelseiten von Zeitungen aneinander, die den angeblichen Untergang des Abendlandes prophezeien. Auf Podien nehmen rechte, rechtskonservative bis rechtsextreme Autor*innen Platz, deren Expertise darin besteht, Minderheiten rassistisch oder antisemitisch zu beleidigen. Und bei der Umbenennung von Orten, die weiterhin den Kolonialismus verherrlichen, regt sich mehr als nur ein diskursiver Backlash. Ich habe neulich eine Reportage aus Berlin-Wedding recherchiert. Dort haben mir Aktivist*innen berichtet, wie sie verbal und physisch attackiert werden, weil sie für die Dekolonisierung der deutschen Sprache und des öffentlichen Raums kämpfen.