Wegwerfgesellschaft
Das Herz hängt nicht an den Dingen

Bei Handys muss es für viele Nutzer immer das jüngste Modell sein.
Bei Handys muss es für viele Nutzer immer das jüngste Modell sein. | © fotolia

Was nicht mehr funktioniert, wird oft schnell ausgetauscht statt repariert. Doch es regt sich Widerstand.

Bewahren, Flicken, Horten, Reparieren und Sammeln: Wenn Verbraucher diesen Möglichkeiten das schlichte Entsorgen vorziehen, ist von der Wegwerfgesellschaft die Rede. Der Begriff bezeichnet ein vielschichtiges Phänomen, das überwiegend negativ konnotiert ist. Wenn eine bestimmte Sach- oder Dienstleistung ihre Funktion erfüllt hat, kaputt geht oder auch nur veraltet erscheint, wird sie in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften heute meist unverzüglich beiseitegelegt oder weggeworfen, um sich sogleich Ersatz zu besorgen. Keinerlei Mühe wird darauf verwandt, sie wieder funktionstüchtig zu machen oder anderweitig zu verwenden. Das Herz hängt nicht an den Dingen. Sie sind grundsätzlich austauschbar und entbehrlich. Sie haben keinen Eigenwert.

In dieser Haltung werden die Konsumenten von den Herstellern oft bestärkt. Um den laufenden Absatz von Produkten zu sichern, halten sie die Verbraucher unentwegt dazu an, ihre bisherigen Besitztümer wegzuwerfen, um gleich wieder neue zu kaufen, ungeachtet der tatsächlichen, noch verbliebenen Funktionsfähigkeit. Nur so bleibt der Wirtschaftskreislauf in Betrieb. Stockt die Nachfrage, steht die Maschine still.

Die kleine Schwester der Überflussgesellschaft

Dabei hegen Beobachter schon seit langem den Verdacht, dass die Produzenten aktiv dazu beitragen, die Gebrauchsdauer ihrer Produkte künstlich zu verkürzen, indem Sollbruchstellen absichtlich eingeplant oder störungsanfällige Bauteile bewusst eingebaut werden. Nach einer berechenbaren Nutzungsdauer geben sie ihren Geist auf, so dass der Besitzer gezwungen ist, das gesamte Gerät zu ersetzen, weil sich eine Reparatur nicht mehr lohnt oder unmöglich ist. Die Beweisführung erweist sich zwar als schwierig, der Verdacht hält sich aber beharrlich.

Historisch betrachtet, ist das Wort „Wegwerfgesellschaft“ im Zuge der Entwicklung der Überflussgesellschaft entstanden, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg. War die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts noch von Mangelwirtschaft gekennzeichnet, verkehrte sich diese Situation in der zweiten Hälfte radikal. Die Versorgung der Bevölkerung mit allerlei Sach- und Dienstleistungen schien keinerlei Grenzen mehr zu kennen. Knappheit war vermeintlich abgeschafft. Von allem war mehr als genug da, so der herrschende Eindruck, das allgemeine Versprechen, die Utopie. Unter solchen Vorzeichen waren jene Tugenden wie Bewahren, Flicken, Horten, Reparieren und Sammeln, die in einer Mangelwirtschaft lebensnotwendig sind, obsolet geworden und nicht mehr zeitgemäß. Wer dennoch daran festhielt, wirkte fast schon altmodisch, aus der Zeit gefallen.

„Grenzen des Wachstums“ erkennen

Die Bezeichnung „Wegwerfgesellschaft“ ist, wie angedeutet, durchweg kritisch gemeint. Dementsprechend gibt es seit langem schon Gegenbewegungen, die sich gerade für das Bewahren und Reparieren stark machen und aktiv einsetzen. Seit den 1950er-Jahren kann man diese Entwicklung beobachten. Der Bericht Die Grenzen des Wachstums vom Club of Rome aus dem Jahr 1972 ist dafür ebenfalls bedeutsam. Der Nachhaltigkeitsdiskurs bildet inzwischen eine sehr wirkungsmächtige Strömung, die sich massiv gegen die Auswüchse und Kosten der Wegwerfgesellschaft ausspricht, mit Verweis auf Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung.

Diese kulturellen Gegenbewegungen begnügen sich nicht mit Protest. Vielmehr zeichnet sie eine lebensreformerische Perspektive aus, die durch Experimente, Initiativen und Projekte konkrete Veränderungen und Verbesserungen im Alltag bewirken will. Es gilt zu zeigen, dass es auch anders geht, und viele dieser Ideen finden breiten Zuspruch und großes Interesse, in den Medien wie in bestimmten Bevölkerungskreisen. Hier ereignet sich ein nachhaltiger Kulturwandel, dem – mit einer gewissen Verzögerung – ein entsprechender Strukturwandel zu folgen scheint. So ermöglichen zahlreiche Internet-Plattformen ihren Nutzern, nicht mehr benötigte Kleidung, Lebensmittel oder andere Güter weiterzugeben beziehungsweise zu tauschen. Viele neue Geschäftsmodelle gründen zudem auf der Idee des Teilens, etwa von Wohnraum oder eines Autos – Stichwort „Sharing Economy“.

Allerdings: Wir leben in einer Weltgesellschaft, die primär auf Zukunft ausgerichtet ist. Damit einher geht die feste Überzeugung von Entwicklung, Fortschritt, Innovation, Veränderung, Wandel. Der unentwegte Forschungs- und Innovationsdrang, der maßgeblichen Anteil hat am Phänomen der Wegwerfgesellschaft, dürfte bestehen bleiben. Und es verbindet sich mit diesem Drang ja auch Gutes: das Hinterfragen und Abschaffen fragwürdiger, menschenunwürdiger, ungerechter Traditionen, die Bereitschaft, sich positiv auf Neues einzulassen, die erklärte Neugier auf Anderes, Fremdes, Unheimliches, kurz: die weltweite Verbesserung der Lebensumstände.

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