Berlin im Film
Eine Stadt inszeniert sich selbst
Der Filmemacher Klaus Lemke nannte Berlin-Filme einst „subventionierten Unsinn für verspannte Töchter und Söhne“ – und drehte gleich selber einen. Die deutsche Hauptstadt als Fluchtpunkt für Träumer, Kreative, verkrachte Existenzen und Lebenskünstler ist ein nach wie vor beliebtes Filmmotiv.
Berlin-Filme haben eine lange Tradition. Doch die enorme Anziehungskraft der Stadt lässt sich zurückverfolgen in das West-Berlin der Achtzigerjahre: „Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin“, singt die Band Ideal in dem Dokumentarfilm B-Movie (2015), eine nostalgische Reminiszenz an die Punkszene der damaligen Mauerstadt. „Berlin war noch kaputter als Manchester“, schwelgt darin der als Erzähler auftretende Exil-Brite Mark Reeder. Der Sound von Bands wie den Einstürzenden Neubauten oder Malaria! brachte dieses Lebensgefühl zum Ausdruck. Selbst David Bowie hatte es hierher verschlagen. Der Stillstand, auf den die Engel aus Wim Wenders’ Der Himmel über Berlin (1987) melancholisch blickten, gehört zu diesem Bild der geteilten Stadt. Die Subkultur blühte zwischen den verhärteten Fronten des Kalten Kriegs.
Hip, hipper, hipster: Selbsterfindung in einer globalen Metropole
Mittlerweile ist Berlin eine globale Metropole, was sich auch in den Filmen niederschlägt. In Desire will set you free („Lust macht frei“, 2016) verlieben sich ein US-amerikanischer Autor mit jüdischen Wurzeln, gespielt von Regisseur Yoni Leyser, und ein russischer Escort-Boy. Das Crowdfundingprojekt ist ein Dokument der lebendigen Queerszene der Stadt, die um Sichtbarkeit nicht mehr ringen muss. „Als Transvestit“, sagt der Mann im Jobcenter, „werden Sie in Berlin doch jederzeit eine Arbeit bekommen können.“ Um Liebe, Sex und Arbeit geht es auch in Klaus Lemkes Berlin für Helden (2012), eine haarsträubende Parodie auf das dortige Hipsterwesen. Der 1940 geborene Veteran des spontanen Undergroundfilms schickt ein munteres Grüppchen orientierungsloser Neuankömmlinge auf einen Parcours der Eitelkeiten. Eifrig bemüht um ständige Selbsterfindung und –inszenierung, landen sie irgendwann alle miteinander im Bett. Was sie antreibt, wurde treffend zusammengefasst in dem Roadmovie Puppe, Icke & der Dicke (2012) von Felix Stienz: „Du kannst nüscht, du machst nüscht, fahr nach Berlin!“
Zwischen Idyll und Gentrifizierung
Lichtjahre scheinen vergangen seit den Filmen der Nachwendejahre, die geprägt waren von Ost-West-Themen und gespannter Unsicherheit. Selbst ein neuerer Film wie die Komödie Sommer vorm Balkon (Andreas Dresen, 2005), in dem eine Urberlinerin und eine Schwäbin im Bezirk Prenzlauer Berg zusammenleben, bevor die Gentrifizierung das Idyll zerstört, wirkt bereits wie ein Zeitdokument: Mittlerweile ist die kommerzielle Sanierung des begehrten Altbauviertels längst abgeschlossen.Running Gag der Tragikomödie Oh Boy (Jan-Ole Gerster, 2012) ist das vergebliche Unterfangen des Endzwanzigers Niko, unter geänderten ökonomischen Bedingungen einen bezahlbaren Kaffee zu bekommen – „Colúmbia oder Arrabiata?“, flötet die Schwäbin hinterm Tresen. Niko, der Studienabbrecher ohne Weg und Ziel, ist ein später Nachkomme all der Schwärmer, Langzeitstudenten, Wehrdienst- und Leistungsverweigerer, die das Bild des Exilberliners lange bestimmten. Seine Nachtreise durch das neue Berlin, gefilmt in elegantem Schwarzweiß, zeigt einen melancholischen Einzelkämpfer, der mit der Entwicklung nicht mehr Schritt halten will.
Stille Momente in der Partyhauptstadt
Die Stadt in ihrer ständigen Bewegung einzufangen, gelang keinem Film spektakulärer und authentischer als Victoria (Sebastian Schipper, 2015). In dem kühnen Filmexperiment, gedreht in einer einzigen 140-minütigen Einstellung, lässt sich eine junge Spanierin nach einer langen Clubnacht von vier jungen Männern aufgabeln, zieht mit ihnen um die Häuser und begleitet sie schließlich bei einem Bankraub. Sie seien „real Berliners, not zugezogen“, hatte sich der sympathische Sonne vorgestellt – eine Gesprächsanbahnung in holperigem Englisch, wie man sie in der aufgeheizten Stimmung des boomenden Ausgeh- und Amüsierbetriebs jede Nacht hören kann. In einem stillen Moment erzählt Victoria ihre Geschichte: Die Perspektivlosigkeit im verschuldeten Spanien trieb sie hierher, wo sie nun für einen Hungerlohn in einem Café arbeitet. Berlin ist nicht nur die wilde, bunte Partymetropole, sondern auch ein Zufluchtsort für Flüchtlinge und Geflüchtete aus aller Welt, Arbeitsmigranten und Hedonisten, freiwillige und unfreiwillige Expats voller Hoffnung auf ein besseres Leben
Echte Berliner, echte Probleme
Die „echten Berliner“ gibt es auch noch, etwa in den wunderbar verschrobenen Tragikomödien von Axel Ranisch (Ich fühl mich Disco, 2013) aus den Berliner Randbezirken. Aber am nächsten kommt man ihnen, natürlich, im Dokumentarfilm. Etwa in Prinzessinnenbad (2007), Bettina Blümners hartem Porträt dreier Mädchen aus prekären Verhältnissen, die sie im Kreuzberger Prinzenbad kennenlernte – das Freibad ist ein multikultureller Treffpunkt, der stellvertretend steht für das nicht immer einfache und doch gelingende Zusammenleben in der Stadt. Klara, Mina und Tanutscha plaudern über deutsche und türkische Jungs, rauchen, trinken, flirten und sind überhaupt mehr raues und ungeschöntes Berlin, als es ihren zarten Mädchenseelen gut tut.In Neukölln Unlimited (Agostino Imondi, Dietmar Ratsch 2010) schließlich lernen wir Hassan, Lial und Maradona kennen, drei Geschwister einer aus dem Libanon geflohenen Familie. Allesamt in dem Berliner „Problemkiez“ Neukölln geboren, kämpfen sie doch seit Jahren gegen ihre Abschiebung und finden allein im Breakdance die Anerkennung, die ihnen die Gesellschaft verweigert. Wie reflektiert Hassan über absurde Begriffe der bürokratischen Prozesse („Härtefallkommission“) spricht, straft die hitzigen Integrationsdebatten der letzten Jahre Lügen. Von all den Filmberlinern ist er der einzige, der Berlin seine „Heimat“ nennt.