Künstliche Intelligenz
Kunst aus Code
Kunst und Robotik haben nichts miteinander zu tun? Weit gefehlt: Künstliche Intelligenz ist gleichzeitig Werkzeug und Konkurrenz für Kreative. Der digitale Wandel liefert zudem auch Themen für kritische Kunst.
Von Sonja Peteranderl
Mordanklage gegen einen Algorithmus: Mit ihrer Performance und dem Film The Trial of Superdebthunterbot verhandelt die Londoner Künstlerin Helen Knowles, ob ein selbstständig entscheidender Computercode für fatale Irrtümer verantwortlich gemacht werden kann – in diesem Fall für den Tod zweier Studenten, die bei medizinischen Experimenten gestorben sind. Knowles Werk ist Teil der Ausstellung Open Codes im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, die bis August 2018 die Beziehung zwischen Code und Kunst und das Leben in digitalen Welten erforscht.
Algorithmen finden sich zunehmend in allen Lebensbereichen: Sie berechnen, wer kreditwürdig ist, automatisieren den Krieg, entdecken aber auch Krankheiten frühzeitig oder schneiden – wie IBMs Software „Watson“ – selbstständig Horrorfilm-Trailer. Und sie mischen die Kunstwelt auf: Künstliche Intelligenz (auf Englisch: Artificial Intelligence, AI) verändert kreative Perspektiven und Prozesse und verwandelt mitunter sogar Roboter und Software in Künstler. Beim sogenannten Deep Learning erkennt AI-Software ähnlich wie das menschliche Gehirn Muster und lernt mit jeder Erfahrung selbstständig dazu – und kann so zunehmend automatisierte Entscheidungen treffen.
Algorithmen sind wie Musikinstrumente
Das Google-Brain-Forschungsprojekt „Google Magenta“ experimentiert mit künstlich erzeugter Kreativität. Ein Forscherteam arbeitet an Algorithmen, die Musik, Videomaterial oder visuelle Kunst produzieren. Anwendungen werden auf der Open-Source-Plattform „TensorFlow“ veröffentlicht, so dass auch andere Künstler und Kreative die Entwicklung vorantreiben können. Das Programm „Performance RNN“ etwa komponiert Musik: „Der generierten Performance fehlt zwar noch die Kohärenz, die man von einem Klavierstück erwarten würde“, gibt Google Magenta zu. Dennoch seien die künstlich erzeugten Klänge „beeindruckend“.
Auch Entwickler wie der britische Informatikprofessor Simon Colton basteln schon seit Jahrzehnten an kreativer Software. „Eines Tages ernstgenommen zu werden, als eigener kreativer Künstler“, wünscht sich der von ihm erfundene Robo-Künstler „Painting Fool“ auf seiner Webseite. Die Software malt abstrakte Kunstwerke – mittlerweile so gut, dass sich oft nicht mehr unterscheiden lässt, welches Werk von Mensch oder Maschine geschaffen wurde. Colton hat den „Painting Fool“ auch mit Emotionserkennungssoftware kombiniert, so dass er etwa bei Porträts Stimmungen farblich mit einfließen lassen kann.
Der italienische Künstler Davide Quayola setzt Algorithmen ein, um neue Perspektiven auf berühmte Ikonen der Kunstwelt zu schaffen: Die originalen Renaissance-Gemälde, die Rohstoff für seine bunten, abstrakten Bilder sind, lassen sich kaum mehr erahnen. Für die Serie Iconographies hat er sich berühmte Werke aus seinem Heimatland vorgenommen: Mit einer AI-Software wurden die Originale neu vermischt, Details und Farben verfremdet und hervorgehoben. „Der Missbrauch von Technologie ist interessant, um neue Dinge zu entdecken“, findet Quayola. Die Software ersetze ihn, den Künstler aber nicht – seine Rolle verändere sich nur: Algorithmen sieht er als „Musikinstrumente“, mit denen er spielen kann.
Technologie verwandelt auch den Produktionsprozess: Digitale Kunst ist längst keine Soloarbeit mehr – Künstler kooperieren häufig mit Entwicklern, aber auch Software oder Roboter werden mitunter Teil des Teams. Bei der Sculpture Series von Quayola fertigen Industrieroboter von Michelangelo inspirierte Skulpturen an, und zwar live vor Ort in der Kunstgalerie. Die Entstehung des Werkes ist somit Teil der Kunstaktion.
Shopping-Tour im Darknet
Viele junge Konzeptkünstler begreifen die zunehmende Automatisierung, Big Data und Künstliche Intelligenz auch als inhaltliches Material für ihre Werke – und erforschen die Digitalisierung mit gesellschaftskritischer Kunst.
Ein Hacking-Tutorial für einen Cola-Automat, Ecstasy oder Fake-Turnschuhe: Für ein Kunstprojekt ging wöchentlich ein Bot mit 100 Dollar in Bitcoins auf Darknet-Marktplätzen wie Agora und Alpha Bay auf Shopping-Tour. Die zufällig ausgewählten Produkte wurden in eine Schweizer Galerie geschickt. Den Random Darknet Shopper hat die !Mediengruppe Bitnik aus Zürich und London programmiert, die ähnlich wie Helen Knowles mit ihrer fiktiven Gerichtsverhandlung auf Abgründe von Algorithmen hinweisen will – etwa, wer die Verantwortung trägt, wenn eine Software Verbrechen begeht.
Auch als Ende 2015 Millionen von Nutzerdaten des Seitensprung-Portals Ashley Madison geleakt und darunter zehntausende Fakeprofile gefunden wurden, verwandelte die !Mediengruppe Bitnik die Daten und den digitalen Missbrauch in Kunst. Die Fakeprofile hatte Ashley Madison selbst entwickeln lassen: Da sich auf dem Portal viel mehr Männer als Frauen angemeldet hatten, ließen sie weibliche Chatbots programmieren, die auf der Plattform mit Usern kommunizierten und flirteten. Für ihre Ausstellung Is anyone home lol, die im Sommer 2017 auch in Berlin zu sehen war, haben die Künstler der !Mediengruppe Bitnik diese Fembots nachgestellt: Sie erschienen als maskierte Avatare auf LCD-Bildschirmen, die auf Augenhöhe von Erwachsenen angebracht waren, und betrieben ihre Chatroom-Konversation nun mit den Ausstellungsbesuchern.
Abseits der digitalen Dystopien können Algorithmen aber auch ziemlich kuschelig sein: Der in Los Angeles lebende Künstler Channing Hansen nutzt Software, um das Material, die Textur und die Farben seiner wolligen Werke zu berechnen – und schafft mit dieser Information psychedelisch wirkende, gestrickte Wandgemälde, die beruhigend analog aussehen.