Innovationsaustausch
Wissenschaftliche Forschung in Neuseeland und Deutschland

RV Sonne in Auckland
© Thomas Henzschel, German Embassy Wellington

Bionische Gelenke, Meeresökosysteme, Superdiversität: Um bessere Lösungen für gemeinsame Belange zu finden, arbeiten Wissenschaftler aus Neuseeland und Deutschland zusammen. Die Vereinbarung über eine wissenschaftliche und technologische Kooperation zwischen den beiden Ländern ist schon über 40 Jahre alt. Wie die Zusammenarbeit funktioniert, erklärt der derzeitige Koordinator der Initiative in Neuseeland Dave Lowe.

Warum, so mag man sich fragen, sollten Neuseeland und Deutschland, die geographisch so weit voneinander entfernt sind und ganz unterschiedliche sprachliche und kulturelle Hintergründe haben, eine Partnerschaft in Sachen Wissenschaft und Forschung eingehen? Auf den ersten Blick scheint eine solche Verbindung ungewöhnlich und wenig sinnvoll. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall.

Ich bin seit 2012 neuseeländisch-deutscher Koordinator für Wissenschaft und Innovation beim MBIE (das neuseeländische Ministerium für Wirtschaft, Innovation und Arbeit). Das Abenteuer Deutschland begann jedoch schon einige Jahre früher, als ich Masterstudent an der Victoria University war. Damals sprach ich kein Wort Deutsch, habe mich aber trotzdem entschieden, mich für ein Doktorandenstipendium der Bundesregierung für Atmosphärische Chemie an der Universität Köln zu bewerben. Nachdem ich dort einen Platz bekommen hatte, habe ich mich sofort für einen Deutschkurs angemeldet.

Doktortitel mit kleinen Extras

Die Versuche für meine Doktorarbeit habe ich dann in einer riesigen Forschungseinrichtung in Jülich, einer kleinen Stadt zwischen Köln und Aachen, inmitten von Zuckerrübenfeldern und Braunkohlekraftwerken, durchgeführt. Mit dem wissenschaftlicher Betreuer und den anderen Forschenden habe ich dabei ausschließlich auf Deutsch kommuniziert, und mein Weg zur völligen Beherrschung der Sprache war mit vielen lustigen Momenten gepflastert. Auch die Einstellung der Deutschen zu Arbeit und Spaß habe ich hier kennen- und schätzen gelernt.

Hier bekomme ich gerade meinen „Doktorhut“ – hier war es Tradition, dass die Kollegen einem einen verrückten Hut in Anlehnung an das Thema der Doktorarbeit bastelten. Irena und unser in Jülich geborener Sohn Greg schauen auch zu.
Hier bekomme ich gerade meinen „Doktorhut“ – hier war es Tradition, dass die Kollegen einem einen verrückten Hut in Anlehnung an das Thema der Doktorarbeit bastelten. Irena und unser in Jülich geborener Sohn Greg schauen auch zu. | © Dave Lowe
Für mich als Kiwi hat diese Erfahrung mein Leben verändert. Meine Frau und ich haben vier wunderbare Jahre in Jülich verbracht, und nach Ablauf meines Stipendiums hatte ich nicht nur einen Doktortitel, sondern auch zwei in Deutschland zur Welt gekommene Kinder, von der heute noch andauernden Liebe zu Land, Leuten und Sprache ganz zu schweigen.

Danach hat mich meine Karriere in Atmosphärenwissenschaften wieder zurück in die USA, aber auch wieder nach Deutschland und Neuseeland geführt. Die Tatsache, dass ich bereits verschiedene Forschungskulturen kennengelernt hatte und vor allem mit der deutschen Forschungswelt so vertraut war, war die idealen Voraussetzung für meine Tätigkeit als Koordinator im Bereich Wissenschaft und Innovation bei der neuseeländisch-deutschen Zusammenarbeit.

Kompetenz auf beiden Seiten

Um von Neuseeland aus effektiv arbeiten zu können, musste ich die Stärken des wissenschaftlichen Arbeitens in Neuseeland und Deutschland genau kennen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür war es, in beiden Ländern kompetente Partner ausfindig zu machen und Zusammenarbeiten zu initiieren, von denen beide Seiten profitieren.

Das alles muss von Forschungsgeldern getragen werden. Dazu muss man sich mit den richtigen Partnern zusammenschließen, die diese Projekte finanzieren. In Deutschland sind diese vor allem in Bonn ansässig, etwa die Alexander von Humboldt-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung

In Neuseeland werden wissenschaftliche Projekte meist vom MBIE finanziert, für das ich tätig bin. Ich arbeite auch eng mit der neuseeländischen Botschaft in Berlin und der deutschen Botschaft in Wellington zusammen. Beide sind sehr um den wissenschaftlichen Austausch zwischen den beiden Ländern bemüht.

Die RV Sonne im Hafen von Auckland nach einer Forschungsreise zum Kermadecgraben nördlich von Neuseeland im Januar 2017.
Die RV Sonne im Hafen von Auckland nach einer Forschungsreise zum Kermadecgraben nördlich von Neuseeland im Januar 2017. | © Thomas Henzschel, German Embassy Wellington
Viele Projekte werden zu Lehrzwecken durchgeführt und die DFG hat ein hervorragendes Graduiertenkolleg entwickelt. Eine dieser Einrichtungen ist INTERCOAST. Das gemeinsame Projekt der Universitäten Bremen und Waikato in Tauranga läuft nun schon seit acht Jahren. Der Hauptschwerpunkt liegt auf der Erforschung der Meeresküste. Dabei geht es etwa um verschiedene Aspekte des Klimawandels, Umweltrecht, Aquakultur und der Küsten- und Meeresforschung. Studierende, die an dem Programm teilnehmen, müssen jedes Jahr einige Monate im jeweils anderen Land leben und studieren.

Im Fall von INTERCOAST ist dieses Konzept ein Riesenerfolg, bei dem bislang 57 Teilnehmer (rund die Hälfte aus jedem Land) ihren Doktortitel gemacht haben Diese hochmotivierten und kompetenten jungen Leute leisten nun ihren Beitrag, um in beiden Ländern den Umweltschutz zu fördern und die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern.

Ein deutscher Teilnehmer des INTERCOAST Studienprogramms nimmt im Hafen von Tauranga Proben von Spurenelementen
Ein deutscher Teilnehmer des INTERCOAST Studienprogramms nimmt im Hafen von Tauranga Proben von Spurenelementen | © Karin Bryan, University of Waikato
Und noch ein weiteres Graduiertenkolleg ist in diesem Jahr gestartet: Die Universitäten Auckland und Stuttgart haben im Bereich der sogenannten Soft Tissue Robotics bzw. medizinischer Robotertechnik (also Roboter, die mit weichen Materialien interagieren) ein gemeinsames Projekt initiiert. Das Forscherteam hat bereits einen Prototypen einer innovativen bionischen Armstütze entwickelt, die zur Unfallvermeidung am Arbeitsplatz oder auch zur Patientenrehabilitation eingesetzt werden wird. Die Stütze, die über Arm und Ellenbogen getragen wird, soll etwa beim Heben von schweren Gegenständen vor Überanstrengung schützen.



Wissenschaftlerin (und Kanzlerin) Dr. Angela Merkel

Eines meiner Highlights während meiner Zeit als wissenschaftlicher Koordinator war der Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die 2014 die Universität Auckland besuchte. Die Kanzlerin, die selbst einen Doktortitel in Physikalischer Chemie hat und um die langjährigen Forschungsbeziehungen zwischen beiden Ländern weiß, hatte explizit um ein Treffen mit jungen Menschen, die in Neuseeland im Bereich Forschung tätig sind bzw. hier studieren, gebeten. Sie können sich vorstellen, dass diese Begegnung bei den jungen Leuten einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Erfolge aus der Welt der Wissenschaft

40 years of NZ-Germany science cooperation Logo © © MBIE 40 years of NZ-Germany science cooperation © MBIE
2017 feierte die Vereinbarung zwischen den Regierungen Deutschlands und Neuseelands über eine Zusammenarbeit im Bereich Wissenschaft und technischer Forschung ihren 40. Jahrestag. Diese vier Jahrzehnte haben tausende Beispiele erfolgreicher Kooperation hervorgebracht, angefangen vom Austausch einzelner Wissenschaftler bis hin zu millionenschweren Forschungsprojekten. Die Projekte waren in den verschiedensten Bereichen angesiedelt. So wurde nicht nur auf dem Gebiet der Physik und Naturwissenschaft geforscht, auch die Sozialwissenschaft stand auf dem Plan, etwa in Form eines gemeinsamen Projekts der Massey University und dem Max Planck Institut, das die positiven Auswirkungen der Superdiversität untersucht hat, die durch Migration nach Deutschland und Neuseeland entstanden ist.

Das 40. Jubiläum feiert man in beiden Ländern mit diversen Veranstaltungen. Zum Neuseelandtag im Oktober habe ich vor Wissenschaftlern und Würdenträgern eine programmatische Rede aus ganz Deutschland gehalten – auf Deutsch. Meine Sprachkompetenz war stets der Schlüssel zu meiner Funktion: Unsere deutschen Kollegen wissen es sehr zu schätzen, dass man die Sprache beherrscht, und diese Fähigkeit vereinfacht die Kommunikation zwischen den wissenschaftlichen Ministerien beider Länder enorm.

Es gibt viele Gründe, warum sich deutsche Wissenschaftler für Neuseeland interessieren, etwa die Lage oder die Umwelt des Landes. Die Forschungsstätte Baring Head etwa hat sich zu einem international renommierten Institut im Bereich atmosphärischer Spurenstoffe entwickelt, das auch von vielen deutschen Wissenschaftlern besucht wird.
Es gibt viele Gründe, warum sich deutsche Wissenschaftler für Neuseeland interessieren, etwa die Lage oder die Umwelt des Landes. Die Forschungsstätte Baring Head etwa hat sich zu einem international renommierten Institut im Bereich atmosphärischer Spurenstoffe entwickelt, das auch von vielen deutschen Wissenschaftlern besucht wird. | © Dave Lowe
Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Neuseeland und Deutschland ist kein Zufall: Sie fußt auf vielen Ähnlichkeiten und gemeinsamen Werten. Unsere Welt steht vor vielen Herausforderungen: Klimawandel, Energieversorgung, Sicherheit, Wirtschaftskrisen, Krankheiten. Sowohl die neuseeländische als auch die deutsche Regierung haben verstanden, dass man in Wissenschaft und Innovation investieren muss, wenn man diese dringenden Probleme effektiv angehen und eine Brücke zwischen verschiedenen Ländern bauen will.

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