Inklusion auf der Biennale
Ein roter Teppich für alle
Unter dem Titel “Wegen Umbau geöffnet” widmet sich der Deutsche Pavillon auf der 18. Architekturbiennale in Venedig den Themen Reparatur, Instandhaltung, Barrierefreiheit und Inklusion. Aber was bedeutet Barrierefreiheit in einer Stadt, die aus rund 120 Inseln und 359 denkmalgeschützten Brücken besteht und deren Verkehrswege Kanäle sind? Und wie inklusiv ist die Biennale eigentlich?
Von Christine Pawlata
„Die öffentlichen Verkehrsmittel auf dem Wasser, die früher für Rollstuhlfahrer*innen völlig unzugänglich waren, haben sich stark verbessert. Aber die Wasserbusse erreichen nicht alle Ecken,“ sagt Valeria Tatano, Architekturprofessorin an der Università Iuav in Venedig und Expertin für inklusives Design. „Der Knackpunkt sind die Brücken.“
Brücken überwinden
In ihrem 2018 erschienenen Buch Atlante dell’accessibilità urbana a Venezia, zu Deutsch „Atlas der Barrierefreiheit in Venedig“, dokumentierte Tatano die von der Stadtverwaltung geschaffenen barrierefreien Wegstrecken. Von den 359 Brücken der Stadt sind heute 38 mit Rollstühlen überwindbar.Gerade wegen ihrer Besonderheit hat Venedig mehr experimentiert als andere Städte, um einerseits zugänglich für Menschen mit Gehbehinderungen zu werden, und andererseits das einzigartige Weltkulturerbe der Stadt zu schützen, so die Architektin. Ein Beispiel sind die Rampen, inspiriert von der berühmten, befahrbaren Freitreppe Cordonata, die auf das Kapitol in Rom führt.
Viel bleibe aber noch zu tun. „Es gibt rollstuhl-geeignete Wegstrecken in Venedig, aber sie sind stückchenweise und unzusammenhängend entstanden und das ist das Problem,“ sagt Tatano. Zum Beispiel sei zwar ein barrierefreier Weg vom Bahnhof zum Markusplatz geplant, bis heute bestehe er aber noch nicht.
Barrierefreiheit für verschiedene Bedürfnisse
Laut der Psychologin Naomi Brenner stelle das Wirrwarr aus Kanälen und Brücken nicht für alle Personen mit Behinderungen eine Einschränkung ihres sozialen Lebens dar: „Viele Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung sagen zum Beispiel, Venedig sei fast barrierefreier für sie als eine Stadt mit Autos. Auch für Menschen mit geistiger Behinderung ist die Stadt zugänglicher, weil sie sehr viel sozialer ist und weil alles zu Fuß stattfindet.“Naomi Brenner ist mit dem Verein Red Carpet for All verbunden, der für die Rechte von Menschen in Venedig eintritt, die von sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Der Verein setzt sich unter anderem dafür ein, die Museen und kulturellen Angebote der Stadt für Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen.
„Es reicht nicht, dass eine Stadt voll ist mit kulturellen Angeboten, diese müssen auch barrierefrei für verschiedene Bedürfnisse sein.“
Die Biennale sieht die Psychologin als eine große Bereicherung für Venedig. „Diese Art von Kunst ist sehr kommunikativ, sie bietet viele Anlässe darüber zu sprechen und ist deswegen auch für Menschen mit geistiger Behinderung sehr spannend.“
Ganz am Anfang stehe man in Italien noch bei barrierefreier Kommunikation: „Anders als in Deutschland, ist Leichte Sprache in Italien noch wenig bekannt. Seit kurzem organisiert auch die Biennale Führungen in leichterer Sprache, hier gibt es aber noch sehr viel Luft nach oben,“ so Brenner.
Bauliche Hindernisse auf der Architekturbiennale
Zwar haben alle Ausstellungspavillons mittlerweile normgerecht Rampen oder Treppenlifte, diese befinden sich aber zumeist auf der Rückseite der Gebäude. Dadurch können nicht alle Besucher*innen die Ausstellung durch den Haupteingang betreten, was zweifellos eine Einschränkung im Hinblick auf Inklusion darstellt.Ein Hindernis für Menschen mit Gehbehinderungen sind auch die Kieswege auf dem Biennale-Ausstellungsgelände Giardini, auf dem sich der Deutsche Pavillon befindet. „Die Biennale sollte eine Alternative finden,“ meint die Architektin Valeria Tatano. „Das heißt nicht, dass man von Kies auf Asphalt umsteigen muss. Es gibt viele Lösungen, die sowohl wasserdurchlässig sind, als auch farblich gut in die Umgebung passen.“
Damit jeder Mensch gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilnehmen kann und es Platz für alle auf dem rotem Teppich gibt, braucht es nicht nur in Städten wie in Venedig ein Umdenken.
„Barrierefreie Wegstrecken helfen nicht nur Menschen in Rollstühlen, sondern auch Eltern mit Kinderwägen, Kindern auf Rollern, der Müllabfuhr und Kurieren, die ihre Last auf Handwägen durch die engen Gassen der Stadt fortbewegen,“ so Tatano. „Eine inklusive Stadt würde die Lebensqualität von allen verbessern.“