Hinter den Kulissen
Berlin

Meininger Staatstheater © © Imogen Thirlwall Meininger Staatstheater © Imogen Thirlwall

In den vergangenen sechs Monaten hatte ich das Vergnügen, in Deutschland und Österreich für verschiedenste Zwecke vorsingen zu dürfen: Für Agenturen, Projekte, ein Opernstudio sowie für diverse Festanstellungen in Opernhäusern. Das Ambiente reichte dabei von einem winzigen mit Teppich ausgelegtem Mini-Zimmer bis zur Hauptbühne eines Opernhauses.

Theater Koblenz
Das Theater Koblenz wird für mich immer eine besondere Erinnerung bleiben: Hier durfte ich das erste Mal für ein deutsches Opernhaus vorsingen. | © Imogen Thirlwall
Als darstellender Künstler ist der Weg nach oben wahrlich kein Zuckerschlecken: Manchmal fährt man zehn Stunden mit dem Zug, um fünf Minuten vorzusingen. Dann steht man vor einer Tischreihe mit Künstlern, Verwaltungsmitarbeitern und Kollegen, die deine Leistung beurteilen und dabei bestenfalls gelangweilt aussehen … wenn sie nicht gerade geräuschvoll einen Apfel essen. Und am Ende stets das obligatorische „Vielen Dank – rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an!“
 

Vorsingen
Bei einem Vorsingen weiß man nie, ob man noch Gelegenheit hat, sich vorher warm zu singen. Manchmal muss man auch vor einer beeindruckenden Landschaft in einen Schal hineinsingen. | © Imogen Thirlwall
Vorbereiten auf das Vorsingen

Einmal um die ganze Welt zu reisen und zu versuchen, in einer stark überlaufenen Branche mit enorm hohem Konkurrenzdruck Arbeit zu finden, ist wirklich eine unglaubliche Erfahrung. Bevor man überlegt, wie man es schafft, am Ende beim Vorsingen zu überzeugen, stellt sich erst einmal die Frage, wo man überhaupt geeignete Jobangebote findet.

Entsprechende Stellenangebote finden sich vor allem im Internet; dort kann man sich auf Portalen wie „The Opera Stage” anmelden, wo Jobanzeigen zu finden sind. Wer sich hier bewerben möchte, muss seine bisherige Erfahrung in einen Lebenslauf sowie einem Anschreiben formulieren und dazu Audio- und Videomaterial einreichen. Die Opernhäuser treffen dann aus Hunderten von Bewerbungen erst einmal eine Vorauswahl, die dann zum Vorsingen eingeladen wird.


Spielplan
So sieht der monatliche Spielplan diverser Theater aus | © Imogen Thirlwall
Als Vorbereitung sollte man ein „Vorsing-Paket” parat haben, das aus fünf oder sechs Arien (also Operntiteln) besteht, die verschiedene Stile und Gefühllagen reflektieren und eine Visitenkarte der eigenen stimmlichen Fähigkeit und künstlerischen Persönlichkeit sind. Diese Auswahl sollte natürlich genau auf Alter, Stimmlage, körperliche Erscheinung und viele andere Faktoren abgestimmt sein.


Dialogausschnitt
Dialogausschnitt aus Mozarts „Die Zauberflöte”. | © Imogen Thirlwall
Je nach Art des Vorsingens muss man dabei auch verschiedene zusätzliche Komponenten auf Deutsch meistern, etwa Dialoge oder Auszüge aus Opernrefrains oder Chorgesängen auswendig lernen; zeigen, dass man alle wichtigen Arien kennt, Sehtests machen und in Interviews von sich erzählen.

Hinter den Kulissen

Beim eigentlichen Vorsingen muss man dann unter Beweis stellen, was man kann. Erst mal kommt man an und findet sich in dem vor einer Audition üblichen Chaos wieder. So ist es etwa gang und gäbe, erst mal drei Stunden lang auf dem Flur neben anderen Sopranisten zu sitzen, die ebenfalls vorsingen werden. Viele lassen ihr Können bereits heraushängen, überall herrscht Lärm und den Luxus, den Pianisten bereits im Vorfeld kennenzulernen oder einen Raum vorzufinden, in dem man seine Stimme aufwärmen und sich in Ruhe vorbereiten kann, hat man nur selten.

Die Zeit vor dem Vorsingen hat in vielerlei Hinsicht etwas Einsames an sich. Man arbeitet ganz allein für sich im Übungsraum an seinem Repertoire. Und es ist wirklich nicht leicht, sich teuren Gesangsunterreicht zu leisten und die Anreise zu den Terminen zu finanzieren. Um mein Deutsch zu verbessern, nehme ich inzwischen Einzelunterricht und vermisse daher das gemeinsame Lernen im Klassenraum. Kurz, die Organisation diverser Auditions macht einen wirklich zum Einzelkämpfer.


Meininger Staatstheater
Ich habe es in die letzte Auswahlrunde für eine Stelle im Meininger Staatstheater geschafft und durfte auf der Hauptbühne singen. | © Imogen Thirlwall
Hinter den Kulissen kochen die Emotionen immer sehr hoch. Auch wenn alle sich viel Mühe geben, möglichst cool und gelassen zu wirken, so hofft doch jeder, hier und jetzt endlich einen Fuß in die Tür zu bekommen. Am Ende zählt jedoch nur, dass wir alle den gleichen Grund haben, all diese Strapazen auf uns zu nehmen: Wir möchten gemeinsam mit anderen Menschen Musik machen.

Es ist immer wieder beängstigend, schließlich den Raum zu betreten, in dem das Vorsingen stattfindet. Man ist in diesem Moment einfach extrem verletzbar. Aber dann singst du dir einfach die Seele aus dem Leib, und alle Mühen sind vergessen!
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