Code Switching
„Und ich so: Are you kidding me?“
Täglich wechseln wir zwischen Umgangssprache, Dialekten oder Fachjargons – je nachdem, in welcher Situation wir uns befinden. Klingt banal, doch für dieses Phänomen gibt es sogar ein Fachwort: Code Switching. Am Ende geht es aber um weit mehr als Sprache.
Von Petra Schönhöfer
Als Barack Obama im Jahr 2012 die Umkleidekabine des US-amerikanischen Basketball-Nationalteams zum Gratulieren betrat, entstand eine Videoaufnahme, die zum Social-Media-Hit wurde: Darauf gibt Obama dem weißen Trainer sehr förmlich die Hand, während er den Schwarzen NBA-Spieler Kevin Durant mit einem überschwänglichen Handschlag begrüßt. Der Clip ging viral, so wie heute, zehn Jahre später, die Tiktok-Rede eines Schwarzen Arbeiters (@kajslare4) über die „Fakeness“ der People of Color bei der Arbeit: Auf der Arbeit rede er anders, laufe er anders und ziehe Kleidung an, die er sonst nie tragen würde – um den Job zu behalten und Geld zu verdienen, berichtet @kajslare4. „Black people be so fake at work and I love it.“
Beide Beiträge brachten das Thema Code Switching in die öffentliche Debatte: Das Konzept beschreibt, wie wir Sprache, Verhalten oder auch Erscheinungsbild je nach sozialem Kontext wechseln (englisch: to switch). Wir reden mal Umgangssprache, mal Dialekt, wir kleiden uns hier förmlich und dort sportlich. Auch Obama grüßt mal mit förmlichem Händeschütteln, mal mit kumpelhaftem Handschlag.
„Und ich so: Are you kidding me?“
Der Begriff Code Switching ist aber wesentlich älter als die Bilder von Barack Obama oder der Clip auf Tiktok. Und mit Begrüßungsritualen hatte er anfangs herzlich wenig zu tun: Er wurde durch den Soziolinguisten Einar Haugen im Jahr 1954 als sprachwissenschaftlicher Fachbegriff geprägt. Der Wissenschaftler beschrieb damit das Phänomen, dass zweisprachige Sprecher*innen bisweilen Wörter aus einer anderen Sprache in ihre Rede einbauen.
Code Switching kann dabei verschiedene Funktionen erfüllen: Sprechende können über Code Switching andere Menschen aus dem Gespräch ausschließen oder sie ins Gespräch integrieren – das wäre die direkte Funktion. Manchmal verwenden die Sprechenden aber auch bewusst Begriffe oder ganze Sätze in ihrer Muttersprache, um ihre Identität auszudrücken: „Bei uns in Colombia wird die Quinceañera groß gefeiert.“ Dies ist die expressive Funktion. Fallen den Sprechenden in einer Sprache nicht die richtigen Wörter ein und greifen sie deshalb auf die andere Sprache zurück, nennt sich das referenzielle Funktion: „Wir brauchen dieses eine Kraut, nicht Petersilie, sondern … cilantro (Koriander)!“ Und schließlich gibt es die metalinguistische Funktion – wenn sie die Hauptaussage in der Muttersprache tätigen und einen Kommentar in einer Fremdsprache anhängen. Nichts anderes tun wir, wenn wir beispielsweise sagen: „Dann fuhr der Bus einfach an mir vorbei und ich so: are you kidding me?“
Gut zu wissen, wer der Babo ist
Durch Einwanderung und dem damit verbundenen Sprachkontakt werden solche hybriden Sprechpraktiken heute auch in Deutschland hörbar. Ein typisches Beispiel dafür ist das Kiezdeutsch, die Sprache migrantischer Jugendlicher in Deutschland. Sie ist ein Ethnolekt, in dem Code Switching und Entlehnungen von Wörtern aus anderen Sprachen üblich sind. Wie der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt erklärt, folgt die Phonetik im Kiezdeutschen oft den Herkunftssprachen der Eltern, während Artikel und Kasusendungen entfallen. Präpositionen werden falsch verwendet oder entfallen ebenfalls: „Lass Bahnhof gehen!“ Auch die Wortstellung im Satz folgt oft beispielsweise arabischem oder türkischem Muster. Als gutes Beispiel kann der Song Chabos wissen, wer der Babo ist des Rappers Haftbefehl verstanden werden.Kiezdeutsch hat zwar oft den Ruf, zum Sprachverfall der deutschen Sprache beizutragen. Doch wie die Germanistin Heike Wiese von der Humboldt Universität zu Berlin klarstellt, ist Kiezdeutsch kein gebrochenes Deutsch. Es begründe vielmehr einen neuen, urbanen Dialekt des Deutschen. Das Code Switching von Rapper Haftbefehl können wir also auch als Zeichen besonderer und außergewöhnlicher Ausdrucksfähigkeit interpretieren.
Schibboleths: Nur für Eingeweihte
Im Zusammenhang mit Code Switching spielen auch sogenannte Schibboleths eine Rolle. Das Wort stammt aus dem Hebräischen und heißt wörtlich übersetzt Getreideähre. Es wird aber in der Bedeutung von „Kennwort“ oder „Codewort“ für eine sprachliche Besonderheit verwendet. Wer sie korrekt ausspricht, identifiziert sich als Zugehöriger zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auch zu einer Region. Ruft beispielsweise jemand im Karneval in Düsseldorf laut „Alaaf“, gibt er sich sofort als Bewohner*in der Nachbarstadt Köln zu erkennen. Wer die sprachliche Besonderheit nicht richtig benutzt, weist sich hingegen als Außenseiter*in aus. Im übertragenen Sinn können auch Gesten oder Symbole zum Schibboleth für Eingeweihte werden, wie etwa der Fisch als das Zeichen für Christentum.
Der Begriff des „Code Switching“ ist in der Sprachwissenschaft seit den 2010er-Jahren allerdings in die Kritik geraten. Begriffe wie „Metrolingualismus“, „Polylanguaging“ und „Translanguaging“ betonen nicht den „Switch“ – den Wechsel zwischen Sprachen, die eigentlich getrennt sind –, sondern legen ein anderes Verständnis von Sprache und Mehrsprachigkeit zugrunde. Der Begriff Translanguaging etwa betont im Gegensatz zum Code Switching, dass Sprachen nicht abgrenzbar und nicht abgeschlossen sind. Damit wird die Annahme, Sprachen seien getrennte Einheiten, radikal infrage gestellt: Die Normalität sei vielmehr der dynamische Sprachwechsel.
Das doppelte Bewusstsein
Während der Begriff in den Sprachwissenschaften also ins Wanken gerät, geht seine Bedeutung jedoch längst über Sprache hinaus. Denn nicht nur Linguist*innen interessieren sich für den Begriff des Code Switching: Er ruft auch Soziolog*innen auf dem Plan. Für sie spielt nicht nur der sprachliche Ausdruck eine Rolle, sondern – wie wir am Beispiel Obama sehen – das komplette Auftreten.
Auf diesen Aspekt des Code Switchings – auch wenn er es nicht so nannte – verwies der US-amerikanische Soziologe, Historiker und Bürgerrechtler William Du Bois bereits 1903, als er in seinem Hauptwerk The Souls of Black Folk die doppelte Identität von Schwarzsein und Amerikanischsein thematisierte:
„Es ist ein eigentümliches Gefühl, dieses doppelte Bewusstsein, dieses Gefühl, sich selbst immer mit den Augen der anderen zu betrachten, seine Seele am Band einer Welt zu messen, die mit amüsierter Verachtung und Mitleid zuschaut. Man spürt immer seine Zweisamkeit, ein Amerikaner, ein Schwarzer, zwei Seelen, zwei Gedanken, zwei unversöhnliche Bestrebungen; zwei kriegerische Ideale in einem dunklen Körper, dessen verbissene Stärke allein verhindert, dass er zerrissen wird.“
Assimilation oder Sozialkompetenz?
Code Switching wurde zur Strategie für People of Color, um in der Welt der Weißen gleichberechtigt behandelt zu werden, Anerkennung zu erhalten und erfolgreich zu sein. Noch 2019 ergab eine Umfrage des Pew Research Center in Washington, dass 85 Prozent der Schwarzen US-amerikanischen Erwachsenen ab und zu die Notwendigkeit zum Code Switching sehen. Es gilt in den USA als weit verbreitet, dass Schwarze Eltern ihren Kindern Verhaltensregeln im Umgang mit der Polizei mit auf den Weg gehen: besonders höflich sein, deutlich sprechen, die Hände nicht verstecken. In diesem Kontext wird Code Switching negativ als Assimilation verstanden: als Angleichung einer gesellschaftlichen Gruppe an die Unterdrückungsmechanismen einer dominanten Kultur unter Aufgabe der eigenen Kultur.
Die aktuelle Debatte betrachtet Code Switching jedoch eher als Fähigkeit, sich zum eigenen Vorteil maskieren und anpassen zu können. So argumentiert auch Dionne Mahaffey, eine US-amerikanische Wirtschaftspsychologin und Professorin, die in den USA mit einer Grußkartenserie speziell für People of Color bekannt wurde. Sie erkennt im Code Switching nicht etwa eine unauthentische Version des Selbst. Stattdessen nutzen wir ihrer Meinung nach einfach bestimmte Aspekte unserer Identität anstelle von anderen, je nach Situation und Umfeld. Code Switching muss also nicht zwangsläufig ein Defizit sein. Es wird, je nach Kontext, auch als Form der Sozialkompetenz verstanden.