Kulinarische Hafenstädte
PASTURE: DEM KOCH ÜBER DIE SCHULTER GESCHAUT
Wer zu Gast im Restaurant Pasture ist, nimmt auf einem der sechs direkt am Küchentresen platzierten Stühle Platz, ganz nah am lodernden Feuer, wo Chefkoch Ed Verner den Grillfächer schwingt, bis die Funken glühen. Für seine sorgsam zusammengestellten Menüs benutzt er Zutaten, die nicht selten ein Jahr Vorbereitungszeit brauchen.
So entsteht ein theatralisches wie intimes gastronomisches Erlebnis, das man sonst in der gehobenen Klasse vergebens sucht. Auf einer Reise nach Neuseeland verriet der inzwischen verstorbene Gastro-Kritiker der Los Angeles Times Jonathan Gold einmal einem Journalisten, dass sein Besuch im Pasture das großartigste Erlebnis auf seiner gesamten Neuseeland-Reise war.
Die Wand hinter der Bar gleicht einem mit viel Liebe zum Detail zusammengestellten Show-Regal: Hier findet sich ein Sammelsurium sich Gläser mit fermentierten Pastinaken, Milchlikör, gesalzene Kirschen, eingemachte Piniennadeln, Saft von gegrillter Paprika, Sauerklee, sogar ein Essig aus dem heimischen Mutton Bird, dem Kurzschwanz-Sturmtaucher, ist hier zu finden. Diese fermentierten, salzig oder sauer eingelegten Speisen zeugen nicht nur von der Kreativität der 12-gängigen Degustationsmenüs, sondern belegen auch die Nachhaltigkeit, die Chefkoch Ed Verner und seine Frau Laura, denen das Restaurant gehört, hier an den Tag legen.
Im Gespräch mit dem Ehepaar Ed und Laura Verner, denen das Pasture gehört, erfuhr ich einiges über Nachhaltigkeit, Kreativität und Innovation.
Wie würden Sie die Philosophie hinter dem Restaurant Pasture beschreiben?
Ed Verner (EV): Ganz einfach: Nimm die absolut besten Zutaten, die du finden kannst, am besten jene, die in Neuseeland einzigartig oder zumindest besonders sind, und koche und präsentiere sie so gut wie du kannst. Ich bemühe mich stets, ein Gericht anders zuzubereiten als üblich und meine Gäste mit neuen Geschmackskombinationen zu überraschen. Dabei halte ich alles so einfach wie möglich und überlege ständig, wie man ein Gericht aufs Wesentliche reduzieren kann.
Momentan haben wir ein Snapper Gericht auf der Karte, das ist im Grunde nichts als ein Stück Fischfilet und dazu ein bisschen Soße. Aber es ist verdammt noch mal der beste Fisch, den man sich vorstellen kann. Es gibt mir einen richtigen Kick, meinen Gästen einen so gewöhnlichen Fisch wie den Snapper vorzusetzen, der dann eine echte Offenbarung für sie ist, weil sie Snapper noch nie so gegessen haben. Genau das ist meine Mission: Man nehme ein wunderbares Stück Fisch, behandele es behutsam, bereite es mit viel Liebe zum Detail zu und arrangiere es dann auf ganz einfache Art. Wir braten ihn auf dem Feuer nur ganz leicht an, so wird die Haut schön knusprig und das Fleisch zergeht auf der Zunge. Wenn man die Leute hier nach ihrem Lieblingsgericht fragt, sagen sicher viele: „Snapper“.
Laura Verner (LV): Wenn die Gäste gehen, sagen sie oft, dass sie den Eindruck hatten, als sie seien bei uns zuhause zu Besuch gewesen. Ich glaube, das liegt daran, dass man uns bei allem zusehen kann. Darum wollten wir auch unbedingt eine offene Küche, und wir legen auch großen Wert auf erstklassigen Service. Wir wählen das Angebot der Saison sorgfältig aus und sind offen für neue Ideen. Unser Ziel ist es, den Gästen einen Eindruck von authentischer Küche zu verschaffen und neue Standards in Sachen Geschmack und Essen zu setzen. Ich glaube, die Leute wissen es zu schätzen, dass es bei uns ehrlich und bodenständig zugeht. Viele haben eine festgefahrene Ansicht von dem, was man „gut essen gehen“ nennt. Sobald sie bei uns durch die Tür kommen, versuchen wir, sie ihre bisherige Meinung vergessen zu lassen.
Es ist bekannt, dass Sie bei Pasture großen Wert auf Nachhaltigkeit legen. Sie kaufen etwa ihr Fleisch vom ganzen Tier, schlachten dies selbst und lassen das Fleisch reifen. Und wenn ich mich so umsehe und die ganzen Gläser im Regal anschaue, scheint es, dass hier nichts vergeudet wird. Warum ist Ihnen das so wichtig?
EV: Wir lassen uns Lamm, Schwein und Rind immer als ganze Tiere liefern. Momentan sind wir bei der 5. oder 6. Kuh. Das sind jeweils 500 kg Fleisch pro Tier und unser Platz ist gering, aber wir haben eine eigene Kühltruhe, in der das Rindfleisch reifen kann. So kann ich erstens die Qualität und das Zerlegen selbst kontrollieren und muss mich nicht auf die Arbeit anderer verlassen. Ich kann alles so zerlegen, wie wir es bei Pasture brauchen und muss nichts verschwenden. Die Hälfte der Zeit kann man sein Fleisch nur vakuumverpackt und in Blut schwimmend in Plastik bekommen. Das will ich hier nicht. Zweitens ist die Produktnachverfolgung in der Fleischindustrie ganz anders als in anderen Branchen. Wenn ich einen Bauern habe, der mir ein ganzes Tier mit tollem Fleisch liefert, kann ich die ganze Industrie umgehen. Drittens reift das Fleisch bei uns am Knochen. Wir brauchen also Fleisch, das am Knochen und in Fett lagert, und das zu finden, ist sehr schwierig. Es hat Jahre gedauert, bis wir die richtigen Lieferanten auftreiben konnten. Ich freue mich, dass wir nun Zulieferer haben, die gerne mit uns arbeiten. Normalerweise bezieht ein Restaurant seine Ware jede Woche, was auch die Bezahlungsabläufe einfacher macht. Mal eben eine ganze Kuh und damit einen Fleischvorrat für drei Monate zu kaufen, ist ein ganz schönes Wagnis.
Wir haben immer viele Einmachgläser und Eimer mit vielen verschiedenen Dingen in der Küche: Gesalzenes, Essig, alles Mögliche. Manchmal kaufen wir viel von einem erstklassigen Produkt der Saison oder wir benutzen einfach, was wir noch übrig haben. Die Grapefruitschalen hier im Regal etwa sind Überbleibsel vom Entsaften. Wenn ich mal Reste von Zutaten für ein Gericht habe, das auf der Karte stand, hebe ich diese auf. So kann ich zum Beispiel auch dann grüne Erdbeeren anbieten, wenn diese keine Saison mehr haben. Im Moment haben wir gerade weißen Spargel auf der Karte. Was wir davon nicht brauchen, verarbeiten wir zu Saft und fermentieren es. So kann ich auch auf dem Winterspeiseplan weißen Spargel anbieten. Wir planen immer sehr viel im Voraus.
Unser Rote Bete Gericht, das wir gerade auf der Karte haben, beinhaltet eingemachte Kirschblüten und Rote Bete auf zweierlei Art. Wir glasieren die Bete mit konservierten Pflaumen, Rhabarber oder Erdbeeren, was dem Ganzen einen sehr säuerlichen Touch verleiht. Die Roten Bete haben wir mit den Beeren glasiert, so dass sie einen angenehmen Biss haben. Die Chioggia-Bete sind etwas knuspriger und sauer eingelegt, dazu kommen die salzigen Kirschblüten. Alles zusammen ergibt ein sehr interessantes und komplexes Geschmackserlebnis.
Eine weitere Besonderheit des Pasture ist die kreative Getränkekarte, auf der Cocktails und alkoholfreie Getränke genau auf jeden einzelnen Gang abgestimmt sind. Wie genau gehen Sie dabei vor?
EV: Im Pasture dreht sich alles um Kreativität, und ich schöpfe wirklich jede Möglichkeit bis zur Obsession aus, nur beste Qualität abliefern zu können.
Wir nehmen für unsere Getränke oft Zutaten, die ein normaler Barmann wohl nicht zur Hand nähme: Essig, Salzwasser oder Fermente. Einige Cocktails sind wirklich gewöhnungsbedürftig und man würde sie vielleicht nicht einzeln bestellen, weil sie speziell zu einem bestimmten Gericht kreiert wurden
Zu unserem Rote Bete Gericht servieren wir etwa einen Cocktail namens Mr Roboto, für den wir einen hausgemachten Mirin verwenden und dazu Kirschblüten und fermentierten Rhabarber mischen. Das Ganze ist eine sehr salzige, saure und sprudelnde Angelegenheit. Bei den alkoholfreien Getränke lassen wir uns auch gerne mal etwas Lustiges einfallen, je nach dem, was gerade anliegt. Wir servieren zum Beispiel gerade zu unserem weißen Spargel einen frisch gepressten Erdbeersaft mit geröstetem Buchweizen. Oder da wäre noch unsere Sauerteig-„Bier“ mit Schinkenfladen, ein frisch geröstetes Brot mit selbst geräuchertem Pancetta vom schwarzen Hausschwein; eine Spezialität, die wir letztes Jahr selbst hergestellt haben. Auch aus fermentierter Gurke, Mandelmilch und sprudelndem neuseeländischem Oolong-Tee wird bei uns ein alkoholfreier Drink.
Das Konzept von Pasture unterscheidet sich deutlich von allen anderen Restaurants, die ich bisher besucht habe: Es gibt nur sechs Plätze, die allesamt direkt um den Arbeitsplatz des Chefkochs herumarrangiert sind. Warum setzen Sie auf ein vorgegebenes Menü direkt am Tresen statt auf den üblichen Service am Tisch?
EV: Am Anfang waren wir ein Restaurant mit 20 Plätzen, inzwischen gibt es bei uns zwei Essenszeiten für jeweils sechs Leute. Und seither schlägt mein Herz für das Pasture umso mehr! Die Art, wie wir unser Essen zubereiten, fordert viele Überstunden, und es war nicht leicht, die richtigen Köche für diesen Job zu finden. Zu jeder Zeit die fertigen Gerichte herausgeben zu müssen, ist ziemlich stressig. Wir haben gemerkt, dass wir zu den Leuten, die bei uns direkt an der Essensausgabe saßen, immer einen besseren Draht hatten als zu jenen in der Ecke am Tisch. Es war eine echte Befreiung, unser neues Konzept durchzusetzen und zu wissen, dieses jederzeit wieder ändern zu können. Langweilig wird es bei uns jedenfalls nie.
LV: Die Gäste fühlen sich so nah am Feuer einfach wohl und schauen Ed gerne über die Schulter, wie er den Grillfächer schwingt. Wir haben keine Küche mit lauter Töpfen und Pfannen. Das glühende Herz des Restaurants ist das offene Feuer, und dieser Verlockung sind die meisten schnell erlegen.
Wir sind gewissermaßen die Punks der Szene und lehnen uns gegen das Normale auf, und das ist ein gutes Gefühl. Mir liegt unser Konzept sehr am Herzen und ich bin überzeugt davon, dass alles, was man tut, einen Sinn haben sollte. Und genau das können wir im Pasture ausleben. Es geht uns nicht um Erfolg und Auszeichnungen, wir möchten einfach, dass das Pasture eine Innovation innerhalb der Branche darstellt.