Bilderbuch in den USA
On the road again
Ende 2021 ist der Künstler Jonas Höschl an die Ostküste der USA gereist, um eine seiner absoluten Lieblingsbands auf ihrer US-Tour zu begleiten, die österreichische Band Bilderbuch. Die stand zum ersten Mal seit den Corona-Lockdowns wieder vor Live-Publikum auf der Bühne. In Bildern und Worten, aus Washington, D.C., Boston und New York City berichtet Jonas Höschl.
Von Jonas Höschl
26.11.21
Als ich in Washington D.C. ankam, wohin mich ein weiterer Umweg meines Lebens geführt hat, fuhr ich eine lange Strecke mit dem Taxi ins Hotel. Draußen flogen die Lichter vorbei, während ich drinnen versuchte, mein Smartphone auf einem anderen Kontinent betriebsfähig zu machen. Nach einer Weile poppten Push-Nachrichten über WhatsApp auf. Dort war zu lesen, dass die Bilderbuch-Crew bereits Jetlag geplagt ins Bett gefallen sei. Das Taxi spuckte mich vor den Türen eines Hotels aus, das durch seine architektonische Präsenz wie die ganze Stadt »Aesthetics of Power«, den Titel eines Vortrags der Künstlerin Henrike Naumann, zu schreien schien.27.11.21
Nach einer Nacht voller Albträume, in denen eine morphende Menschenmenge zu einem mir unbekannten Feature von John Maus und Xavier Naidoo den Bundestag und gleichzeitig das Kapitol stürmt, erwachte ich in Amerika mit dem Wissen, dass ich die nächsten Tage einen sehr viel besseren Soundtrack geliefert bekommen würde.Vor einem weißen Monolith, der zu Ehren George Washingtons errichtet wurde, schloss ich mich der österreichischen Gruppe zu einer improvisierten Touri-Tour an. Die US-Folklore hatte jedes Bandmitglied, Techniker, Fahrer, Manager und Tourfotograf funkelnd in den Augen. Während die Corona-Inzidenz in Deutschland wieder stieg, fielen kurz vor Tourstart die Einreisebeschränkungen und wir wurden hierher gebeamt, in eine andere Realität, in der ich mich vor der Jefferson Hall durch eine Menschenmenge drückte. Eine Realität, die ich die letzten Monate, wenn überhaupt, nur in Form von Festival-Aufzeichnungen als digitales Relikt aus einer anderen Zeit erlebt hatte. Über uns und der Jefferson Hall flog ein Jefferson Airplane. Während ich mit meinem Blick dem Flugzeug folgte, verwoben sich die amerikanischen, österreichischen und holländischen Sprachfetzen in einiger Entfernung in meinen Ohren, welche von einem »Mindfuck USA Style!« in unmittelbarer Nähe unterbrochen wurden. Wenn ich heute den Ort in der Streetview-Funktion von Maps wieder besuche, kann ich das Flugzeug noch immer sehen. Darüber prangt, wie in die Wolken eingebrannt, »Copyright 2021 Google« und das erinnert mich an die kapitalistische Ordnung unserer digitalen und physischen Welt, die gerade deswegen jüngst so schmerzlich aus den Fugen zu geraten scheint.
Vor dem Weißen Haus wurde sich bei Zwiebelsuppe (für dreizehn Dollar) im kalten November wieder aufgewärmt und der erste Instagram-Post aufgesetzt. In die Caption schrieb Maurice langsam »we finally made it to the US. ready to storm stages« unter ein Bild, in dem alle vier mit dem Blick auf das Kapitol zu sehen sind. 15.777 Personen gefällt das.
28.11.21
Der Tourstart wurde für mich im Backstage des legendären 9:30 Club mit einer beeindruckenden Schachtel voller 9:30-Cupcakes (»The 9:30 Cupcake is a devil's food cupcake with a butter-cream center, chocolate frosting, and chocolate ganache, with the club's italicized 9:30 logo scrawled on top in white icing.« s/o Wikipedia) und mit der Frage »Willst du ein Canada Dry Beer?« eingeläutet. Ich bejahte und während das Bier meine Lippen benetzte, lauschte ich beim Soundcheck einem Bilderbuch-Song, der mir bis dahin unbekannt war. Mit den Text-Fetzen »Flüster nur meinen Nam’n / Durch dein Display / Und ich bin da, wo immer du bist, bin ich da« schlenderte ich vor die Venue nach draußen, wo der Sonnenuntergang ordentlich reinkickte. Ich machte ein Foto von Philipp und wechselte den Film. Vor der Location hatten sich bereits die ersten Personen aufgereiht. Im Vorbeigehen erkannte ich eine österreichische Gruppe mit »FM4«-Pappschild. Es wirkte ohnehin so, als ob viel europäisches Publikum, vornehmlich aus einer Medien- und Journalismus-Bubble, anzutreffen war, die nur darauf warteten, auch in Amerika von Bilderbuch in den Schick Schock versetzt zu werden. Und so sollte es kommen, Gitarrenflirren und die für die Gruppe typischen Lyrics zwischen Wiener-Lokalkolorit, amerikanischen Neologismen, Lautsprache und sehr viel Mut zum Gefühl fügten sich ideal ein in den 9:30 Club, wo bereits Bands wie Einstürzende Neubauten oder die Red Hot Chili Peppers gespielt hatten. Die Menge war elektrisiert, die Presse (»Das Wetter« eingeschlossen) war es auch. Mit dem Taxi ging es nach dem Konzert vor das White House, wo zwei Wochen zuvor noch Olaf Scholz eine seiner letzten Reden als Finanzminister gehalten hatte, und jetzt, vor staatstragender Kulisse, mit dem österreichischen Fernsehen über Bilderbuchs Amerika-Tour gesprochen wurde. Auf dem Weg zurück ins Hotel bekam ich von einem Taxifahrer ausführliche Hintergrundinformationen über einen Apple Store, der von außen beinahe wie die Miniaturversion der Jefferson Hall aussehen soll. Als ich nach dem ersten Tour-Tag ins Bett falle, höre ich eine Stimme, die wie ein Mix aus Maurice, Mike, Peter und Philipp klingt, in meinem Kopf sagen: »Wenn einer von uns Corona hat, wir grenzen ihn nicht aus. Wir nehmen ihn mit. Wir schauen uns Mammutbäume an und machen uns einfach eine gute Zeit.« (Da die Tour unter strengem Hygienekonzept und ohne medizinische Zwischenfälle durchgeführt wurde, sollte sich diese romantisch verklärte Idee einer gemeinsamen Quarantäne nie einlösen.)29.11.21
Bevor ich mich in den Tourbus von Bilderbuch begeben hatte, konsumierte ich ein Frühstück USA-Style, mit Mountain Dew und triefenden Bagels. In meinem Ohr klangen die Textfetzen von gestern weiter. »Stromkabel hängen über’s Feld / Irgendwo zwischen deiner und meiner Welt«. Im Bus warteten Adventskalender auf die Crew. Mit einem Zuckerspiegel von um die 400 mg/dl machten wir uns dann auf Richtung Boston. Auf dem Highway lasen wir, dass in Nordengland eine Gruppe von sechzig Personen mit einer Oasis-Cover-Band in ihrer Unterkunft eingeschneit wurde. Wir wünschten uns die Story verfilmt von Tarantino.Kurz nach 2 p.m. vibrierten mehrere Handys im Bus. Im ORF lief gerade der Bilderbuch-Fernsehbeitrag mit Interview von Maurice vor dem White House.
»Mein Papa hat es abgefilmt. Jetzt schreiben sie alle«, höre ich jemanden in den vorderen Reihen sagen. Währenddessen sehe ich die Skyline von New York im Handy von Snacky Mike vorbeiziehen, der neben mir sitzt und aus dem Fenster fotografiert.
»Das ist aber schon ein bisschen größer als Wien!«, sagt Peter, bevor wir bei der nächsten Tankstelle rausfahren. Der Security vor Ort, ein alter Jazz-Musiker, witzelt: »What's the difference between a musician and a pizza pie? Pizza pie can feed a family of four.« Und wir fuhren weiter in die Nacht. Der dunkle Innenraum des Busses wurde gelegentlich durch blitzende Lichteffekte eines Playstation-Spiels auf einem Screen über den Köpfen unserer großteils schlafenden Gruppe erhellt.
30.11.21
In der Venue in Boston, dem Paradise Rock Club, waren wieder ähnlich viele österreichische und deutsche Besucher*innen anzutreffen wie bereits in Washington D.C.. In der schlauchartigen Location, die sich eher in Flügel links und rechts neben der Bühne als davor erstrecken zu schien, gab es ein heiteres Wiedersehen mit dem Veranstalter des Seewiesenfests aus Österreich, bei dem Bilderbuch bereits vor vielen Jahren einmal gespielt haben und der nun als Gastgeschenk Softdrinks reichte. Die Pizza im Backstage erhielt das Gütesiegel »So American, voll viel drauf, voll fettig, voll geil!« und wurde mit alkoholischen Mischgetränken in Richtung Magen befördert.01.12.
Am für mich letzten Tag auf Tour, ging es morgens weiter nach New York. Auf der ganzen Fahrt bildeten die beiden Ohrwürmer »I got two tickets to New York City / Come with me you look so pretty« von Wilson Gonzalez Ochsenknecht und »Even if it ain’t all it seems, I got a pocketful of dreams / Baby I’m from New York« von Alicia Keys einen unverschämten Remix in meinem Kopf. Und während in meinem Kopf der zwanzigjährige Wilson weiter in irgendeinem Fotostudio mit Lametta im Gesicht fleißig in die Pedale seines Rennrades strampelte und sich trotzdem nicht vom Fleck bewegen konnte, flogen an unseren Fenstern die Schilder des Highways, die Werbeschilder von Dunkin’ Donuts und eine riesige Werbetafel mit der Aufschrift »Happy Birthday Jesus!« vorbei.Im East Village von Manhattan angekommen, nachdem das Equipment für die Webster Hall ausgeladen wurde, rief uns ein betrunkener Typ zu: »You white guys: You look like a hiphop crew from Belgium«. Kurz darauf mussten Peter und Philipp auf der Straße für ein »What are you wearing?«-Video herhalten.
Während sich für mich an diesem Abend das dritte Mal in Folge die Lichter der Scheinwerfer in einer überdimensionalen Diskokugel spiegelten und tausendfach gebrochen auf die Gesichter des Publikums herabregneten, erklang »Frau Professor, haben mich erwischt / In meinen Händen einen Spliff, Spliff«, was vor allem zwei junge Frauen in der ersten Reihe zum Ausrasten brachte. Ich zog mich gegen Mitte des Gigs aus dem Trubel der voll ausgelasteten Webster Hall in den Backstage zurück und schaute mir die nächsten Minuten der Performance von dort über einen Screen an. Dann erloschen die Lichter und Maurice, Mike, Peter und Philipp schlossen sich im Backstage Roosevelt verschwitzt und gelöst in die Arme. In den Gesichtern sah man die Freude, nach zwei Jahren endlich wieder große Live-Shows spielen zu können und das Bewusstsein, dass das mit solidarischem gesellschaftlichen Handeln auch in Zukunft weiter möglich sein wird. Als Bilderbuch bereits in den Tourbus gestiegen waren, um weiterzufahren, fand ich auf der Couch im Backstage einen Zettel. »Phrase of the Day« hatte Peter zuvor eilig darauf geschrieben, darauf stand zuerst auf Deutsch, dann auf Englisch: »I’d like to have a Viennese-Schnitzel with parsley potatoes and please don’t spare with the cranberry-jam.« Und so ist ein Stück Wien in New York geblieben.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der „Das Wetter“-Ausgabe #27.