Nachhaltige Gemeinschaften
2n40: Ein Genossenschaftshaus wird zum solidarischen Wohnprojekt
Von Marina Bierbrauer
Aus zwei zusammenstehenden Häusern mit insgesamt 8 Wohnungen à 60 m² wird ein großes Gemeinschaftshaus für rund 25 Menschen von klein bis groß. Das ehemalige Genossenschaftshaus aus dem Jahre 1919 steht am südlichen Stadtrand von Dresden. Fast schon ländlich gelegen, genießt man hier gleichzeitig die Vorzüge der Großstadt. Am Anfang stand der Zusammenschluss von Familien und Einzelpersonen, die sich aus verschiedenen Zusammenhängen schon kannten und gemeinsam auf die Suche nach einem Haus machten. Sie wurden recht schnell fündig. 2013 wurde das Haus ersteigert, 2016 folgte nach umfangreichen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten sowie dem Ausbau des Dachstuhls der Einzug in das Hausprojekt 2n40, dessen Name übrigens auf ein Wortspiel zurückgeht. Die Hausnummern (41 und 43) und ein Buch bzw. Film spielen dabei eine Rolle, über den Rest darf jede*r selbst spekulieren.
Heute erinnert nicht viel mehr als die zwei Treppenhäuser daran, dass es sich mal um zwei klassische Mehrfamilienhäuser handelte. Entstanden ist ein Hausprojekt, das neben Wohnungen für Familien und WGs viel Raum für Gemeinschaft bietet. Bei meinem Besuch wurde ich von Tilman, der mit seiner Familie seit der Gründung dabei ist, herzlich empfangen und zum Frühstück eingeladen, bevor er mir das Haus von unten bis oben und wieder zurück gezeigt hat.
Gute Gründe für ein Leben in Gemeinschaft
Die Bewohner*innen sehen das Zusammenleben in größerer Gemeinschaft weniger als Innovation, sondern eher als ein ganz natürliches Bedürfnis. Was früher normal war – generationsübergreifendes Wohnen – ist seit der Industrialisierung zunehmend zur Ausnahme geworden. Die Statistiken zeigen: Ein- und Zwei-Personen-Haushalte werden immer mehr, der durchschnittliche Wohnraum pro Person wird immer größer. Dadurch wird immer mehr Platz benötigt, was negative Auswirkungen auf Ressourcen, Umwelt und Mietpreise hat.Solidarisches Zusammenleben
Kommunikation, Akzeptanz, gegenseitige Unterstützung und Entfaltungsmöglichkeiten sind für die Bewohner*innen wichtige Kriterien für ein harmonisches Zusammenleben. Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten sind ebenso wichtig wie die Gemeinschaft, in die sich jede*r so viel einbringen kann, wie sie oder er mag und kann. Zu den Gemeinschaftsräumen zählen neben dem großen Garten die Gemeinschaftsküche mit Ess- und Wohnbereich, ein Büro und ein Spielzimmer für die Kinder. Gerade für die Kinder ist das gemeinsame Aufwachsen eine große Bereicherung. Für die Aufgaben im und um das Haus gibt es verschiedene AGs, in die sich jede*r nach Vorliebe und Interesse einbringt.Stärkung und Erhalt der Gruppe wird nicht als Selbstläufer, sondern als laufende Arbeit im positiven Sinne gesehen. Als bewährte Methoden haben sich 14-tägige Plenen, Konsensentscheidungen, ein jährliches gemeinsames Wochenende außerhalb des Hauses sowie ein bis zweimal pro Jahr die Unterstützung eines professionellen Mediators erwiesen.
Das Mietshäuser Syndikat: weg vom profitorientierten Immobilienmarkt
Das Wohnprojekt ist Mitglied im Mietshäuser Syndikat. Das Syndikat berät und unterstützt – vereinfacht gesagt – bei der Projektgründung und Finanzierung. Zum Syndikat gehören inzwischen über 150 Hausprojekte, Kriterien für eine Aufnahme sind Selbstverwaltung, ein Solidartransfer und keine Wiedervermarktung – mit der Mitgliedschaft entschließt man sich, die Immobilie dauerhaft dem Immobilienmarkt zu entziehen. Nicht zuletzt mit dem Ziel, den Wohnraum auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Rechtlich ist jedes Projekt eine GmbH, von der 51 % dem Hausverein und 49 % dem Mietshäuser Syndikat gehören. Finanziert werden die Projekte zu unterschiedlichen Teilen aus Direktkrediten (so genannte Nachrangdarlehen), Eigenkapital und Bankkrediten. Bei Letzteren setzt man auf KfW-Förderkredite und nachhaltige bzw. ethisch orientierte Banken wie Genossenschaftsbanken, die GLS oder Ethikbank.Kostendeckend statt gewinnorientiert wirtschaften ist außerdem ein wichtiger Grundsatz: Dadurch können unter anderem die Mieten niedrig gehalten werden. Diese wird im Wohnprojekt 2n40 in regelmäßigen Abständen solidarisch ausgehandelt. Dabei gibt jede*r anonym ein Gebot ab, alles wird addiert und geschaut, ob es für die laufenden Kosten reicht. Wenn nicht, wird erneut abgestimmt. Das funktioniert bisher sehr gut, es wurden noch nie mehr als drei Runden benötigt. Bei der Miethöhe ist nicht nur die Größe des privat bewohnten Raums ein Kriterium, sondern auch die individuelle (finanzielle) Situation.
Solidarische Landwirtschaft und mehr
Das Wohnprojekt ist Ernteteiler des Schellehofs Struppen. Solidarische Landwirtschaft kurz erklärt: Als Mitglied einer Solidargemeinschaft zahlt man einen festen monatlichen Betrag an einen landwirtschaftlichen Betrieb. Dafür erhält man wöchentlich Lebensmittel – vorwiegend Gemüse und Obst, aber auch Getreide, Backwaren oder Milchprodukte – direkt vom Erzeuger. Regional, saisonal und bio. Um den Gedanken der solidarischen Landwirtschaft weiter zu verbreiten und die Teilnahme mehr Menschen zu ermöglichen, gibt es auf dem Grundstück ein Lebensmitteldepot für Nachbar*innen.Von einem Bauern in der Nähe werden weitere Lebensmittel direkt und ohne Umwege bezogen. Einige Lebensmittel kommen direkt aus dem Garten und dem Gewächshaus. Seit einer Weile gibt es sogar frische Eier von hauseigenen Hühnern.
Für alles, was darüber hinaus noch benötigt wird, erfolgt eine monatliche Bestellung beim Biogroßhandel. Dadurch kann einiges unverpackt geliefert werden und die Abnahme größerer Mengen spart Kosten. Die Lebensmittel werden gemeinschaftlich und wie die Miete solidarisch finanziert.
Nachhaltigkeit im Haus und im Alltag
Upcycling, teilen, gebraucht kaufen und Dinge so lange wie möglich nutzen: Das begegnet im Haus an verschiedenen Stellen. Die Solaranlage für Heizung und Warmwasser wurde gebraucht erstanden und soll perspektivisch erweitert werden, um im Sommer keine zusätzliche Wärmegewinnung mehr zu benötigen. Bis dahin sorgt der Pelletofen für Wärme im Haus und unter der Dusche. Die alten Fenster sind zum Gewächshaus geworden und haben so weiterhin einen wertvollen Nutzen. Durch die Lage am Stadtrand, aber dennoch in einer Großstadt gelegen, ist der ÖPNV nahe und gut ausgebaut. Ansonsten gibt es Fahrräder und einen Elektroroller. Ein Bus und einige wenige Autos wurden von Bewohner*innen mitgebracht und werden nach Absprache geteilt, falls doch mal ein Auto benötigt wird.Die Bewohner*innen des Hausprojekts 2n40 haben ein nicht nur funktionierendes, sondern für alle Beteiligten wertschöpfendes Modell des gemeinsamen Lebens und Wirtschaftens gefunden. Eine eher geringe Fluktuation gibt dem Erfolg recht. Und so freut man sich auf viele weitere Jahre gemeinsamen Wachstums, auch über die jetzige Generation hinaus.