Podiumsgespräch Der Tod des Löwen Cecil ergab Sinn: Autorengespräch mit Olena Stjaschkina

Autorengespräch mit Olena Stjaschkina

Am 16. April 1986 werden auf einer Entbindungsstation in Donezk zwei Jungen und zwei Mädchen geboren. Hans Fink, Kommunist und Ukrainer mit deutschen Wurzeln, will einem der Neugeborenen mit deutschen Vorfahren den Namen Ernst Thälmann geben: zum Andenken an den Führer der KPD, vor allem aber, um dem Jungen sein eigenes Schicksal, ewig als Nazi verleumdet zu werden, zu ersparen. Den Eltern werden eine Wohnung, ein Auto und ein Teppich versprochen. Die örtliche Presse ist informiert. Aber die Dinge gestalten sich komplizierter als erwartet. Über drei Jahrzehnte begleitet Olena Stjaschkina in ihrem Roman die Menschen, die an diesem Apriltag 1986 in Donezk schicksalhaft zusammengeführt werden. Mosaikartig setzt sich ein Bild der Veränderungen in Donezk zusammen, vom Ende der Sowjetunion bis in das zweite
Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. Es ist ein Roman über Identität: deutsch, polnisch, ukrainisch, russisch. Mit einer präzisen Sprache entfaltet sich ein Verständnis für die Region im Osten der Ukraine, die von vielfältigen kulturellen Einflüssen geprägt ist aber auch von den Wunden des sowjetrussischen Imperialismus. Das Jahr 2014, der russische Invasion, wird im Roman zur Zäsur, auch sprachlich. Der Roman, der im Original in russischer Sprache beginnt, wechselt an dieser Stelle in das Ukrainisch. Mit ihrem Roman wird Olena Stjaschkina zu einer wichtigen Stimmen, die uns hilft, die Kultur der als Donbas bezeichneten Region verstehen zu lernen und der russischen Kriegspropaganda zu widerstehen. Donezk gehört zu Ukraine. Sprache ist kein ausreichender Indikator für eine Zuordnung zu einem bestimmten Staat. Der Übersetzer Jakob Wunderland sprich mit der Autorin Olena Stjaschkina von ihrem Roman und der deutschen Übersetzung, die 2023 beim Verlag „Akademische Verlagsbuchhandlung F. Mauke“ erschienen ist.

Mitbeteiligte

  • Olena Stjaschkina (Autorin) g. 1968 in Donezk. Die Historikerin und Schriftstellerin lebt in Kyjiw. Sie hatte Professuren an den Universitäten von Donezk und Mariupol inne. Seit 2016 arbeitet sie am Historischen Institut der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine in Kyjiw. In ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen widmet sie sich schwerpunktmäßig feministischen und Gender-Fragestellungen. Seit 1993 publiziert sie auch Prosawerke,
  • Jakob Wunderwald ist Übersetzer, Wissenschaftler und Doktorand der Slawistik an der Universität Potsdam. Er hat Werke von Valerian Pidmohylny, Olena Stiaschkina, Margaryta Surzhenko und anderen übersetzt. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der zeitgenössischen und sowjetischen belarussischen Literatur mit besonderem Interesse an Genderaspekten, Nationsbildung und literarischen Konzepten von "Wahrheit".

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