25 Jahre Wolffpreis
ZUM 25. JUBILÄUM DES HELEN & KURT WOLFF ÜBERSETZERPREISES
Shelley Frisch, Juryvorsitz des Helen & Kurt Wolff Übersetzerpreises, über die 25-jährige Geschichte des Preises, seine Bedeutung für die Literaturübersetzung und das, was er für das besondere Vermächtnis bedeutet, das die Wolff Familie im Verlagswesen hinterlassen hat.
Von Shelley Frisch
Zu diesem feierlichen Anlass, dem 25. Jubiläum des Helen und Kurt Wolff Übersetzerpreises, ist es mir eine Ehre einige Gedanken zur Bedeutung dieses Preises für die Übersetzer*innen, die Literaturübersetzung und die Förderung der deutschsprachigen übersetzten Literatur in Nordamerika teilen zu dürfen. Ich bin seit 2015 Mitglied der Wolff Jury und habe seit 2016 ihren Vorsitz inne.
Was macht unseren Preis so einzigartig? Es handelt sich um den einzigen Preis, der ausdrücklich und ausschließlich englischsprachige Übersetzungen deutscher Texte ehrt, die in den Vereinigten Staaten und Kanada veröffentlicht wurden. Anders als andere Übersetzerpreise, bei denen Texte verschiedener Ausgangssprachen vorgelegt und die Übersetzungskunst auf der Grundlage der Lesbarkeit des Zieltextes ausgezeichnet wird, geht es den Wolff Juror*innen darum, das deutschsprachige Original zu analysieren und die entsprechende Evolution des Zieltextes nachzuverfolgen. Die übersetzungstechnischen Herausforderungen des Ausgangstextes und das Gelingen der Transformation ins Englische stehen hierbei im Vordergrund. Unser Augenmerk richtet sich – nicht selten achtungsvoll – auf die genialen und erfinderischen Lösungen in Sachen Satzbau, Register, Rhythmus und Ton, die die gelungensten Übersetzungen beflügeln.
Seit der Gründung dieses Preises im Jahr 1996 fand sowohl ein geografischer Wandel – von Chicago, dem ursprünglichen Sitz, nach New York im Jahr 2015 – als auch eine Veränderung in der Juryzusammensetzung statt. Diese besteht aus Übersetzer*innen und Literaturkritiker*innen. In den ersten Jurys saßen typischerweise vier Männer und eine Frau, doch mit den Jahren wurde eine neue Balance hergestellt, so dass seit 2012 der Preis von einer Jury bestehend aus drei Frauen und zwei Männern verliehen wird. Kurz vor der Verleihung findet stets eine Plenarsitzung statt. Wie vieles in diesem Pandemiejahr musste auch das Jury-Treffen dieses Mal digital stattfinden.
Helen und Kurt Wolff, [haben] sich stark dafür engagiert [...], das Interesse an fremdsprachiger Literatur in den USA zu wecken und zu fördern...
Der Übersetzungssektor erlebt in den letzten Jahren einen Aufschwung durch neue Universitätsabschlüsse in den Translationswissenschaften, Zertifikatsprogramme und eine zunehmende Sichtbarkeit der Übersetzer*innen. Deren Namen taucht nun auch auf Buchdeckel, Webematerial und in den Rezensionen auf, ebenso spielen Translator*innen eine aktivere Rolle bei Buchpräsentationen und Podiumsdiskussionen. Helen und Kurt Wolff, die sich stark dafür engagiert haben, das Interesse an fremdsprachiger Literatur in den USA zu wecken und zu fördern, wären heute sehr froh über diese Wendung. Dieser Übersetzerpreis, der deren Namen trägt und vom Goethe-Institut veranstaltet wird, hat einen großen Beitrag geleistet, die Übersetzungsbranche zusammen zu bringen, hervorragenden Werken im Deutschen Aufmerksamkeit zu verschaffen und Übersetzungen und Übersetzer*innen ins Scheinwerferlicht zu rücken. Bei der Verleihung kommen die Jury, der Herausgeber des Gewinnertextes, das Team des Goethe-Instituts, Vertreter*innen anderer deutscher kultureller Einrichtungen, Mitglieder*innen aus den Medien und das interessierte Publikum zusammen, um die preisgekrönte Übersetzung sowie deren Verfasser*in zu würdigen – in einem feierlichen Rahmen, von guter Musik und einem Büffet untermalt. Dabei erlebt man stets diesen Moment der Ungezwungenheit nach den verschiedenen Lobreden, wenn schließlich die preisgekrönte Person vor dem Publikum mit einem Blumenstrauß erscheint und versucht, sich irgendwie von letzterem zu befreien um das Podium und/oder das vorbereitete Manuskript zu erreichen.
Ich möchte damit abschließen, dass ich persönlich meine Dankbarkeit gegenüber Helen und Kurt Wolff und deren Familie ausspreche. Ich habe Helen Wolff vor vielen Jahren in ihrem New Yorker Büro persönlich kennenlernen können und behalte unser Gespräch über die Verlagswelt und die Übersetzung in bester Erinnerung. Und Kurt Wolff spielt für mich eine ausragende Rolle als Kafka Herausgeber in Reiner Stachs dreibändige Kafka-Biographie, welche ich übersetzt und für die ich 2014 diesen Preis entgegennahm. Kafka reichte seine Texte immer nur sehr zögernd ein – nach seinem ersten Treffen mit Kurt Wolff schrieb er ihm: "Ich werde Ihnen immer viel dankbarer sein für die Rücksendung meiner Manuskripte als für deren Veröffentlichung." Wolff schaffte es nichtsdestotrotz aus Kafka Texte herauszukitzeln und so viele wie möglich herauszugeben. Sein Enkelsohn, Alexander Wolff, hat in seinem jüngsten Werk Endpapers eine mitreißende Darstellung der Familiengeschichte der Wolffs auf Papier gebracht. Dabei zollt er der Arbeit der Übersetzer*innen Tribut, insbesondere den Gewinner*innen des Wolff Preises. In der Bibliografie von Endpapers, so Alexander, seien nicht weniger als acht Gewinner*innen des Helen und Kurt Wolff Übersetzerpreises vertreten. Ihnen spricht er herzlichen Dank für ihr Schaffen aus.
Kurt Wolff schrieb Karl Kraus im Jahr 1913 über die Aufgabe des Verlegers, dass diese mit einem "Seismographen" zu vergleichen sei, "der bemüht sein soll, Erdbeben sachlich zu registrieren. Ich will Äußerungen der Zeit, die ich vernehme, [...] notieren und vor die Öffentlichkeit zur Diskussion stellen." Unsere Jury, die Wolffs Namen trägt, verpflichtet sich, Helen und Kurt Wolffs Engagement in der Förderung der internationalen Literatur fortzuführen und seismographisch die herausragenden Übersetzungen großartiger Wortkünstler*innen dem breiten Leser*innenpublikum zu präsentieren.
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