Kata Krasznahorkai
Black Power in Osteuropa.
Wer sich mit wem wie solidarisiert, hat nicht nur erhebliche Konsequenzen für das Überleben von Unterdrückten oder Verfolgten, sondern konnte und kann auch Teil politischer Instrumentalisierung sein. Das zeigt sich gerade auch am Beispiel von Angela Davis, die einerseits im ehemaligen Ostblock von den sozialistischen Regierungen zur Widerstandsikone gemacht wurde, sich andererseits aber öffentlich nie mit den Unterdrückten und Andersdenkenden in den Parteidiktaturen Osteuropas solidarisiert hat. Es waren oppositionelle Künstler*innen in den sozialistischen Ländern, die diese fehlende Solidarität von Davis, die vielleicht auf mangelnde Information am Anfang zurückzuführen ist und die heuchlerische Solidarität ihrer Regierungen kritisiert haben. Sowohl Erich Honecker als auch oppositionelle Künstler*innen riefen „Freiheit für Angela Davis!“. Doch während Honecker auf die Unterdrückung im Westen zielte, wollten die Künstler*innen – mit dem gleichen Slogan – auf ihre eigene Unterdrückung aufmerksam machen. [1]
Von Kata Krasznahorkai
Es war Herbert Marcuse, Angela Davis’ Doktorvater, der sich bereits in den 1970er Jahren trotz seiner generellen Unterstützung der Solidaritätskampagne kritisch über Davis’ Bereitschaft äußerte, Staatschefs autoritärer Regime des Ostblocks zu umarmen, während in den Gefängnissen dort zahlreiche politische Gefangene saßen, die genauso wenig Chancen auf einen gerechten juristischen Prozess hatten wie ehedem Davis in Kalifornien. [2]
Auch osteuropäische Exilanten, u. a. der Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn, kritisierten Davis und forderten sie auf, ihr Schweigen zu diesem Thema zu brechen. [3] Davis hat dieses Dilemma nie analysiert oder öffentlich gemacht. Sie betont jedoch nach wie vor die enorme Bedeutung der Solidaritätskampagnen. Es war eine Solidarität, die nicht nur ihr Leben gerettet habe, sondern auch gezeigt hat, dass es mit einer organisierten Massensolidaritätsbewegung möglich ist, etwas zu bewirken. [4]
„Freiheit für Angela Davis!“ wurde zum Slogan der ersten globalen Solidaritätskampagne im Kalten Krieg, die eine Reihe von Kunstwerken und Kunstaktionen inspirierte. Wie, warum, wo und mit welchen Konsequenzen das Bild der Schwarzen US-amerikanischen Bürgerrechtlerin im Osten Europas als Propagandamittel eingesetzt wurde und was dies für den Kalten Krieg bedeutete, kann hier nicht in der ganzen Bandbreite weiterverfolgt werden. [5] Aber anhand eines Schlaglichts auf dieses Thema wird hier skizziert, wie das Bild Angela Davis sowohl zur politischen als auch zur Kunstikone wurde. Anhand von Akten der Staatssicherheit in der DDR und Ungarn wurde bereits analysiert, wie in der Kunst Angela Davis als Identifikationsfigur für den Staat und zeitgleich für subversive Künstler*innen diente. [6]
Aber auch eine Reihe von staatlich beauftragten Skulpturen und Gemälden hatten die ikonische Figur Davis’ als Thema. [7]
Das Bild Davis’ war in den Jahren 1970–1973 insbesondere im Ostblock in allen Medien omnipräsent: Sie stand für Freiheit, Protest und gegen Rassismus – und zeigte das Gesicht eines „anderen Amerikas“. [8] Der Slogan war von den USA über Kuba bis in die Sowjetunion ein Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems, gegen den Missbrauch der Justiz sowie gegen die Unterdrückung und Diskriminierung der Schwarzen Bürger*innen der USA. Die staatlich verordnete Solidarisierung mit der Black Power-Bewegung im Ostblock war jedoch ein zweischneidiges Schwert: Einerseits war es vorgegebene staatliche Propaganda, andererseits diente sie als Camouflage für subversive künstlerische Aktionen. Denn es waren Künstler*innen, die sich mit dem gleichen Slogan gegen staatliche Ausgrenzung und Unterdrückung stellten. Staatsoberhäupter, wie Erich Honecker wurden nicht müde ihre Solidarität mit der Angela Davis immer wieder zu betonen. Doch auch im Stasi-Jargon als „staatsfeindlich-negativ“ bezeichnete Künstler riefen „Freiheit für Angela Davis!“ – meinten jedoch ihre eigene künstlerische Freiheit und die Gültigkeit der universellen Menschenrechte: auch für Künstler*innen. Die Frage ist, wie die Präsenz einer Schwarzen Frau in den osteuropäischen Staaten zu jenem Bild wurde, das einerseits gegen Rassismus, Diskriminierung, Kapitalismus und Ausgrenzung stand. Andererseits stand sie eben auch für staatliche Propaganda, Unterdrückung, die fehlende Meinungsfreiheit, eingeschränkte künstlerische Freiheit und verordnete Solidarisierung.
Die Propaganda war scheinbar erfolgreich. Entsprechend wurde etwa in der DDR Davis’ Freilassung aus dem Gefängnis, in dem sie fast zwei Jahre in Untersuchungshaft aufgrund des Vorwurfs der Unterstützung terroristischer Akte verbracht hatte, 1972 als Erfolg der Massen-Solidaritätskampagne der Ostblockstaaten gefeiert. Die Versendung von Millionen Postkarten an Angela Davis während ihrer Haft und die regelmäßige Presseberichterstattung wurden als Teil dieses Erfolgs präsentiert. Aber auch Kunst war Teil der Propagandakampagne. Allein auf der VII. Kunstausstellung der Deutschen Demokratischen Republik vom 5. Oktober 1972 bis 25. März 1973 im Albertinum in Dresden wurden sieben Werke ausgestellt, die sich auf Davis bezogen – auch ein großformatiges Historienbild von Willi Sitte, dem langjährigen Präsidenten des Verbands. Es wurden Filme der DEFA in Auftrag gegeben, um individuelle Sichtweisen auf Davis festzuhalten und eine „Solidaritätsausstellung“ tourte durch die DDR. Die Devise war: In der DDR gibt es keinen (institutionellen) Rassismus im Sinne des „antifaschistischen Kampfes“ – so zumindest die Theorie. [9]
Wie die Schwarze Bürgerrechtlerin in der Kunst und visuellen Kultur dargestellt wurde, wirft die Frage auf visueller Ebene nochmals im Vergleich mit der ideologischen auf. Der Staat nutzte bewusst ikonografisch konnotierte Überlagerungen für die eigenen Propagandaziele: Schwarze Haut in Ketten, die die Reminiszenz an die Sklaverei evozierte. [10] Dies manifestierte sich in zahlreichen Pressebildern und Plakaten, die Angela Davis in Handschellen zeigten. Der historische Vergleich mit der Sklaverei lieferte die Terminologie, um die Repression gegen Bürgerrechtler*innen zu beschreiben und Kritik am Kapitalismus der USA zu üben, die eine Art moderne Sklaverei wegen rassistischer und sozialer Diskriminierung betrieb. Davis bezeichnete sich selbst und wurde auch von ihren Unterstützer*innen als „Sklavin“ beschrieben. [11] Die Verletzung der Menschenrechte seitens Amerika stand immer als Anklage der osteuropäischen Staaten und Russlands im Raum. Allerdings begannen zum Beispiel ungarische Künstler*innen sehr schnell zu begreifen, dass man die verordnete Propagandakampagne auch gegen die staatliche Unterdrückung im eigenen Land richten kann. Die Rockband Illés etwa widmete ihr Album „Human Rights“ – eine Hommage an die universellen Menschenrechte – Angela Davis. Dadurch wurde das Erscheinen der Platte überhaupt erst möglich, denn das Thema Menschenrechte war im damaligen Ungarn – trotz des staatlichen Enthusiasmus für die Befreiung von Davis – ein Tabu.
Die Terminologie und der Bezug auf die Sklaverei war auch in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Davis präsent. Tamás Szentjóby [12] inszenierte eine Aktion mit Margit Rajczy am 29. März 1971 mit dem Titel Freiheit für Angela Davis! im Eötvös Klub der Eötvös Lorand Universität. Szentjóby las den Brief von James Baldwin an Angela Davis vor, der mit den Zeilen beginnt: „One might have hoped that, by this hour, the very sight of chains on black flesh, or the very sight of chains, would be so intolerable a sight for the American people, and so unbearable a memory, that they would themselves spontaneously rise up and strike off the manacles. But, no, they appear to glory in their chains.“ [13] Dieser legendäre Brief von James Baldwin bezog sich auf das Handschellenfoto von Angela Davis auf dem Cover der Newsweek. Er schloss mit einem Satz über staatliche Willkür und Gewalt in den USA: „For, if they take you in the morning, they will be coming for us that night.“ [14] Schwarze Aktivist*innen nannten diese von Baldwin geschilderte Praxis einen „weißen Terrorismus gegen Schwarze Körper.“ [15] Doch die Autos, die nachts vorfuhren und Oppositionelle abholten, kannte man auch in den Ostblockstaaten.
Staatliche Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und insbesondere der Künstler*innen wurde in Osteuropa von der Staatssicherheit orchestriert und inszeniert. Die Solidaritätsaktionen von oppositionellen Künstler*innen verunsicherten die Staatssicherheit im Umgang mit diesem Phänomen. Einerseits war Solidarität verordnete Propaganda, andererseits jedoch wusste auch die Staatssicherheit, dass die Künstler*innen mit ihrer Forderung nach „Freiheit“ etwas anderes meinten als die staatliche Propaganda. Die Aktions-Lesung von Tamás Szentjóby und Margit Rajczy versetzte die Staatssicherheit in Alarmbereitschaft und deshalb schickten sie einen Informanten zur Beobachtung. Zuerst berichtet der Informant spöttisch über Miklós Erdélys Einführung mit dem Titel „Über das Böse in den Frauen [sic].“ [16] Danach geht er über zur Beschreibung der Angela-Davis-Aktion, sie sagt jedoch wenig über die Aktion selbst aus. [17] Staatssicherheitsdokumente sind genuin desinformativ, entblößen aber die Methoden der Staatssicherheit und wie sie die vermeintlichen ideologischen Hintergründe von künstlerischen Aktionen enttarnen wollen. [18] Der Informant wollte genau diesen „versteckten“ Hintergrund den Offizieren erklären (und Szentjóby belasten) als er schrieb: „Es war Szentjóby, der sich nicht zum Schweigen bringen ließ.“ [19] In seinem Bericht kontextualisiert er die Aktion weiter:
„Dann haben sie [das Publikum] angefangen zu verstehen: Angela Davis war nur ein Aufhänger […]. Die Frau mit dem Besen steht nicht für das amerikanische System. Sie steht für das System im Allgemeinen. Für die gesellschaftliche Ordnung, die zerstört werden muss, die diejenigen mit Gewalt unterdrückt, die dagegen rebellieren, wo auch immer diese gesellschaftliche Ordnung sein mag und was diese gesellschaftliche Ordnung auch sein mag.“ [20]
Sárdi, ÁBTL, M-35897/1, S. 179.
Während des Angela-Davis-Prozesses und auch nach ihrer Freilassung identifizierten sich führende politische Persönlichkeiten aus den Ostblockstaaten rhetorisch mit ihr als „Blutsverwandte“ und bezeichneten sie als „eine von uns“. Im medialen Echo war immer von der „Schwarzen Schwester“ die Rede. Die politische Vereinnahmung im sozialistischen Lager wurde zur Blutsverwandtschaft zwischen weißen osteuropäischen Männern (sowohl im subversivem Untergrund als auf höchster politischer Ebene) und der Schwarzen amerikanischen Frau stilisiert. Die Todesstrafe in Kalifornien, die Davis drohte, erschien am Horizont der medialen Bilder, die sie in Handschellen zeigten, standen sie doch stellvertretend für die Gewalt des Staates gegen die eigene Bevölkerung. Der Davis-Aktivismus der DDR und des Ostblocks stellte die ideologische Aufrüstung auf eine neue Ebene im antifaschistischen Kampf: Mithilfe einer rebellischen, gleichsam radikalen Sympathieträgerin aus dem feindlichen Lager, die das „andere Amerika“ auch bildlich und körperlich durch die Hautfarbe repräsentierte, wurde gezielt die junge Generation osteuropäischer Gesellschaften ins Visier genommen.
Die Identifikation mit einer verfolgten und unterdrückten Minderheit im eigenen Land und die Ausgrenzung aus der Gesellschaft, ist selbstverständlich im Fall weißer Männer in einer weitgehend homogenen Gesellschaft nicht vergleichbar mit der Ausgrenzung von afroamerikanischen Bürger*innen, die anhand rassistischer Motive und Strukturen Diskriminierung erfuhren und immer noch erfahren. Auch die Ausmaße der staatlichen Reaktion sind nicht vergleichbar, denn die systematische Gewaltanwendung gegenüber afroamerikanischen Bürger*innen durch rassistische Strukturen und Motive steht in keinem Verhältnis zur staatlichen Überwachung oder zu den Verhören, in denen physische Gewalt gegen die Vertreter*innen einer osteuropäischen Happening-Szene wiederum nie eingesetzt wurde. Die Apparate der Staatssicherheit versuchten weitestgehend, die Taktik der „Vorbeugung“ zu nutzen und die Repressionen getarnt mit subversiven Aktionen durchzusetzen. Die Analyse dieser Doppelidentifikation mit Schwarzen Bürgerrechtler*innen zeigt jedoch, dass die Solidarität sowohl der Künstler*innen als auch der Staatsoberhäupter mit Davis und anderen Figuren öffentlichen Lebens in den USA ein neues Licht auf die Bipolarität der Ideologien im Kalten Krieg und die Instrumentalisierung von Solidarität werfen kann. Hierbei machen sich alle beteiligten Seiten performative Strategien zu eigen: Sowohl in den Masseninszenierungen der DDR als auch in den künstlerischen Happenings und Aktionen sowie die Bürgerrechtler*innen selbst haben sich performative Aktionen zu eigen gemacht und jede*r bewusst für ihren Kampf eingesetzt. Auch in den Techniken der Überwachung seitens der Staatssicherheit lassen sich performative Strategien der Kritik erkennen.
Die Gegensätzlichkeit der Doppelidentifikation mit Davis lässt sich an der Inszenierung der Solidarität bereits zeigen. Während sich Erich Honecker in Massenperformances für seinen Ausdruck der Solidarität mit Davis inszenierte, vollzogen Szentjóby und Rajczy ihre Solidaritätsaktion in Form von Sit-Ins, Happenings und Aktionen in einem kleinen Klub in Budapest. Die in Budapest in die Wege geleiteten Maßnahmen der Staatssicherheit assoziierten ausgerechnet diese singuläre künstlerische Aktion mit einer unverhältnismäßig hohen Gefahr. Die größere „Gefahr“ ging jedoch von den Massenperformances in der DDR aus – die teilweise ja auch außer Kontrolle gerieten.
Die erneute Aktualität einer Neujustierung des Verhältnisses von staatlicher Repression und Minderheiten zeigt sowohl die Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA als auch die zunehmenden Proteste in Osteuropa gegen die Kulturpolitik von illiberalen demokratischen Systemen und den Repressionen gegen Minderheiten. Der Mythos, die USA steuerten und finanzierten Dissident*innen und unterstützten ‚feindliche‘ Minderheiten und kulturelle Akteur*innen wird dort bis heute gepflegt. Wann immer sich Widerstandsbewegungen in Osteuropa formieren, wie z. B. in der Ukraine, oder Solidarität mit Geflüchteten gefordert wird, wird das Gerücht, diese seien maßgeblich von den USA beeinflusst, wiederbelebt. Diese von unterschiedlichen politischen Akteur*innen gestreute Verschwörungstheorien sind vor allem dazu da, Solidarität mit diesem Widerstand zu verhindern. Das betrifft aber auch andere Formen von Solidarität, wie sie für eine vielfältige Kulturlandschaft im 21. Jahrhundert selbstverständlich sein sollten. Sich zum Beispiel mit Kriegsflüchtlingen zu solidarisieren, gilt heute in Ungarn als „staatsfeindlich“. Mit dieser Kriminalisierung und teilweisen Pathologisierung gelingt es, die Arbeit von NGOs und Kulturschaffenden zu diskreditieren und zu unterbinden. Es sind jene Organisationen und Kulturarbeiter*innen, die heute für Meinungs-, Presse- und künstlerische Freiheit, für die Unabhängigkeit der Justiz, Gendergerechtigkeit, Demokratie und gegen Rassismus und Xenophobie einstehen. Zentrale Bausteine der Zivilgesellschaft also, für die auch Angela Davis heute noch immer wieder spricht. Aber auch die rechtsnationale Propaganda hat das Thema „Meinungs- und Pressefreiheit“ für sich entdeckt und instrumentalisiert zunehmend die Idee der künstlerischen Freiheit für sich – und inszeniert sich als Opfer von Zensur, obwohl es tatsächlich nur darum geht, rassistische, fremdenfeindliche und xenophobe Inhalte öffentlich zu streuen. Künstlerische Freiheit ist ein Instrument mit der in der Öffentlichkeit diesen Tendenzen ein Gegenpol geboten werden kann. Deshalb ist Solidarität mit diesen Künstler*innen auch Solidarität mit einer freien Zivilgesellschaft.
Autorin
Kata Krasznahorkai ist eine Berliner Kunsthistorikerin, Kuratorin und Autorin. Von 2014-2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im ERC Projekt Performance Art in Eastern Europe. History and Theory 1950-1990 an der Universität Zürich. Seit 2020 ist sie Gerda-Henkel-Fellow an der Universität Zürich mit dem Forschungsprojekt Black Power in Osteuropa. Zuletzt kuratierte sie mit Inke Arns und Sylvia Sasse die Ausstellung Artists&Agents. Performancekunst und die Geheimdienste im HMKV Dortmund, zu der eine gleichnamige Publikation erschien. Ihre Monographie Operative Art History or Who is Afraid of Artists? erscheint im Herbst 2020. Sie war Kuratorin am Ludwig Museum Budapest und am Collegium Hungaricum Berlin. Sie ist Mitglied von AICA, Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzende des Berliner Vereins Critique&Culture e.V. und Expertin für die Europaratsausstellungen des Council of Europe.