Berlinale-Blogger 2017
„Dokumentarfilm bedeutet Erfahrung“
Der Brasilianer João Walter Salles und der Deutsche Andres Veiel unterhielten sich in Berlin über das Wesen des Dokumentarfilms und den Rückgriff auf Archivbilder.
Der Filmemacher João Moreira Salles nimmt mit seinem Film No intenso agora (In the Intense Now) im Rahmen von Panorama Dokumente an der Berlinale teil. Der Film ist auf der Grundlage von Archivbildern entstanden, die zum Teil seine eigenen sind und zum Teil Amateuraufnahmen oder Aufnahmen von Filmstudierenden darstellen. Den Ausgangspunkt bilden Aufnahmen einer China-Reise seiner Mutter im Oktober 1966, die durch erzählende Worte von dem Regisseur selbst mit Bildern von den Ereignissen im Mai 1968, des Endes des Prager Frühlings und des Todes des Studenten Edson Luís während der brasilianischen Diktatur miteinander verknüpft werden. Der Dokumentarfilm erzählt von diesen äußerst intensiven Momenten, in denen das Leben vollständig in der Gegenwart spielt, und wirft gleichzeitig folgende Fragen auf: Wie lässt es sich am Ende dieser Intensität überleben? Was passiert, wenn die Freude verblasst und eine Rückkehr in den banalen Alltag erforderlich ist? João Moreira Salles erklärt, dass der einzige noch mögliche Blick auf 1968 ein persönlicher ist. „Das Beste an einem Dokumentarfilm ist nicht, dass er uns über etwas informiert. Das ist die Rolle des Journalismus. Der Dokumentarfilm bietet vielmehr die Möglichkeit, einen Ort, eine Person, ein Ereignis zu erleben. Der Text von Walter Benjamin über das Ende des Erlebnisses ist ein großartiges Essay über die Art, wie sich über den Dokumentarfilm denken lässt“, stellt der Regisseur fest.
Der Dokumentarist Andres Veiel hingegen nimmt mit seinem Film Beuys am Wettbewerb teil, einem Portrait des deutschen Künstlers Joseph Beuys (1921-1986). Der Regisseur greift für diesen Film ebenfalls auf Archivbilder zurück, ergänzt durch Interviews mit fünf Personen, die mit dem Künstler in Kontakt standen. Eine der Herausforderungen bei der Arbeit mit Archivmaterial stellt für Veiel die Aufbereitung von Bildern dar, die ursprünglich nicht für einen großen Auftritt auf der Kinoleinwand gedacht waren. „Das ist ein sehr aufwändiger Prozess, bei dem man häufig umdenken muss, weil das Material oft nicht der ursprünglichen Idee entspricht. Am Ende muss sich das Material wie mein eigenes anfühlen, sonst ist es nicht mein Film“, erklärt er. Mit der Auswahl des Materials „erschafft der Filmemacher seine eigene Geschichte“, ergänzt der Regisseur. An Beuys zu erinnern, sei nach Veiel deshalb wichtig, weil uns das dazu anrege, darüber nachzudenken, was heutzutage einen Künstler mit Haltung ausmacht: „Es geht darum, stark zu sein und diese Stärke zu zeigen – doch gleichzeitig auch die Wunden“.