Zu Fuß zur Schule
Adiós Auto! Kinder haben Beine

Die neunjährige Elena gemeinsam mit ihren Weggefährten auf der Bank vor ihrer Schule.
Foto (CC BY-SA): Antonio Moya

Vor den Toren der Grundschulen in Spanien drängen sich morgens die Autos, ohne Eltern sieht man die Kinder kaum. Eine Initiative aus Jávea hält diesem Trend entgegen. Und hat die Straße für die Schüler neu entdeckt.

„Der gemeinsame Schulweg fördert das Gruppengefühl der Kinder“, meint Antonio Moya. Der Architekt ist einer der vier Initiatoren des Projekts Pas a Pas (Schritt für Schritt) in Jávea, das den jungen Menschen eine aktive Rolle im urbanen Leben vermitteln möchte. Seit April 2016 machen sich in dem ostspanischen Küstenort mehr als 100 Kinder aus vier Grundschulen jeden Freitag gemeinsam auf den Weg zum Unterricht, zwei weitere Einrichtungen sind seit Herbst mit dabei. „Wir hoffen, in diesem Schuljahr bis zu 300 Kinder für die Initiative gewinnen zu können“, so Moya. Das Konzept ist einfach: Für jede Schule gibt es einen Treffpunkt, dort sammeln sich die Sechs- bis Zwölfjährigen und machen sich dann gemeinsam auf den Weg. Die Gruppen mit kleineren Kindern ziehen in Begleitung eines Erwachsenen los, ansässige Ladeninhaber sind informiert und agieren bei Bedarf als Anlaufstelle.

Fußgängerfreundliche Städte

Für die Eltern ist Pas a Pas nicht zuletzt auch eine Zeitersparnis. Nach einer Projektstudie aus dem Jahr 2015 verbringen die Erziehungsberechtigten pro Jahr im Durchschnitt 100 Stunden im Auto, um ihre Kinder zur Schule zu begleiten. Ganz zu schweigen von dem Plus für die Umwelt: 854 Kilometer, so schätzen die Macher von Pas a Pas, legen die Eltern pro Jahr für den Schulweg ihrer Zöglinge zurück. Bleibt das Fahrzeug für diese Strecken in der Garage, kann der CO2-Ausstoß damit erheblich reduziert werden. Und das wiederum kommt nicht nur der Schulgemeinde zugute, sondern der gesamten Stadt.

Jávea ist nicht der einzige Ort, der sich darum bemüht, Kinder und Eltern für einen bewussteren Schulweg zu gewinnen. Spaniens Hauptstadt Madrid startete 2007 die erste Initiative dieser Art, Kataloniens Metropole Barcelona unternahm bereits im Jahr 2000 Versuche zum Umdenken. Die östlich von Madrid gelegene Trabantenstadt Rivas Vaciamadrid erhielt 2013 den EU-Preis für nachhaltige städtische Mobilität, auch dank ihres Engagements für Verkehrssicherheit. Weniger Autos auf der Straße, das bedeutete nicht zuletzt mehr Schutz auf dem Schulweg. Just unter diesem Motto läuft seit mehreren Jahren auch eine Kampagne der spanischen Verkehrswacht DGT. Sie unterstützt Kommunen, Schulen und Familien in der Aufgabe, die Straßen fußgängerfreundlich zu gestalten und die Kinder in ihrem Streben nach Eigenständigkeit zu stärken.

In Jávea kam der Stein unterdessen ins Rollen, als vor gut drei Jahren ein Kind vor dem Schulgebäude von einem Auto angefahren wurde. Der Ruf nach mehr Sicherheit war groß, die Stadt machte Gelder frei. Chema Segovia, ebenfalls Architekt und neben Moya einer der Initiatoren von Pas a Pas, erinnert sich an die Anfänge in Jávea: „Als man uns mit dem Projekt beauftragte, setzten wir uns zunächst mit Vertretern von Schule, Polizei und Eltern zusammen. Doch dann sahen wir, dass bei unseren Überlegungen jemand Wichtiges fehlte.“ Wer das war, lag auf der Hand: die Kinder. „Wir konnten ja nicht über jemanden entscheiden, der gar kein Mitspracherecht hatte“, so Segovia.

Straße als sozialer Treffpunkt

Es folgten Workshops, in denen die Kinder ihre Ideen von der Gestaltung des Außenbereiches ihrer Schule auf den Tisch bringen konnten. Mehr Fahrradständer, hieß es da zum Beispiel, Skaterbahnen oder Sitzbänke. Abwegig waren die Vorschläge keineswegs. Nur in der Praxis, da scheiterten sie – wenn nicht am Budget der Verwaltung, dann doch am tagtäglichen Gedrängel auf dem Parkplatz. Meistens zumindest.

Nicht so in der Grundschule am Hafen von Jávea. Dort stehen vor dem Tor inzwischen zwei Sitzbänke, just an dem Platz, wo einst die Eltern im Auto Schlange standen und ihre Zöglinge ablieferten. „Es geht nicht darum, den Schulweg lediglich sicherer zu gestalten“, meint Segovia. Die Straße sei kein Raum, den man schützen müsse. Im Gegenteil, sie sei sozialer Treffpunkt, ein Ort des Austausches. „Und genau das wollen wir mit unserem Projekt erreichen.“ Die Kinder, so der Architekt, spielten im Rahmen einer nachhaltigen Stadtplanung eine zentrale Rolle. „Sie sind nicht nur Bürger der Zukunft, sondern bereits jetzt aktiver Teil unserer Gesellschaft. Und können dementsprechend mitbestimmen.“

Heute, rund drei Jahre nach Beginn der Initiative, hat sich das Stadtbild von Jávea verändert. Im Hafenviertel gibt es vor der Schule bunt bemalte Blumenkästen, in einer anderen Einrichtung brachten die Kinder an den Zäunen rund um das Gelände selbstgebastelte Vasen an. Die sind zwar heute wieder verschwunden, doch alle erinnern sich gerne daran. Auch die Anwohner. „Mit solchen Einzelaktionen können wir unser Projekt an die Bürger herantragen“, meint Antonio Moya. Und genau das sei ja das Ziel, eine für alle lebenswerte Stadt zu schaffen.

Bemalte Tafeln statt Verkehrsschilder

Auch an den Hauswänden im Ortskern hat sich einiges getan. Immer wieder sieht man Schilder, die den Schulweg der Kinder markieren. Es sind bewusst keine Verkehrsschilder, sondern Tafeln, selbst bemalt, beklebt, aufgehängt. „Pas a Pas“ steht darauf, „Schritt für Schritt“, ein Zeichen für Integration und Identität einer Gruppe, die sich – wie auch der italienische Pädagoge und Vordenker Francesco Tonucci anprangert – im urbanen Leben der Moderne nicht selten an den Rand gedrängt sieht.

„Das Tolle ist, dass Kinder keine Vorurteile haben“, meint Antonio Moya. Ganz im Gegensatz zu den Behörden, die den Ideen von Pas a Pas in manch anderer Kommune recht schnell den Riegel vorgeschoben hatten. „In Jávea ist dies zum Glück nicht der Fall“, so Moya. Das Engagement der Stadt sei groß, und auch bei den Eltern wachse das Interesse. „Am besten funktioniert natürlich die Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt Moya.

In Jávea mit Erfolg, wie man sieht. Schon längst ist die Aktion „Gemeinsamer Schulweg“ zum Selbstläufer geworden, die Macher von Pas a Pas agieren meist nur noch im Hintergrund. Auch in der Grundschule im Hafenviertel, eine der Neuzugänge des Projekts, werden Moya und sein Team freitags vermutlich nur noch selten vor Ort sein. Die Eltern sprechen sich ab, kümmern sich um Begleitpersonen und suchen vor allem weitere Familien, die sich für Pas a Pas begeistern lassen.

„Da finden wir auf alle Fälle noch jemanden“, meint eine Mutter überzeugt und verabschiedet sich von ihrer Tochter Elena. Die Neunjährige hat sich zum ersten Mal in der Gruppe auf den Weg zur Schule gemacht, sichtlich neugierig auf die anderen Kinder. Fünf sind es gewesen, für den Anfang nicht schlecht. Vielleicht kommt beim nächsten Mal ja doch noch der ein oder andere vom Schulhof. Denn genossen hat Elena die Zeit draußen, auf der Straße, zweifelsohne.

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