25 Jahre Wolffpreis
Kurt Wolff, 1887-1963
Alexander Wolff, Enkelsohn von Kurt Wolff und Autor von Endpapers: A Family Story of Books, War, Escape, and Home veranschaulicht in seinem Werk das stetige Bestreben des Großvaters, sich als Verleger auf beiden Seiten des Atlantiks zu behaupten.
Von Alexander Wolff
Kurt Wolff lebte lange und mutig genug, damit seine Laufbahn als Verleger in Deutschland und in den Vereinigten Staaten zwei ganze Zyklen mit Höhen- und Tiefpunkten erleben konnte.
Die beruflichen Erfolge meines Großvaters sind eng mit den dramatischen Wendungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden. 1913 gründete er im Alter von 25 Jahren den Kurt Wolff Verlag in Leipzig. Das Haus rückte die Stimmen von das Neue – Schriftsteller die bereit waren, die engstirnige Kultur der untergehenden Monarchien Europas zu verspotten – in den Vordergrund. Darunter zählten Franz Kafka, Karl Kraus, Franz Werfel, Joseph Roth und Heinrich Mann. Wie Deutschland tat sich auch der Kurt Wolff Verlag sehr schwer, nach dem Krieg wieder Fuß zu fassen – erst durch die Hyperinflation in der Weimarer Republik, dann durch das Aufstreben des Nationalsozialismus Ende der 20er Jahre.
Von mütterlicher Seite zählte Kurt zwar in mehreren Generationen bekehrte Juden, doch es waren seine "entarteten" Autor*innen, die das Dritte Reich missbilligte. Wenige Stunden nach dem Reichtagsbrand floh er aus Deutschland, um sich erst in London niederzulassen, wo er Helen Mosel heiratete, die seine lebenslange Gefährtin und Mitarbeiterin sein wird. Nach acht Jahren Exil durch Frankreich und Italien flohen Kurt und Helen im März 1941 dank der Hilfe von Varian Fry von Lissabon nach New York. Ende des Jahres gründeten sie Pantheon Books; der Verlag veröffentlichte die Übersetzungen der Werke von Stefan George, Hermann Broch und Robert Musil, sowie seinen den ersten Bestseller des Hauses: The Complete Grimms’ Fairy Tales – Die komplette Sammlung der Märchen der Brüder Grimm.
Durch den Frieden kam auch Wohlstand in die USA, aber nicht für Pantheon: Der Verlag bevorzugte Mitte der Fünfziger weiterhin literarische statt kommerzieller Titel. Nur durch die stetige Unterstützung der Bollingen Foundation und Anne Morrow Lindberghs Bestseller Gift from the Sea (deutsch: Muscheln in meiner Hand), konnte sich das Haus über Wasser halten, bis 1958 Kurt und Helen die Rechte für Boris Pasternaks Doktor Schiwago ergattern konnten.
Ich möchte nur Bücher herausgeben, für die ich mich auf meinem Sterbebett nicht schämen werde.
Kurt Wolff
Im meinem Buch Endpapers erkläre ich, wie Doktor Schiwagos Erfolg ein zweischneidiges Schwert darstellte:
Mit einem Mal wurde Pantheon Books mit einem Geldregen überschüttet, und es ergaben sich reale neue Chancen für einen Verlag, der sich lange mit seiner spezifischen »Physiognomie« (wie Helen es nannte) zufriedengegeben hatte. Mittlerweile rissen sich amerikanische Verlage darum, Schulbücher an die einzelnen Schulbezirke zu verkaufen, die den Unterricht der Babyboomer-Generation bewältigen mussten. Dies führte dazu, dass sich die Wall Street zunehmend für die Buchbranche zu interessieren begann, was Verlagsfusionen und -übernahmen nach sich zog. Ehemals unabhängige Verlage waren plötzlich nur noch ein Segment eines Firmenkonglomerats, von dem man einen ordentlichen Beitrag zur Unternehmensbilanz erwartete. In diesem sich abzeichnenden Konflikt vertraten Kurt und Helen die idealistische Seite, sie waren der Ansicht, ein hoher literarischer Anspruch werde sich auf lange Sicht auszahlen. Aber Schabert und zwei gleichgesinnte Aufsichtsratsmitglieder wollten Pantheon Books moderner und kommerzieller ausrichten – und sie hatten die besseren Karten. Bittere Ironie: Ausgerechnet ein Bestseller, der dem Verlag in den Schoß gefallen war, weil man der Umsicht und Reputation Wolffs vertraut hatte, forcierte nun die Auseinandersetzung, bei der Kurt und Helen schließlich den Kürzeren zogen. Es war, als hätte die Geschichte den Weg vorgezeichnet. Der Kulturhistoriker Anthony Heilbut vergleicht deutsche Intellektuelle, die in die Vereinigten Staaten geflohen waren, mit den europäischen Hofjuden von einst, wie Kurts Vorfahr Salomon von Haber einer gewesen war. »Sie spielten eine seltsame, auf ungute Weise periphere Rolle«, schreibt Heilbut. »Ein wenig vergleichbar mit den Kammerjuden früherer Zeiten genossen sie in manchen Bereichen große Autorität und blieben in anderen verwundbar: In Europa wie in Amerika witterten sie Unruhe und Verrat.«
Kurt und Helen verlassen Pantheon und kehren nach Europa zurück. Doch mit der Ironie des Schicksals ist es lange nicht vorbei:
Gezwungen, sich den Lebensunterhalt in dem einzigen Metier zu verdienen, in dem er sich auskannte, tat er dies gegen alle Widerstände und mit feinem Gespür. Ironischerweise hatte Kurt vor dem Ersten Weltkrieg die Mitbewerber in seiner alten Heimat mit seinen »amerikanischen« Vermarktungspraktiken geärgert – farbenfrohe Einbände, günstige Preise, auffällige Anzeigen in Zeitungen und auf Kioskplakaten. Später dann ließ sein ganz in der Alten Welt verhafteter Wesenskern ihn mit der Geschäftskultur seiner neuen Heimat in Konflikt geraten. […]
Kurt sah keinen anderen Ausweg, als abermals zu fliehen – über den Ozean zurück nach Europa, wo er sich in der Schweiz niederließ, auf buchstäblich neutralem Terrain.
Mein Großvater erlebte einen letzten Erfolgsmoment. 1960 lud William Jovanovich, CEO von Harcourt, Brace & World Kurt und Helen ein, eine eigene Reihe unter der Schirmherrschaft von Harcourt zu erstellen. Schnell nahmen die Wolffs Günter Grass und weitere bedeutende europäische Autor*innen unter Vertrag. Nach knapp drei Jahren kam Kurt auf dem Weg zum Deutschen Literaturarchiv Marbach durch einen Unfall mit einem Lastwagen ums Leben. Helen kehrte nach New York zurück, wo sie die Helen und Kurt Wolff Buchreihe für weitere 30 Jahre fortführte und unter andrem Walter Benjamin, Max Frisch, Karl Jaspers, und Uwe Johnson herausgab.
Kurt konnte sich zu drei verschiedenen Zeitabschnitten als Verleger behaupten: in Deutschland vor der Nazizeit, in New York bis zum verlorenen Machtkampf in der Chefetage und in seinen letzten Lebensjahren gemeinsam mit Harcourt von der Schweiz aus. In all diesen Phasen handelte der "diskriminierendste Verleger des zwanzigsten Jahrhunderts" (New York Times Book Review) nach seinen eigenen Bedingungen, wie er selbst verdeutlichte: "Ich möchte nur Bücher herausgeben, für die ich mich auf meinem Sterbebett nicht schämen werde."