Calvary Baptist Church
Deutsche Spuren in Washington
Die Calvary Baptist Church an der Ecke 8. und H Street, N.W., wurde im Jahr 1866 von dem eingewanderten Architekten Adolf Cluss fertiggestellt, der 1825 in Heilbronn im heutigen Baden-Württemberg geboren wurde. Sein Partner war ebenfalls ein Einwanderer, Joseph Wildrich von Kammerhueber, mit dem Cluss mehrere Jahre die diversen Bauvorhaben zusammenarbeitete.
Calvary ist die einzige erhaltene Kirche, die von Adolf Cluss erbaut wurde; er zeichnete sich unter anderem für die Konstruktion der Foundry Methodist Church (1864-66), der St. Stephen's Roman Catholic Church (1866), der Tabernacle Congregational Church (1881-82), der Universalist Church of our Father (1882) und der Chapel for St. Augustine's Roman Catholic Church (1886) verantwortlich.
Die Kirche wurde im Jahr 1862 von einer Gruppe prominenter Baptisten, die sich während des Bürgerkriegs auf die Seite der Nordstaaten schlugen, gegründet. Der hohe Kirchturm des Gebäudes – hier zu sehen in einer frühen Fotografie von Mathew Brady – war ein Erkennungsmerkmal im Stadtgebiet downtown. Am 30. Juli 1914 wurde der Turm durch einen schweren Sturm allerdings so stark beschädigt, dass er entfernt warden musste. Die Kirche wurde renoviert und ihr berühmter Turm wurde neu gebaut und ist seit Februar 2005 wieder Teil der Skyline ihrer Umgebung.
Das Gebäude, das wir heute sehen, unterscheidet sich tatsächlich signifikant von dem ersten Gebäude, das von Cluss und Kammerhueber gebaut wurde. Das originale Gebäude wurde am 3. Juni 1866 eingeweiht, nach einem Blizzard 1867 höhlte jedoch ein Feuer das fast noch neue Gebäude komplett aus. Eine der Ursachen war das fehlerhafte Heizsystem – möglicherweise eine gescheiterte Erfindung von Adolf Cluss. Die Rekonstruktion - welche die meisten der ursprünglichen Planungen übernahm, mit einer verbesserten Heizanlage – begann fast unverzüglich; das derzeitige Gebäude wurde im Winter 1868 bezogen und im Juli 1869 eingeweiht.
Die Innenarchitektur wurde ebenfalls grundlegenden Veränderungen unterzogen, und es verlangt einiges an Vorstellungsvermögen, sich Cluss‘ ursprüngliches Design gegenwärtig zu machen. Die Veränderungen beinhalten die Anbringung von Balkonen an der Nord- und der Südseite des Altarraums (die nun die hohen, bleiverglasten Fenster unterbrechen) und das Aufstellen der imposanten Orgelpfeifen an der Frontseite des Altarraums, wodurch ein kleines Rosettenfenster an der Westseite vollständig verdeckt wurde. Die Orgel war ursprünglich auf dem hinteren Balkon, der Chorempore am östlichen Ende des Altarraums, aufgestellt worden; ein Rosettenfenster ist noch immer ein von außen sichtbares Merkmal der Kirche, von der 8. Straße aus gesehen.
Adolf Cluss, Architect
geboren 1825 in Heilbronngestorben 1905 in Washington DC
Adolf Cluss entstammte einer Heilbronner Baumeisterfamilie. Geboren wurde er im Jahr 1825 in Heilbronn, 1905 verstarb er in Washington DC. Sein Vater errichtete den "Clussbau" in der Wilhelmstraße, der später als Wilhelmsbau bekannt wurde. Cluss verließ Heilbronn in jungen Jahren und ging als Zimmermannsgeselle auf Wanderschaft.
In Brüssel lernte er Karl Marx kennen und schloss sich der beginnenden kommunistischen Bewegung an. Weitere Stationen seiner Wanderschaft waren Paris und Mainz, wo Adolf Cluss seit 1846 als Architekt an der Planung der Eisenbahnstrecke nach Ludwigshafen beteiligt war. Im Frühjahr 1848 war er in Mainz eine zentrale Figur in der Revolutionsbewegung, gehörte zu den Mitbegründern des Arbeitervereins und war dessen Sekretär. Doch schon im Sommer 1848 verließ er Deutschland und landete am 15. September 1848 mit dem Auswanderschiff "Zürich" in New York.
Adolf Cluss arbeitete in den USA zunächst als Ingenieur - unter anderem bei der Marine -, später dann in Washington als Architekt. Seine Verbindung zur kommunistischen Bewegung brach er 1858 ab.
Im Alter von 39 Jahren eroberte Cluss die Architekturszene, als er mit seinem Partner, Josef Wildrich von Kammerhueber, einen Wettbewerb zur Planung einer neuen Grundschule gewann – die erste von acht innovativen Schulen, die die beiden entwarfen. Zwei dieser Gebäude überlebten: Die Franklin und die Sumner Schulen. Der Gebäudetypus, dem das besondere Interesse von Cluss galt, waren die Schulen. Er entwarf viele öffentliche Schulen des District of Columbia, darunter auch für farbige Schüler, Privatschulen und Colleges - insgesamt sind elf Schulgebäude von ihm bekannt, möglicherweise ist ihm ein weiteres zuzuschreiben.
Bald bekam Cluss, allein oder mit anderen in Zusammenarbeit, den Zuschlag für viele der größten öffentlichen Gebäude Washingtons in den Jahren nach dem Bürgerkrieg. Er entwarf Kirchen, Markthallen, Regierungsgebäude, Versammlungs- und Veranstaltungshallen und Museen. Seine Karriere ähnelt in vielem derjenigen der prominenten französischen und deutschen Absolventen Polytechnischer Schulen, die lernten, Gebäude und öffentliche Anlagen zu errichten, deren Schönheit aus ihrer strukturellen Effizienz heraus abgeleitet war.
Den Sozialismus seiner jungen Jahre übertrug Cluss auf seinen Beruf als Architekt und Ingenieur. Seine Gebäude dienten der Gemeinschaft und waren äußerst modern. Er war als Ingenieur und Architekt auf einzigartige Weise dazu qualifiziert, sich mit Fragen der Lebensqualität zu befassen. So erscheint es als Fortsetzung seiner sozialen Ideen, dass er zu Beginn seiner Karriere als Architekt zunächst eine Reihe öffentlicher Gebäude schuf.
In seiner Zeit als selbständiger Architekt arbeitete Cluss mit verschiedenen Partnern zusammen. Nachdem die Verbindung mit Kammerhueber 1868 im Unfrieden auseinander gegangen war, führte Cluss sein Büro zunächst alleine bzw. mit wenigen Angestellten weiter, bis er sich 1877 mit dem Architekten Frederick Daniel zusammentat. Diese Kooperation zerbrach schon im darauffolgenden Jahr. Von 1879 bis 1889 bestand eine berufliche Partnerschaft mit dem Architekten Paul Schulze. 1867 trat Cluss dem amerikanischen Architektenverband AIA bei, von dem er 1890 in den Vorstand gewählt wurde.
Cluss hatte im Jahr 1890 drei der vier Gebäude auf der Südseite der Mall entworfen, einschließlich des Smithsonian Arts and Industries Building (früher das National Museum), das einzige davon, das bis heute existiert.