Gentechnikfreie Milchviehbetriebe
Alterswilde

Christoph Fischer, Initiator der Arbeitsgruppe Zivil Courage
Christoph Fischer, Initiator der Arbeitsgruppe Zivil Courage | Foto: (CC BY-NC-ND 3.0 DE): Michael Schrenk/FUTURZWEI

Früher war er konventioneller Landwirt, heute ist Josef Sichler Biobauer. Als Anti-Gentechnik-Aktivist spannte der Bayer zudem eine Großmolkerei gegen gentechnisch verändertes Soja ein.

Bauer Josef Sichler ist niemand, der gerne experimentiert. Schließlich besteht sein Hof im bayerischen Grassau nachweislich seit 1114, und schon fast 600 Jahre lang ist er im Familienbesitz, wie eine Steintafel am großen Haus mit den geraniengeschmückten Balkons verrät. So etwas setzt man nicht aufs Spiel. Wenn Sichler etwas tut, will er die Konsequenzen übersehen können und verstehen, was vorher falsch gelaufen ist. Ist das aber der Fall, dann kann er überaus hartnäckig sein.

Im Aufsichtsrat der Molkerei Berchtesgadener Land, die seine Milchprodukte vermarktet, hat Josef Sichler durchgesetzt, dass die Genossenschaft nur noch Milch von Landwirten annimmt, die gentechnikfreies Futter verwenden. Vier Jahre lang hat der Bauer den Geschäftsführer des Unternehmens in jeder Sitzung mit diesem Anliegen belagert. Anfangs versuchte der, den Vorschlag lächerlich zu machen: Ganz und gar undurchführbar sei so etwas – schließlich hat ein konventionell wirtschaftender Bauer im Jahr durchschnittlich 10.000 Euro höhere Kosten, wenn er auf importiertes Sojafutter verzichtet. Doch Sichler ließ sich nicht beirren. Und am Ende hat der Erfolg ihm recht gegeben: Als erste große Molkerei in Deutschland garantiert das Unternehmen aus Piding seit Anfang 2010, dass alle 1750 Lieferanten nachweislich gentechnikfrei arbeiten.

Jungbauer, rational, zweifelnd

Sichler selbst tut das auch, selbstredend. Etwa 45 Milchkühe und 50 Kälber hat der Biobauer heute. Ökolandwirt ist er noch nicht lange; Bauer schon fast ein ganzes Leben. Den Großrachlhof musste er schon als 17-Jähriger übernehmen, weil sein Vater nicht mehr konnte. Keine leichte Aufgabe: Die Gegend ist karg, die von den vorigen Generationen betriebene Pferdezucht lohnte sich immer weniger, und neben den Eltern und Geschwistern mussten noch weitere Verwandte ernährt werden. Doch Josef war fleißig und in der Landwirtschaftsschule der Jahrgangsbeste. Den Hof baute er um, wie er es im Unterricht gelernt hatte: hin zu immer mehr Technik, Kunstdünger und Pestiziden. „Ich habe alles wirtschaftlich optimiert. Die Zahlen standen völlig im Vordergrund. Was anderes wurde uns damals ja auch nicht erzählt“, berichtet der heute 56-Jährige.

„So richtig suchend nach Alternativen bin ich erst geworden, als die gesundheitlichen Probleme auftraten.“ Da war Josef Sichler um die Dreißig. Er bekam Asthma, eine Rinderhaarallergie wurde diagnostiziert. Doch sein Arzt konnte ihm nicht helfen. Auch die Odyssee von Experte zu Experte brachte keine Besserung. Zwar riet ihm der eine oder andere, seinen Hof auf die ökologischen Demeter-Kriterien umzustellen. „Aber ich bin rational, und das galt als Quacksalberei. Und die Informationen, die ich von Demeter-Bauern selbst bekam, waren mir auch zu schwammig.“

Doch das, was er in der Ausbildung gelernt hatte, wurde dem Landwirt immer suspekter. Auf lange Sicht konnte die Standard-Herangehensweise einfach nicht funktionieren, dämmerte es Sichler langsam: Konventionelle Landwirtschaft laugt den Boden aus, vergiftet das Wasser, macht krank. Ein Schlüsselerlebnis für den von Zweifeln befallenen Bauern war das Verbot des Pestizids Atrazin Anfang der 1990er-Jahre. Bis dato hatten Politik und Hersteller abgewiegelt, wenn Umweltschützer die Grundwasserbelastung durch das Pflanzenmittel anprangerten. Als der Staat das Zeug dann aufgrund seiner Giftigkeit verbot, wurde Josef Sichler schlagartig klar: Man hatte ihm und all den anderen lange Zeit falsche Tatsachen vorgetäuscht.

Antworten, Umstellung, Courage

Seinen eigenen Hof auf bio umzustellen aber traute sich der Bauer noch nicht: Schließlich musste er gemeinsam mit seiner Frau Sabine nun auch noch eine wachsende Kinderschar ernähren, und die vier Töchter und der Sohn sollten eine gute Ausbildung bekommen. Irgendwann dann – ein weiteres Schlüsselerlebnis – lernte Josef Sichler den Agrarberater Christoph Fischer aus dem nahen Söchtenau kennen, der in der Region nachhaltig wirtschaftende Bauern unterstützt. Endlich gab es jemanden, der die konkreten Fragen des Landwirts auch konkret beantworten konnte und ihm das Zutrauen gab, dass sein Betrieb auch als Biohof die ganze Familie würde ernähren können. Seit 2009 arbeitet der Großrachlhof rein ökologisch. „Ich bin heilfroh und meine Familie auch.“ Asthma und Allergie sind völlig verschwunden, die Gesundheitsprobleme des Sohns haben sich ebenfalls in Luft aufgelöst.

Regelmäßig besucht Sichler seither den von Christoph Fischer organisierten Stammtisch. Dort entstand auch die Idee, die Arbeitsgruppe Zivil Courage zu gründen, die seit 2006 radikal jede Verwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft ablehnt. Am Stammtisch Platz nehmen kann jeder – egal ob konventionell oder biologisch wirtschaftender Bauer, ob Bürgerin oder Verwaltungsmensch. Überall im Kreis Traunstein sind inzwischen grüne Schilder aufgepflanzt: Gentechnikfreier Landkreis. 118 weitere Regionen in Deutschland haben sich mittlerweile für denselben Verzicht ausgesprochen. Dabei geht es weniger darum, den Anbau von genmanipulierten Pflanzen zu verhindern; der ist in Deutschland außerhalb von Versuchsreihen sowieso verboten. Im Fokus steht der Import von Futtermitteln.

Manipulation und Krawall

Vor allem eiweißhaltiges Soja wird heute in der Massentierhaltung fast überall verfüttert. Der US-Konzern Monsanto hat durch Genmanipulation eine Sorte entwickelt, deren einziger Pluspunkt darin besteht, gegen ein bestimmtes Pflanzengift resistent zu sein – das ebenfalls aus dem Hause Monsanto stammt. Im Doppelpack wird beides, Gift und giftbeständige Pflanze, im Ausland eingesetzt und hält die Sojafelder der dortigen Bauern von lästigen Wildkräutern frei. Doch das genmanipulierte Saatgut ist gefährlich: Zum einen breitet es sich unkontrollierbar auf andere Felder aus – und Monsanto fordert Lizenzgebühren sogar von den Bauern, deren Felder ohne eigenes Zutun mit Monsanto-Pflanzen bedeckt wurden. Zum zweiten nehmen die resistenten Sojapflanzen den im Unkrautvernichtungsmittel enthaltenen Wirkstoff Glyphosat auf. Über die importierten Futtermittel wird das Glyphosat auch von europäischen Kühen, Hühnern und Schweinen mitgefressen und landet so schließlich auf unseren Tellern und in unseren Milchgläsern.

Alles ganz ungefährlich, heißt es allenthalben; schließlich produzieren neben Monsanto auch deutsche Konzerne wie BASF oder Bayer glyphosathaltige Produkte, die hierzulande vor allem eingesetzt werden, um Felder vor der Aussaat von Unkraut befreien. Doch Josef Sichler gibt nichts mehr auf die Verlautbarungen von Politik und Wirtschaft; aus der Kehrtwende beim Atrazin damals hat er gelernt. Beim Chiemgauer Almbauerntag im Sommer 2013 gelang es Josef Sichler, den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und die damals noch amtierende Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner auf seine Alm zu lotsen. Dann legte er los. „Was ich da gesagt habe über die Gefahren von Gentechnik und den Umgang der Politiker damit, haben die nicht gerne gehört“, erzählt Sichler und lacht zufrieden. 900 weitere Gäste hörten damals ebenfalls zu.

Auch die Feriengäste, die ihn beim Melken besuchen, informiert Josef Sichler über Ökolandbau und die Gefahren der Genmanipulation. Auch wenn Studierende an ihrer Universität Podiumsdiskussionen über Gentechnik organisieren, ist der Überzeugungstäter dabei. Wo er kann, macht Sichler Krawall, weist auf die Gefahren hin und tritt Diskussionen los – er gehört eben nicht zu denjenigen, die erst auf den großen Störfall warten.

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