Freya Copeland
Goethe-Institut Neuseeland und Contemporary HUM präsentieren eine Artikelserie über neuseeländische Künstler*innen, die in Deutschland physisch und künstlerisch ein neues Zuhause gefunden haben. Der Fotograf und Bildredakteur Michael Biedowicz spricht mit der Fotografin und Kuratorin Freya Copeland.
Von Michael Biedowicz
Freya Copeland (geb. 1990) ist eine junge Fotokünstlerin, die auf vielfältigste Weise mit dem Medium Fotografie arbeitet. Aufgewachsen in Neuseeland, lebt und arbeitet sie heute in Berlin und Valencia.
Freyas Beschäftigung mit der Fotografie begann sehr früh, mit 11 Jahren. Ihre erste Kamera, eine analoge Spiegelreflexkamera, war eine Leihgabe ihrer Mutter, mit der sie bis heute arbeitet. Auf den alles auslösenden Moment, den Beginn angesprochen, dem ja immer ein besonderer Zauber nachgesagt wird, merke ich schnell: die Redensart trifft es nur bedingt - die Fotografie wird ihr zur Offenbarung und wird zu einer Leidenschaft, die bis heute anhält und sie zu immer neuen Konzepten anregt. Das familiäre Umfeld fördert Ihren Weg zur Künstlerin.
So hält Freya in unzähligen Notizbüchern alle ihr wichtigen Kunstwerke fest, die sie als Reproduktionen in den Kunstbüchern der Bibliotheken Aucklands findet, und versucht später, diese im Original zu sehen. Zwangsläufig beginnt damit auch die Beschäftigung mit Provenienzen und sie stellt die Fragen: Warum ist europäische Kunst überall und auch in Übersee so präsent und wo bleibt die Wertschätzung der Kunst der Maori und der pazifischen Inseln?
Seit 2011 arbeitet Freya in Berlin, studiert Fotografie, arbeitet unter anderem als Kuratorin und gründet mit Youvalle Levy den unabhängigen Fotobuch-Verlag REPLIKA, in dem auch ihre Bücher erscheinen. REPLIKA ist mehr als ein Verlag für Kunstbücher, vielmehr eine Heimstätte für eine junge und experimentierfreudige Fotograf*innen-Generation, der sie Unterstützung geben will.
Charakteristisch für Freyas Arbeit ist ihr intensives Nachspüren und auch Nachsinnen über Themen, die unsere Zeit mit sich bringt: oft geht es um Vereinzelung und um das Gefühl der Verlorenheit in der Großstadt, sowie um den Verlust von Zugehörigkeit. Die Hinwendung zu diesen Themen erklärt sich auch aus der biografischen Konstellation: geboren in Europa, aufgewachsen in Neuseeland und stark durch diese Kultur geprägt, um später wieder in Europa zu leben.
Die raue Ästhetik Berliner Straßen und Plätze, dazu das unverwechselbare harte Licht - das hat einen großen Einfluss auf die Ästhetik Ihrer Bilder und unterstützt ihr Bestreben, tiefer gelegene Strukturen freizulegen und in die Geschichte des Ortes einzudringen. Ganz anders das Licht Neuseelands: Freya beschreibt es als ein gleichmäßiges, ozonfreies südpazifisches Glühen. Deren selbstverständliche Dauerpräsenz kann unter Umständen mehr verhüllen, als Geschichte und Geschichten zu offenbaren.
Nach ihrem ganz persönlichen Statement zu ihrer Arbeit gefragt, sagt sie: „Ich glaube, was ich an der Fotografie am meisten mag, ist, dass sie mir private Momente verschafft, in denen ich beobachten und festhalten kann, ohne mir Gedanken über meine körperliche Existenz in einem bestimmten Moment zu machen.“ Dieses Loslassen macht sie frei für alle Experimente, und das kann z.B. bedeuten, dass sie entwickelte Filme mit Kaffee und Shampoo bearbeitet. Experiment und Tradition, beide Seiten gehören seit der Erfindung der Fotografie zusammen. So auch bei Freya, deren Bilder auch im traditionell handwerklichen Sinne exzellent sind und sich durch eine ganz wunderbar eigene, stille Präsenz auszeichnen.
Ihre künstlerischen Projekte gehen weit über das pure Erstellen von Fotografien oder Serien hinaus. Sie stellen vielmehr den Startpunkt für einen Prozess dar, der auf einen aktiven und mitfühlenden Betrachter zugeschnitten ist. Das mag etwas angestrengt klingen, ist es aber keineswegs. Ausgesprochen raffiniert und hintersinnig, wie Freya Copeland mit den Behauptungen der Fotografie arbeitet, mit der Wahrnehmung von Fiktion und Realität spielt und diese immerzu hinterfragt. Was sehen wir auf einem Bild, sehen wir alle das gleiche? Wieweit spielen unsere persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen in die Betrachtung hinein und wie und womit füllen wir offensichtliche Leerstellen ihrer Narration aus.
So habe ich mich bei der Beschäftigung mit Ihrem Werk gefragt, wann ist eigentlich ein Bild für die Künstlerin fertig und abgeschlossen? Für mich war das immer nach dem Fotografieren und zuallerletzt nach dem Präsentieren des Bildes der Fall. Bei Freya Copeland ist es ein dialogischer Prozess - Schöpfer und Betrachter bedingen einander.
In der Fotografie gibt es drei Partner*innen: erstens - die Person oder das Objekt, das wir auf der Abbildung sehen, zweitens - der/die Fotograf*in als Schöpfer*in des Bildes und drittens und zu guter Letzt: wir, die Betrachter*innen. Für die Kunstgeschichte stehen diese selten im Fokus. Dass Freya Copeland uns, die Betrachter*innen ihrer Bilder, in ihre Arbeit einbezieht, erweitert den gängigen eindimensionalen Weg von Sender und Empfänger auf beglückende und inspirierende Art und Weise.
Die Präsentation ihrer Fotografien finden in Installationen und vor allem in Buchpublikationen, genauer gesagt Künstler*innenbüchern, ihre entsprechende Form. Beim Projekt „Footfalls Echo“ erinnert die Aufmachung des Buches an ein Tagebuch - eine sehr persönlich gehaltene Geschichte von (Stadt-)Räumen und Gedanken. Besonders den Gedanken wird viel Platz eingeräumt, im übertragenden und wörtlichen Sinne: ein großzügiger Weißraum umgibt die Fotografien im Buch und lässt alle Bilder atmen. Und nicht zuletzt sehe ich auch ein Bekenntnis zur Schönheit in der Fotografie. Ihre Bilder zeigen hier oft eine Leere, und das ausgerechnet in New York City. Aber man kann sich auch in der von Menschen überfülltesten Metropole allein fühlen. Der Titel weist auf das Echo hin, das Echo der Schritte. Also, das was nachklingt, nachhallt steht für sie im Vordergrund und ist daher titelgebend. Die Reflexion ist das eigentliche Thema dieses Buches.
Eine weitere Affinität der Künstlerin besteht in ihrer Beschäftigung mit Archiven und Archivsystemen wie in der Werkgruppe „Archive of the Arcane“ zu sehen. Hier kommen neben angefertigten und gefundenen Fotografien auch alle möglichen Artefakte, Zeitungsdokumente und Notizen hinzu - ein großes Spiel mit Medien, die allgemein als dokumentarisch angesehen werden. Diese werden zur Zeugenschaft aufgerufen und ohne Kontextualisierung stehen gelassen. Die Künstlerin dazu: „Mein Hauptanliegen bei diesem Projekt war es, das zu archivieren, was nicht archiviert werden kann.“
Die Kultur- und Kunstgeschichte braucht diese Orte: Archive, Sammlungen und Museen als Orte der Erinnerung und (Auf-)Bewahrung. Jedoch weiß kaum jemand, wie diese perfekt funktionieren können und sollen. Unzulänglichkeiten gehören dazu, wie das z.B. Christian Boltanski, ein Künstler, dessen Werk für immer mit der Arbeit mit Archiven verbunden ist, bedauert hat.
Seine These, dass der Nachlass eines Verstorbenen niemals wirklich aufbereitet werden kann - das letzte Puzzleteil zur Entschlüsselung der einzelnen konkreten Fakten ist für immer verloren. So bleibt dem/r Betrachtenden nur die Möglichkeit, die Fotografien und Dokumente selbst zu ordnen und zu interpretieren. Boltanski: „Ich glaube, jeder Mensch hat eine geschlossene Tür vor sich, und jeder Mensch sucht den Schlüssel, um diese Tür zu öffnen. Alle suchen ihn! Manche glauben, ihn gefunden zu haben. Für mich wird sich die Tür niemals öffnen, für mich gibt es keinen richtigen Schlüssel, aber Mensch sein bedeutet eben, diesen Schlüssel zu suchen.“
Zu diesem Suchen lädt uns Freya Copeland ein.