Essen und Kultur
Den Wandel zum Gären bringen

Ongai-Gefäße aus Keramik, gefüllt mit Kimchi in Seoul, Südkorea.
Foto (CC): Jessieca Leo

Um das alte kulinarische Handwerk der Fermentation brodelt es wieder. In einer vom Klimawandel geprägten Zukunft könnte die Fermentation uns erlauben, eine abwechslungsreiche Ernährung ebenso zu bewahren wie die kulturelle Vielfalt.

„Lebensmittel zu fermentieren“, erklärt der US-amerikanische, auf gastronomische Themen spezialisierte Journalist Michael Pollan, „ist eine eloquente Form des Protestes und hilft den Sinnen, sich gegen geschmackliches Einerlei und kulinarische Monotonie aufzulehnen. Es ist eine Art der Auseinandersetzung mit der Welt … eine Unabhängigkeitserklärung.“

Denn bei der wiederbelebten Technik geht es nicht nur darum, die Zubereitung und Konservierung von Kohl zu lernen; es geht auch um soziales Lernen und darum, Hand anzulegen (im wörtlichen Sinne), um die eigene Einstellung zum Leben zu verändern. Damit läuft der Trend einem passiven, auf industriellen Konsum ausgerichteten Lebensstil entgegen. Die Fermentation erfordert Zeit, Intuition und Mitwirkung an einem Veränderungsprozess, bei dem am Ende kein Sauerkraut dem anderen gleicht. Und sie kann Menschen auf praktische und überraschende Weise zusammenbringen.

Fermentierungs-Fetischist

Die Fermentation verdankt ihre Wiederbelebung nicht zuletzt den kühnen, unorthodoxen Methoden des US-Amerikaners Sandor Ellix Katz aus dem ländlichen Tennessee, der sich das Fermentieren selbst beibrachte und dessen Online-Demonstrationen und Ratgeber weltweit die Fantasie von Küchenchefs und Hobbyköchen beflügelt haben. In seinem jüngsten, umfassenden Buch The Art of Fermentation dokumentiert er Fermentationsverfahren aus aller Welt, fängt moderne und traditionelle Stimmen ein und beleuchtet das gesamte Themenspektrum von Molekularbiologie bis Kulturgeschichte, von Philosophie bis Heilkunde.

Vor der Erfindung von Kühlschränken und globalen Lieferketten waren die meisten unserer Wintervorräte gepökelt, sauer eingelegt oder getrocknet. Viele europäische Delikatessen wie Käse, Salami, Gewürzgurken, Essig und Oliven verdanken ihr kräftiges, unwiderstehliches Aroma dem Fermentieren. Das Gleiche trifft auf die Säulen der asiatischen Küche – Soja, Miso und Tempeh – zu sowie auf die Barbestände der gesamten Welt und auch auf alltägliche Genussmittel wie Kaffee und Schokolade.

Wagt man sich auf dieses unbekannte Territorium ungern allein, so kann man sich keinen fesselnderen Lehrmeister als Katz wünschen: „Widersetzen Sie sich dem Expertenkult. Haben Sie keine Angst. Sie können das selbst.“ Es sei kein einziger Fall von einer Vergiftung durch fermentiertes Gemüse überliefert, versichert er uns.

Das liegt daran, dass die Fermentation nicht nur eine kulinarische Modeerscheinung ist. Ebenso wie das Brotbacken und der Gemüseanbau uns dabei helfen, uns von der industriellen Nahrungsmittelproduktion unabhängig zu machen, legen die alten Konservierungstechniken das Rüstzeug zur eigenen Lebensmittelherstellung zurück in unsere Hände. Damit werden wir uns der Bedeutung des Essens neu bewusst, und die Freude am Essen hält wieder Einzug in unseren Alltag.

Gemeinsames Erbe

Fermentation ist vor allem ein kreativer Prozess. Eva Bakkeslett, Künstlerin und „sanfte Aktivistin“ aus dem Norden Norwegens, führt in ihren Workshops „Lebende Kulturen“ Menschen an die traditionellen Verfahren der Herstellung von Kefir, Joghurt und Sauerteigbrot heran. „Ich setze mich in meiner Kunst mit Fermentation auseinander, weil sie demonstriert, wie gelebtes Kulturerbe funktioniert, und weil sie die wichtigsten Zutaten für die Entwicklung nachhaltiger Kulturen für die Zukunft aufzeigt: Zeit, bestimmte Bedingungen (Wärme), Pflege und Teilhabe, Materialien von guter Qualität und eine Prise Magie“, erklärt Bakkeslett. „Dadurch wird uns bewusst, dass das Leben auf der Erde einen beständigen Austausch zwischen den Spezies in sich birgt und es daher kaum möglich ist, das Individuum als isolierte Einheit zu betrachten.“

Bei ihren Workshops geht es nicht nur um Nahrungsmittel: Es sind Orte sozialer Fermentation, an denen Gespräche und neue Perspektiven zustandekommen und sich eine freigiebige, selbst organisierende Natur des Austauschs von Fertigkeiten, Wissen und Geschichten zwischen verschiedenen Kulturen entfalten kann.

Eine gesunde Praxis

Die Konservierungsmethode des Fermentierens hat sich wie unser Verdauungsapparat über Jahrtausende herausgebildet. Heute kann sie uns vor allem dabei helfen, unsere häufig durch industriell hergestellte Lebensmittel angegriffene Gesundheit wiederherzustellen und zu erhalten. Fermentierte Lebensmittel sind reich an Enzymen und gesunden Mikroorganismen, können Erkrankungen der Darmwand heilen und schädliche Einflüsse von außen abwehren. Und der Darm ist, wie Sandor Katz uns ins Gedächtnis ruft, der größte Teil unseres Immunsystems.

Wo fängt man an? Eines der am einfachsten herzustellenden fermentierten Getränke ist ein Rote-Beete-Kwass, der äußerst blutbildend ist und die Leber reinigt. Man braucht nur ein großes Gefäß, in das man zwei Liter gefiltertes Wasser gießt. Dazu gibt man drei mittelgroße, geschälte und gehackte rote Beete aus biologischem Anbau sowie einen Esslöffel Meersalz und eine Vierteltasse Molke. (Man kann auch die Molke weglassen und stattdessen die Salzmenge verdoppeln.) Das Ganze lässt man zwei bis drei Tage stehen. Die abgeseihte Flüssigkeit wird im Kühlschrank aufbewahrt, die rote Beete kann man erneut ansetzen. Jeden Morgen trinkt man 125 ml davon.

Von der Wiederentdeckung der alten Methoden profitiert nicht nur der Mensch, sondern der gesamte Planet. Mit zunehmendem Klimawandel sehen sich die Industriestaaten der Herausforderung gegenüber, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu senken. Die „Kühlketten“ des globalen Nahrungsmittelsystems, zu denen Vorkühlungsstationen, Schlachthäuser, Vertriebszentren, Lkws, Supermärkte und Haushaltskühlschränke gehören, verbrauchen viel Energie. Diese modernen Konservierungsmethoden zeichnen für 15 Prozent des weltweichen Stromverbrauchs verantwortlich, und die Emissionen werden vermutlich noch steigen.

In China, wo fermentierte Lebensmittel ihren Ursprung fanden, erfährt die vielfältige einheimische Esskultur durch den Einsatz von Kältetechnik aktuell eine rasante Angleichung an das industrielle Modell der reicheren Staaten. Die Fermentation, die keine Energie verbraucht und absolut natürlich ist, ist eine praktische Lösung, mit der wir diesen Trend umkehren können. Damit ließe sich sowohl unser kulturelles Erbe zurückgewinnen als auch das Klima der Zukunft retten.

Zeit, den Gärtopf hervorzuholen!
 

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