Nosferatu
Fast vergessene Geschichte
Friedrich Wilhelm Murnaus Film aus dem Jahr 1922 ist nicht nur eines der wichtigsten Werke des deutschen Expressionismus. Der Stummfilm führte auch einen Archetyp des modernen Horrorfilms in die Filmgeschichte ein: den Vampir.
Von Sarah Schmidt
Da es sich bei dem Film um eine unautorisierte Adaption von Bram Stokers Roman Dracula (1897) handelte, versuchten Murnau und die Produzenten Enrico Dieckmann und Albin Grau einem Urheberrechtsstreit zu entgehen, indem sie für die Filmversion schlicht die Schauplätze und Namen der Protagonisten änderten. Der Film verlegt die Handlung von London in die fiktive deutsche Kleinstadt Wisborg. Dort erhält der örtliche Immobilienmakler Knock (Alexander Granach) einen mysteriösen Brief von einem transsilvanischen Grafen und schickt seinen jungen Angestellten Thomas Hutter (Gustav von Wangenheim) auf Dienstreise in die Karpaten. Hutters junge Ehefrau Ellen (Greta Schröder) wird ob dieses Unterfangens von dunklen Vorahnungen geplagt und bei seiner Ankunft in Transsylvanien beschwören die Einheimischen Hutter, dem Schloss fernzubleiben.
Dieser ignoriert die Warnungen, macht nach seiner Ankunft im Schloss jedoch eine grauenvolle Entdeckung: Sein Gastgeber, Graf Orlok (Max Schreck), ist ein Vampir, der in einem Sarg schläft und nachts das Zimmer seines Gastes heimsucht, um dessen Blut zu saugen. Nachdem Orlok ein Bild von Ellen sieht und dabei ihren „schönen Hals” bemerkt, schließt er einen Kaufvertrag über das Haus gleich neben dem der Hutters ab und macht sich auf den Weg nach Wisborg. Hutter ahnt Schreckliches und versucht, Orlok einzuholen, kann ihn jedoch nicht aufhalten. Mit der Ankunft des Grafen wird die Stadt von Ratten überrannt, die eine Pestepidemie auslösen. Der Schrecken findet erst ein Ende, als Ellen ihr Leben opfert, um die Stadt zu retten.
Der Film feierte am 4. März 1922 in Berlin Premiere. Zu diesem Zeitpunkt war die Erinnerung an die Schrecken des Ersten Weltkriegs noch präsent in der Weimarer Republik, eine Erfahrung, die ihre Spuren auch im expressionistischen Film hinterließ. Zusammen mit Werken wie Das Cabinet des Dr. Caligari (1920, Robert Wiene) und Der Golem, wie er in die Welt kam (1920, Paul Wegener), zählt Nosferatu zu den Filmen, die viele der ästhetischen Konventionen des Genres etablierten. Hier ist besonders das expressive Schauspiel hervorzuheben, sowie die Verwendung von starken Kontrasten in der Beleuchtung, was zu einem Chiaroscuro-Effekt führt. Die Filmkritikerin Lotte Eisner nennt diesen Effekt auch “das berühmte Helldunkel des deutschen Films”.
In seiner Verwendung von Naturaufnahmen der Karpaten und der hohen Tatra weicht Nosferatu hingegen von anderen expressionistischen Filmen ab. Während Das Cabinet des Dr. Caligari eine aufwendige Studiokulisse verwendet, welches die traumartige, bizarre Bildsprache des Films mit der expressionistischen Malerei verknüpft, zeigt Murnau in Nosferatu reale Landschaftspanoramen. Damit nimmt der Film den Zuschauer mit auf eine Reise vom idyllischen Kleinstadtleben eines jungen Ehepaares hinein in eine zunehmend bedrohliche Landschaft, die die folgende Katastrophe von Tod und Verderben als unaufhaltsame Naturgewalt bereits vorwegnimmt.
Der Film zeigt dunkle Wälder und karstige Bergzüge in der Totalen und verortet den Film damit nicht nur in der ästhetischen Tradition des Expressionismus, sondern erforscht auch die Wurzeln des Genres in der deutschen Romantik. Tod und Verwüstung als zentrale Themen gehen sowohl von Graf Orlok als grausamem, tyrannischem Autokraten aus und werden gleichzeitig als Naturkräfte dargestellt, denen der Vampir ebenso ausgeliefert ist wie seine Opfer.
Während der Film viele der Elemente des modernen Vampirfilms etabliert – die Einstiche am Hals, das Schlafen in Särgen –, weicht er in einigen wichtigen Punkten von sowohl Stokers Roman als auch späteren Genre-konventionen ab: In Nosferatu ist der Biss des Vampirs nicht infektiös und verwandelt seine Opfer nicht ihrerseits in Vampire, das Massensterben geht von den pestbringenden Ratten aus und bringt damit Tod und Verderben ohne das Versprechen auf ewiges Leben, das den Vampir in späteren Werken zum glamourösen Verführer werden lässt. Außerdem wird Abraham van Helsing, der Wissenschaftler mit einem Hang zum Okkulten und Draculas wichtigster Gegenspieler in Stokers Roman, auf eine kleine und eher unwichtige Nebenrolle reduziert. Die Abwesenheit eines starken Antagonisten verstärkt nur noch, was das Grauen dieses Films ausmacht: nämlich, dass die Rationalität und Wissenschaftlichkeit der Moderne dem Massensterben und der Zerstörung, denen Deutschland und der Rest Europas während des Ersten Weltkriegs ausgeliefert waren, nichts entgegenzusetzen hatte.
Trotz der vorgenommenen Änderungen wurden die Produzenten des Films von Stokers Witwe aufgrund von Urheberrechtsverletzungen verklagt. Ein deutsches Gericht gab ihr im Jahr 1925 recht und ordnete an, alle Kopien des Films zu zerstören. Glücklicherweise war eine der Kopien zu diesem Zeitpunkt schon in die USA verschickt worden, und so blieb dieses wichtige Stück Filmgeschichte für die Nachwelt erhalten.
autorin
Sarah Schmidt ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie studierte Nordamerikastudien in Berlin und Atlanta und schreibt über Film, Literatur und Stadtentwicklung.