Denkmäler und Monumente

Vom Ulus nach Bakanlıklar:
Zu zwei Denkmälern aus der Zeit Atatürks

Ankaras Karriere als Stadt der Atatürk-Statuen beginnt im Jahr 1922 als Yunus Nadi (Abalıoğlu, der Chefredakteur der 1920 von Istanbul nach Ankara verlegten Tageszeitung Yeni Gün, die Vorgängerin der kemalistischen Cumhuriyet) die Errichtung eines Siegesdenkmals gegenüber dem ersten, provisorischen Gebäude der Nationalversammlung anregte. Die Mittel sollten nach europäischem Vorbild durch öffentliche Subskription aufgebracht werden. Eine dreißigköpfige Kommission unter dem Vorsitz von Ali Fuâd Paşa (Cebesoy), dem stellvertretenden Parlamentspräsidenten, überwachte die Ausschreibung, deren Termin zunächst auf den 27. Juli 1924, dann auf den 31. Dezember desselben Jahres festgesetzt wurde. Angeblich beteiligten sich alle Klassen der Bevölkerung von kleinen Schulkindern bis zu Gendarmerie-Soldaten an der Finanzierung des Monuments.

Die von den österreichischen  Künstlern bzw. Architekten Heinrich Krippel, Josef Thorak, Anton Hanak und Clemens Holzmeister stammenden Monumente in Ankara bilden frühe und wichtige Beispiele für die unter Mustafa Kemal Atatürk nachdrücklich geförderte Denkmal-Landschaft der Türkei. Die Denkmäler am Hakimiyet-i Milliye (verkürzt Millet-) bzw. Ulus-Platz und im Güven-Park im Stadtteil Bakanlıklar trennt nicht nur eine Wegstrecke von mehr als drei Kilometern und der zeitliche Abstand von fast einem Jahrzehnt, sie stellen auch – bei der gemeinsamen Funktion, Atatürks persönliche Herrschaft zu legitimieren und sein System dauerhaft zu tradieren – sehr unterschiedliche architektonisch-plastische Kunstwerke dar. Während Krippels Siegesdenkmal (Zafer âbidesi) am Ulus an die Personen und Ereignisse des Befreiungskrieges erinnert, hatten Hanak und Thorak die Aufgabe, eine Institution, nämlich die dem Innenministerium unterstellten Polizei- und paramilitärischen Kräfte zu feiern. Zwischen diesen beiden kontraststarken Orten lagen die zwei weiteren für die politische Topografie Ankaras wichtigen Atatürk-Denkmäler des Italieners Pietro Canonica, so dass sich die Monumente des Staatschefs entlang des Gazi Bulvarı (heute: Atatürk Bulvarı) zu einer veritablen Siegesallee addieren.

Das Siegesdenkmal am Ulus

Es ist bisher nicht deutlich, unter welchen Umständen der Auftrag für das Siegesdenkmal an den weithin unbekannten Österreicher Heinrich Krippel (1883–1945) ging. Der Wettbewerbssieger vollendete 1926 das erste Atatürk-Denkmal auf Istanbuls Serailspitze, noch bevor Mustafa Kemal nach achtjähriger Abwesenheit die ehemalige Hauptstadt im Juli 1927 mit seinem Besuch beehrte. Von Krippel stammt auch die Figur Mustafa Kemals auf einem älteren Landwirtschaftsdenkmal in Konya (1926) und die Reiterstatue von Samsun (1932). Hier soll vor allem gegen die Meinung der Fachliteratur festgehalten werden, dass das Zafer Abidesi, wenn man den Projektbeginn berücksichtigt, das früheste Denkmal der Türkischen Republik ist.

Kazım Paşa (Özalp), der Präsident der Großen Nationalversammlung, durchschnitt am 24. November 1927 das Band und enthüllte die Reiterstatue. Anwesend war auch der Regierungschef İsmet (İnönü). Der Gazi selbst nahm das Werk wohl erst Tage später in Augenschein. Yunus Nadi als wichtigster Initiator war der Hauptredner bei der Zeremonie. Zu den prominenten Anwesenden gehörten auch der Nationaldichter Mehmed Emîn (Yurdakul), der zwei Gedichte für diesen Anlass verfasste und der österreichische Gesandte. In den Berichten von der Einweihung ist von dem Künstler selbst nur selten die Rede. Das Denkmal am Hâkimiyet-Milliye Meydanı sollte nach den Worten des Generalsekretärs der Kommission, İsmail Habib (Sevük), nicht nur als Kunstwerk, sondern als ein historisches Monument betrachtet werden.

„Damit bekam Ankara einen Mittelpunkt, der das Potenzial für ein Nationaldenkmal barg, weil es nicht nur die Reiterstatue des Republikgründers trug, sondern auch durch eine weibliche und zwei männliche Assistenzfiguren sowie narrative Reliefs den anatolischen Befreiungskrieg für zukünftige Generationen lebendig hielt.“

Die Auftraggeber hatten offensichtlich auch die Worte des Gazi vorgegeben, die bis heute das Denkmal in „alter“ Schönschrift schmücken. Darunter ist eine von Mustafa Kemal leicht abweichend zitierte Zeile aus der patriotischen Ode (Vatan mersiyesi) Namık Kemals (1840–1888), die den damaligen Betrachtern sicher geläufig war und eine geistige Brücke zu den Reformern der Tanzîmât-Zeit (1839–1876) schlägt. Die Köpfe von Wölfen (Bozkurt) an den Ecken des Sockels sind hingegen ein in der frührepublikanischen Ikonografie häufiges, explizit turkistisches Motiv.

Die Ebenen der Denkmalspolitik

Die Auftraggeber für Denkmäler waren in der Türkei der 1920er- und 1930er-Jahre überwiegend größere Städte oder im Falle der Großstädte die ihnen übergeordneten Provinzen. Gelegentlich nennen die Quellen beide Verwaltungsebenen als Besteller der Denkmäler. Das Ulus-Denkmal ist keine Ausnahme von dieser Regel, weil offensichtlich erst ein städtischer Zuschuss von 25.000 Türkischen Pfund die Vollendung des Monuments ermöglichte. Vielleicht trifft dies sinngemäß auch für die Reiterstatue von Samsun zu, die 1932 nach Ausweis der Sockelinschrift von der Bevölkerung der Provinz errichtet wurde. Die beiden Ankaraner Atatürk-Denkmäler von Pietro Canonica wurden vom Bildungsministerium bezahlt. Das Güven-Monument wurde durch die Provinzen des Landes finanziert. Der Anteil Ankaras betrug 29.000 Türkische Pfund, was beachtliche 12 Prozent des städtischen Budgets von 1934 ausmachte.

Die enge Verbindung der drei Ebenen Stadt-Provinz-Zentralregierung mit der Republikanischen Volkspartei lässt keinen anderen Schluss zu als den auf eine zusammenhängende Denkmalspolitik. Nach der Verfestigung des Regimes war Mustafa Kemal an der größtmöglichen Verbreitung seines Porträts interessiert. Druckmedien und seriell produzierte Büsten dienten diesem Zweck. Mit der Normalisierung der Beziehungen zu Italien und dem Abschluss von Verträgen mit Österreich und dem Deutschen Reich (1924) erhielten nicht nur Bildhauer aus diesen drei Ländern Aufträge. Ankara wandte sich in einer parallelen Aktion auch an Max Liebermann in Berlin, um diesen als Schöpfer eines repräsentativen Porträts zu gewinnen (was dieser allerdings aus Altersgründen ablehnte).

Denkmäler entstanden zunächst in bedeutenderen Städten wie Tekirdağ (1929) und Edirne (1931) im äußersten Westen und Amasya (1929), Adana (1932) und Elazığ (1933) in östlichen Landesteilen. Einige zeigen den Gazi mit Kampfgefährten. Er trägt fast ausnahmslos Uniform, nur in wenigen Fällen Zivilkleidung (Istanbul, Tekirdağ, Isparta, Muğla). Es handelt sich bei wechselnden Namen meist um Siegesdenkmäler, deren Charakter zum Teil durch narrative Reliefplatten auf dem Sockel unterstrichen wird.

Das Sicherheitsdenkmal im Güven-Park

In städtebaulicher Hinsicht ist das Güven Anıtı („Vertrauens- und Sicherheitsdenkmal“) das wichtigste Monument, das unter Atatürk entstand. Es wurde im neuen Regierungsviertel, in einem Park vor dem Innenministerium, errichtet. Der Gedanke an ein Denkmal für die Ordnungskräfte (Zabıta Anıtı) reicht bis ins Jahr 1929 zurück, als Hâkimiyet-i Milliye einen Artikel mit der Überschrift „Wie wird das Denkmal für die Ordnungskräfte (aussehen)?“ veröffentlicht:

„Es wurde erwogen, dass das Denkmal die Familie als (Keim-)Zelle der Bevölkerung, der Gesellschaft darstellt. In seiner Mitte wird eine ruhig und glücklich lebende Familie dargestellt werden, um sie die Gendarmerie in Form allegorischer Gruppen. Diese tritt Angriffen entgegen, um ihr Glück zu sichern und befindet sich im Kampf mit Missetätern.“

Ursprünglich sah der Stadtplan Hermann Jansens, der zwischen 1929 und 1932 entstand, an dieser Stelle ein obeliskartiges Fliegerdenkmal vor. Damit wäre auch in der Republik ein Pendant zum Istanbuler Tayyare Abidesi vor dem Bürgermeisteramt von Fatih entstanden.

Spiritus Rector des Sicherheitsdenkmals war wohl der Innenminister Şükrü Kaya, eine der stärksten Figuren des kemalistischen Machtzentrums. Kaya war seit 1927 in diesem Amt und sollte es bis zu Atatürks Tod, insgesamt also elf Jahre lang, behalten. Die eigentliche Planungsphase für das Güven Anıtı geht in das Jahr 1930 zurück, als der Denkmalboom bereits auf viele Provinzstädte übergegriffen hatte. Mustafa Kemal hatte Clemens Holzmeister als Architekt beauftragt, der seinerseits Anton Hanak als Bildhauer gewann. Da das Innenministerium Holzmeisters mit zwei mächtigen Flügelbauten für die Zentralen von Gendarmerie und Polizei versehen war, lag es nahe, das Denkmal beiden Apparaten zu widmen.

Die Vorderseite des Großdenkmals wurde am 28. Oktober 1934, am Vorabend der Feiern zum neunjährigen Bestehen der Republik, von Ministerpräsident İsmet enthüllt. Die nach dem plötzlichen Tod Hanaks (7. Januar 1934) von Josef Thorak gestaltete Rückseite wurde im Laufe des Jahres 1935 eingeweiht.

Während die Ästhetik des Güven Anıtı kompetent gewürdigt wurde, fehlt eine nähere Auseinandersetzung mit seiner politischen Botschaft. Das Denkmal trägt eine riesige Inschrift mit einer berühmten (für diesen Zweck formulierten?) Devise Atatürks:
„Türk öğün,çaliş, güven“ („Türke, sei stolz, arbeite, habe Vertrauen“). Es folgen die Namen und Ränge von Kemal Atatürk, İsmet İnönü, Şükrü Kaya und Nevzat Tandoğan.

Mit seinen nicht mehr verwendeten Neologismen wie İlbay und Uraybay für den Gouverneur-Bürgermeister von Ankara repräsentiert die Inschrift des Güven Aniti (Grafik der Inschrift: anıdı) den Höhepunkt der radikalen Kulturreform. Im Sommer 1934 hatte im Dolmabahçe-Palast der große Sprachkongress im Beisein Atatürks getagt. Den Studenten der Universität Istanbul wurden Vorlesungen in Revolutionsgeschichte  verordnet. Die Hagia Sophia wurde dem islamischen Kultus entzogen, die Förderung westlicher Musik hingegen wie ein Staatsziel behandelt.

Die eigentliche Botschaft des Denkmals – die „Dualität von Vertrauen und Abschreckung, von gerechter Staatsgewalt und Heil bringendem Frieden“ enthält der Satz „Um die Liebe der türkischen Nation zur Gendarmerie und zur Polizei und ihre Zufriedenheit (mit ihnen) zum Ausdruck zu bringen wurde es mit Unterstützung der Provinzen errichtet.“(Türk milletin jandarma ve polisine sevgisi ve hoşnutluğu göstermek için vilayetlerin yardimiyla yapilmiştir).

Es sollte noch hervorgehoben werden, dass der Auftraggeber Şükrü Kaya ein glühender Kemalist war, der Atatürk mit Robespierre verglich, sich selbst aber mit dem radikalen Republikaner Saint-Just gleichsetzte. Kaya sagte im Jahr der Vollendung des Güven Anıtı in einer Rede für den scheidenden Gendarmerie-Kommandanten: „Wenn man einen Staat vernichten will, dann will man als erstes die Gendarmerie jenes Staates zerstören. Heute ist das Kennzeichen der Unabhängigkeit eines Staates weder Rossschweif, noch sultanisches Handzeichen, sondern die Gendarmerie-Organisation dieses Staates.“

Nach diesen Worten, die sich zweifellos auf die Bedeutung der Gendarmerie, die auf den Trümmern des osmanischen Staates mit bewaffneten Minoritäten kämpfte, beziehen, hob der Minister passend zu den Skulpturen die Rolle der republikanischen Gendarmen als allzeit bereite Nothelfer für die Bevölkerung hervor: „Die Menschen, die einst in einer Notlage nach ihrer Mutter schrien, rufen heute nach der Jandarma. Wer erkrankt, rettet sich zu den Gendarmen. Wer vor Unholden flieht, sucht Zuflucht bei der Gendarmerie. Der Gendarm eilt herbei, wenn es brennt oder eine Überschwemmung droht.“

Die frührepublikanische „Statumanie“

Die ersten Statuen, die im kemalistischen Ankara errichtet wurden, waren in doppelter Hinsicht wirkungsmächtiger als sie es für den heutigen Betrachter sind. Zunächst waren öffentliche Denkmäler in der vorrepublikanischen Türkei fast unbekannt und in Befolgung des bilderfeindlich gedeuteten Religionsgesetzes in keinem Fall figural. Die spärlichen Siege der letzten Osmanen wurden mit ephemeren Strukturen wie Siegesbögen visualisiert. Nach dem endgültigen Sieg des jungtürkischen Regimes wurde 1911 am Rande von Istanbul ein „Freiheitsdenkmal“ (Abide-i Hürriyet) errichtet, das bis in die frührepublikanische Zeit hinein als eine Gedenkstätte für die gesamte Nation diente. In Analogie zu dem damaligen Nationalfeiertag wurde es zögerlich durch republikanische Erinnerungsorte ersetzt.

Während im Europa des späten 19. Jahrhunderts die „Statumanie“ im Abklingen war, begeisterten sich osmanische Reisende weiterhin an figurativer Plastik und Denkmälern großer Männer. So erinnerte sich der Dichter-Diplomat Abdülhak Hâmid Tarhan (1852–1937) an seinen Aufenthalt in Wien (1918–1922), wo er wiederholt, manchmal sogar um Mitternacht, bei den Statuen von Goethe und Schiller innehielt. „Diese beiden göttlichen Dichter wurden zu einem Idol, zu einer versteinerten Stille, die sich in weiter Ferne begegneten.“

Wegen der geringen Geschosshöhe der Häuser und der breiten, aber verkehrsarmen Straßen war auch die Wirkung von Statuen, die Mustafa Kemal nur in annähender Lebensgröße wiedergaben, enorm. Eine Besonderheit der Denkmäler in Ankara war, dass die zu Lebzeiten des Gazi entstandenen Werke ausnahmslos zwischen Millet/Ulus und den südlichen Abschnitten der Neustadt entlang der Magistrale des Boulevard Gazi Mustafa Paşa/Atatürk Bulvarı errichtet wurden. Wer sich auf der Avenue de la Gare Anfang der 1930er-Jahre ins entstehende Regierungsviertel fahren ließ, wurde mit einer in wenigen Jahren entstandenen „Skyline“ aus öffentlichen Gebäuden konfrontiert, die jedoch die drei markanten Denkmäler der Zeit noch nicht überschatteten. Ernest Mamboury, dessen wertvoller Ankara-Führer die Denkmäler ausführlich würdigt, hebt diese Sichtbarkeit auf größere Entfernung deutlich hervor. In späteren Jahren büßten die Figuren durch die höheren Bauwerke der Umgebung allerdings ihre Silhouetten-Funktion ein. Nachts wurde das Zafer Abidesi sogar beleuchtet.

Der Dichter Nazim Hikmet hat in seinem, im Exil verfassten epischen Gedicht Menschenlandschaften (Memleketimden İnsan Manzaraları) aus den 1940er-Jahren die Wirkung der modernen Stadt mit ihren Statuen auf eine Gruppe von Verurteilten, die vom Bahnhof in die Stadt gebracht werden, eindrucksvoll skizziert.

„Massen, Massen
Schichten über Schichten
Marmor
Beton
Asphalt
Und Statuen
und Statuen
und Statuen
aber Menschen gibt’s keine ...“

Die Passage schließt mit dem Hinweis auf den harten Kontrast zwischen Stadt und ihrem leeren Umland: „Schau hin auf den Kampf der Stadt mit der Steppe“

Für einen Türken, der im Ankara der 1930er-Jahre aufwuchs, bildeten die Atatürk-Statuen am Ulus und im Güven-Park wichtige Erinnerungsorte. Der 1932 geborene Journalist und Politiker Altan Öymen pflegte die Statuen als Kind militärisch zu grüßen. Er schreibt, dass er glaubte, Atatürk sei so wie seine Statuen, nämlich eine große und stattliche Person, die alle anderen körperlich überragte, anders gekleidet, von strengem Angesicht und übermenschlich. Nicht gering war seine Überraschung, als er dem lebenden Atatürk in einer Gruppe von Begleitern begegnete.

Erst in den 1970er-Jahren wurde ein weiterer Meydan mit einem Denkmal geschmückt. Es zeigte nicht Atatürk, sondern eine sogenannte „Sonnenscheibe“ aus den Fürstengräbern von Alacahöyük. Die Errichtung des allgemein, aber unrichtig „Hethiter-Denkmal“ (Hitit Anıtı) bezeichneten Werks löste eine lang anhaltende Kontroverse aus, in der die Gegnerschaft zu Atatürk-Denkmälern unterschwellig mitschwang. Die Hinwendung zur anatolischen Frühgeschichte könnte man aber auch als Reverenz an Atatürk auffassen, dessen Büsten und Statuen durch ihre Multiplizierung schon längst – ich halte den Vergleich nicht für allzu kühn – wie Marianne in Frankreich die politischen Symbolfiguren der Republik wurden.

Prof. Dr. Klaus Kreiser

Goethe-Institut Ankara
2010