Game Art/ Art Games
Game Art killed the Video Star

Tobias Leingruber: Skatekeyboard 2010

Computerspiele sind das neue Leitmedium der Unterhaltungsindustrie. Doch den kommerziellen Erfolgen neuer Medien folgen gewöhnlicher Weise künstlerische Reflexion, künstlerischer Spott und künstlerische Weiterverarbeitung.

Video killed the radio star. In my mind and in my car, we can't rewind we've gone to far. Pictures came and broke your heart, put the blame on VCR. (Buggles 1979)

Jess Kilby: The Center of the Universe. Ludic interface installation 2007 ©   Jess Kilby: The Center of the Universe. Ludic interface installation 2007
Neue Medien besitzen die Rücksichtslosigkeit und Arroganz, alles davor Mediatisierte als hoffnungslos altmodischen Kram hinzustellen. So mokierte die frühe Fotografie sich über die Malerei, daraufhin die Filmkunst über die Fotografie, dann Video über den Film und nun die Computerspiele über Video. „Video killed the Radio Star“, sangen wir mit den „Buggles“ in den 80er Jahren, und heute würde „Game Art killed the Video Star“ eine veritable Hymne hergeben. Das gute alte Bewegtbild scheint in den Schatten der Computerspiele getreten zu sein. Darauf weisen nicht nur die fulminanten Verkaufszahlen der populären Videospiele hin, sondern auch der Produktionsaufwand von Spielen wie Half-Life 2 oder Wing Commander IV, der zweistellige Millionenbeträge überschreitet, und nicht zuletzt das Interesse, das Künstler dem neuen Medium zuwenden.

Den kommerziellen Erfolgen neuer Medien folgen gewöhnlicherweise künstlerische Reflexion, künstlerischer Spott und künstlerische Weiterverarbeitung. Das war schon bei der Fotografie so: Henry Fox Talbot entwickelte die poetische Bezeichnung „Art of Fixing Shadows“ für die fotografische Technik. Zu den Fototechnikern sollten bald die Fotokünstler treten. Auf Hollywood folgten die Filmkünstler und bewirkten, dass neben den großen Filmpalästen die Hütten des Arthouse Cinema entstanden. Knapp 40 Jahre nach der Entwicklung und Veröffentlichung der ersten Computerspiele treten nun Kuratoren mit Ausstellungen an die Öffentlichkeit, die „Computerspiele von KünstlerInnen“ vorzeigen. (So nannte sich eine der ersten Ausstellungen zur Game Art im Hartware Medienkunstverein Dortmund 2003.)

Während sich frühe Game Art oft am Bildschirm und nur dort entfaltete, zeigt sich in letzter Zeit eine Tendenz, Game Art als verspieltes Interface zwischen dem Computersystem und den menschlichen Benutzern zu entwickeln. Künstler und Künstlerinnen wie Mary Flanagan, Jess Kilby, //////////fur//// oder Tobias Leingruber benutzen die Schnittstelle zwischen dem Betrachter und dem Apparat als Ankerpunkt einer kritischen, künstlerischen Aussage. Das Möbel, an dem die amerikanische Künstlerin Jess Kilby sich die Zukunft vorhersagen lässt, sieht zwar aus wie der schwarze Tisch einer Kartenleserin, doch was er verbirgt, ist ein computergestütztes System zur Ablesung nichtsichtbarer Informationen, die auf sogenannten RFID chips eingebrannt sind. Die äußerlich identischen Tarotkarten, enthalten elektromagnetische Informationen, die das Lesegerät entschlüsseln kann – genau wie ein RFID Leser dies im Bekleidungsgeschäft tut. Die Künstlerin setzt jedoch mit der von ihr konstruierten Schnittstelle eine Beziehung in Frage, die uns beim Einkaufen nicht kommen würde: Wie verändert Technologie unsere Interaktion mit Maschinen? Ihr Spiel des technisch avancierten Kartenlesens weist auf die Rolle und magische Kraft verzauberter Apparate hin. Kilbys Kunstspiel verwendet künstlerische Strategien, um spielerisch Technologie zu reflektieren.

Tobias Leingruber baut aus Spielzeug und Versatzstücken allgegenwärtiger Computertechnologie Geräte, die wie surrealistische Collagen Gegenwärtiges verrätseln und Vertrautes verfremden. Sein Skatekeyboard ist ein verspieltes Interface, das nicht den Maximen der praktischen Effektivität folgt, sonden in seiner gedoppelten Unbrauchbarkeit demonstriert, dass die ASCII Tastatur als Interface für Websurfer brauchbar sein mag, für Skater der Straßen aber nicht viel hergibt. Die formale Ähnlichkeit von Surfboard, Skateboard und Keyboard, und die phonetische Nähe der Objektnamen vermengen Technologie und Lebensstil in ein Ludic Interface: eine Schnittstelle zwischen den Systemen also, die spielerischer nicht sein könnte. Es gibt gegenwärtig bereits eine Vielzahl von Ludic Interfaces, die die Industrie entwickelte, um Computerbenutzern und Computerspielern die Versprechung von spielerischer Beschäftigung schmackhaft zu machen und teuer zu verkaufen: Dazu gehören die Wii Remote Eingabegeräte ebenso wie Microsofts Kinect.

//////////fur////: Painstation 2001 ©   //////////fur////: Painstation 2001
Böse Zungen behaupten bisweilen, dass diese populären Eingabegeräte den künstlerischen Erfindungen nachempfunden sind, die die interaktive Kunst der 60er Jahre entwickelte. Dem mag sein wie es will, denn die Vereinnahmung von Ideen und Systemen findet in beiderlei Richtung statt. Die Industrie greift auf, was Künstler in kleinem Maßstab hervorbringen, doch auch Künstler verwenden, was die großen Konzerne auf den Markt werfen. Betrachtet man die Ludic Interfaces der Künstlergruppe //////////fur////, so findet man oft Parodien auf Produkte der Industrie. Die Painstation beispielsweise ist offenbar zynische Replik auf SONYs Playstation. Was bei den Spielen der Firma SONY freundlich, kindergerecht und gefahrlos wirken soll, verkehren //////////fur//// ins Gegenteil. Die Painstation ist ein Interface, das zurückschlägt: Die motorisierte Peitsche bestraft schlechte Spieler und die eingebauten thermischen Effektoren erzeugen Nervenkitzel, Schmerz oder auch Verbrennungen der Haut.

Game Art, die auf solche Weise gesellschaftliche Wirklichkeit mit einem Augenzwinkern angreifen kann, setzt tatsächlich ein Projekt fort, das Kunst, Medienkunst und Computerkunst in ihren besten Erscheinungsformen begonnen hatten. Game Art kann Video nicht umbringen. Game Art kann auch nicht den Film ersetzen, doch sie stellt aufgrund ihrer medialen Frische eine höchst aktuelle Fortsetzung künstlerischer Aussageformen dar, die durch das Medium sagen, was jenseits des Mediums liegt.
 
Mathias Fuchs
ist ein führender Theoretiker zu Game Art und Game Studies. Er ist Künstler, Musiker, Medienkritiker und war in den letzten 10 Jahren Senior Lecturer an der Universität Salford in England. Er hat Pionierarbeit auf dem Gebiet der künstlerischen Nutzung von Spielen geleistet. Seit dem Oktober 2012 ist er als Professor an der Leuphana Universität Lüneburg tätig.

Top