Vom Nordpol zu den Schlachthöfen von Chicago: Kristina Gehrmann hat ein Faible fürs Historische, das sie mit ihrer Vorliebe für Mangas verbindet.
Von Stefan Pannor
Auf einen Blick
Comics hat die 1989 in Leverkusen geborene Grafikerin lange nur gelesen und nicht selbst gezeichnet. Etwa in Florenz, wo sie Malerei studierte, um laut eigener Aussage „Italienisch zu üben“. Ihr Schwerpunkt als Grafikerin war zuerst die realistische digitale Malerei. Erst als sie genügend Geld gespart hatte, konnte sie ihren ersten eigenen Comic produzieren – der zugleich der Auftaktband einer Trilogie war.
Vom Manga inspiriert
In der Trilogie Im Eisland schildert Kristina Gehrmann die katastrophale Franklin-Expedition, die 1848 vollständig im Polargebiet verschollen ging. Dafür wurde 2016 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Inspiration für die Idee, eine historische Geschichte auf über sechshundert Seiten zu erzählen, waren Mangas. Diese japanische Form des Comics experimentierte noch vor den Graphic Novels mit raumgreifendem Erzählen. Insbesondere Vinland Saga von Makoto Yukimura, eine der liebsten Manga-Serien von Gehrmann, diente als Vorbild. Auf mehreren tausend Seiten wird dort die Entdeckung Nordamerikas durch die Wikinger geschildert. Der Manga besticht wie Im Eisland durch die lebendige Darstellung von Seefahrt und Polarregionen.
Für die Adaption schwächte sie den Inhalt von Sinclairs sozialkritischem Roman grafisch ab, der den Niedergang einer Einwandererfamilie schildert: ihr Comic hat, anders als die Vorlage, ein Happy-End.
Außer als Comiczeichnerin arbeitet Kristina Gehrmann als Illustratorin und engagiert sich für die Rechte anderer Grafiker in der Illustratoren Organisation e.V.
Ein besonderes Werk
Im Dschungel ist eine vierhundert Seiten lange freie Adaption von Upton Sinclairs realistischem Roman über die Chicagoer Schlachthöfe um 1900. Für die grafische Darstellung löste Gehrmann sich von den starren, oft harten Linien des Mangas. In einem offeneren Stil mit weichen Linien schwächte sie zudem den Inhalt von Sinclairs sozialkritischem Roman, der den NIedergang einer Einwandererfamilie schildert, dezent ab: Ihr Comic hat, anders als die Vorlage, ein Happy-End. „Ich fand beim Lesen, dass es eher abstumpfend wirkt, wenn eine Tragödie auf die andere folgt. Dann ist der Eindruck auf den Leser möglicherweise weniger stark.“ Genau wie bei Im Eisland wählte sie bewusst eine historische Vorlage, denn „um es salopp zu sagen, passiert in der Historie der ganze krasse Kannste-dir-nicht-ausdenken-Scheiß“.
Die Rechte der Künstler
Seit 2014 engagiert sich Kristina Gehrmann im Verein „Illustratoren Organisation“, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Rechte von Grafikern zu fördern. 2016 veröffentlichte sie Zeichnen als Beruf, das sich vor allem an Berufseinsteiger richtet. „Wer als Grafiker seine Rechte kennt, verdient oft auch mehr.“
In eigenen Worten
„Die wirtschaftliche Situation freischaffender Zeichnerinnen und Zeichner sieht so aus, dass viele Schwierigkeiten haben, von ihrer Tätigkeit leben zu können. Unter anderem, weil man die unternehmerischen Grundlagen des Illustratorenberufs nur unzureichend oder gar nicht im Studium lernt. Ich versuche dazu beizutragen, weil alle Zeichnerinnen und Zeichner davon profitieren, wenn wir angemessene Honorare kennen, professionell auftreten und unsere Rechte kennen.“