Rosinenpicker
Mehr Antiheldentum geht nicht
Kaum ein Autor schreibt so erbarmungslos über das Elend des Alltäglichen wie Heinz Strunk – das macht er auch in seinem neuen Erzählband.
Manche kritisieren Strunks Schreibstil, sie werfen ihm vor, er zeichne ein kaltes, gnadenloses Bild seiner Figuren. Dieser Kritik hält Strunk entgegen, dass er nur sehr genau hinschaue, lediglich seine Sicht auf die Menschen sei vielleicht etwas düster. Seinen Kritiker*innen empfiehlt er, einen Tag auf einer Autobahnraststätte zu verbringen, danach würden sie ihn eventuell etwas milder beurteilen, so Strunk in einem Bayern 2-Interview.
Strunk versteht sich also als genauer literarischer Protokollant seiner Umwelt – mit Blick für das Abgründige. Nach seinen letzten Romanen Es ist immer so schön mit dir (2021) und Ein Sommer in Niendorf (2022), beide nominiert für die Longlist zum Deutschen Buchpreis, erschien nun der Erzählband Der gelbe Elefant mit 30 Kurz- und Kürzestgeschichten – manche umfassen nur ein paar Sätze.
Kroketten und andere Katastrophen
Gleich die erste Geschichte Kroketten (Croquettes) ist zum Fremdschämen. Zwei Pärchen gehen – wie jeden Freitag – zu ihrem Stamm-Griechen „Bacchus“, denn hier sind die titelgebenden Kroketten (angeblich) hausgemacht, lecker und billig. Die Auswahlkriterien für das Stammlokal lesen sich entsprechend simpel: „Kroketten, Gemütlichkeit …, fußläufige Erreichbarkeit.“ Die Pärchen plaudern über Urlaube und andere Belanglosigkeiten, und dann der Schock: Die Kroketten sind aus! Die Stimmung kippt, die Unterhaltung wird zäh, man ist genervt voneinander. Obwohl die begehrte Sättigungsbeilage später noch aufgetrieben wird, ist der Abend ruiniert. Nicht mal der obligatorische Ouzo aufs Haus wird angenommen, man verabschiedet sich rasch unter fadenscheinigen Ausreden, hat anschließend Verdauungsprobleme und ist froh, dass am Folgetag „nichts Socialisingmäßiges geplant“ ist.Auch Grotesken gehören zu Strunks Repertoire, wie etwa in einem der kürzesten Texte, in dem sich ein Selbstmörder beim Sprung vom Hochhausdach die Nase zuhält, „wie Kinder beim Sprung vom Ein-Meter-Brett“. In der Erzählung Eisengreis will ein 75-jähriger Bodybuilder seinen körperlichen Verfall nicht wahrhaben, muss ihn aber auf äußerst schmerzhafte Weise erleben. Die Überzeichnung der körperlichen und seelischen Qualen des Alten erinnert Jens Uthoff von der taz an eine „Kafka-Parabel mit einem ordentlichen Schuss Hamburger Humor“.
In Steilgehen zeichnet Strunk den Protagonisten als milde Version eines Incels. Mark ist geizig, klein, dicklich und charakterlos. Da er schon lange keine Beziehung mehr hatte, tindert er sich durchs Leben, natürlich erfolglos. „Sie durchschaut mich, denkt er in einem kurzen, lichten Moment und ist ganz erschüttert. Durchschaut mich … und mag mich nicht. Er weiß zwar nicht, was genau sie durchschaut, aber er fühlt es“, denkt er während eines Dates. Ihm bleiben anschließend nur Sexfantasien, Onanie, Misogynie und Zerstreuung durch TV-Comedians.
Dörrobstopis und Pennälerbärtchen
Alleine wegen der gelungenen Beschreibungen, vor allem von Körperlichkeit, lohnt die Lektüre: Rentner, die sich durch den Ausdauersport fit und schlank halten, sind „Dörrobstopis“ – und eine Frau beschreibt ihren Partner vor dem kurz bevorstehenden Ende des gemeinsamen Lebensabschnitts so: „Sie will endlich weg von seinem weichen Bauch und den behaarten Fingern und dem idiotischen Pennälerbärtchen und seiner farblosen Stimme und den essigsauren Ausdünstungen seines Körpers.“Die 30 Texte sind thematisch vielseitig, manche skizzenhaft, nicht alle gleichermaßen gelungen. Angesichts dieser Sammlung lässt sich darüber streiten, ob Strunk überzeichnet oder nur genau aufschreibt, was er sieht. Jedenfalls liefert Der gelbe Elefant klassischen Strunk-Stoff: Antihelden überall.
Heinz Strunk: Der gelbe Elefant
Hamburg: Rowohlt, 2023. 208 S.
ISBN: 978-3-498-00350-0
Hamburg: Rowohlt, 2023. 208 S.
ISBN: 978-3-498-00350-0